Schnelle Truppe

Rot-Grün knüpft auf dem Balkan da an, wo Kinkel und Rühe aufgehört haben. Gut für sie: In Rambouillet geht es auch um die Vorherrschaft in der EU

Wie man auf dem Balkan durchzugreifen hat, wußte der US-Sondergesandte Richard Holbrooke schon 1995: "Der Westen hatte während der letzten Jahre den Fehler gemacht, die Serben so zu behandeln, als seien sie rational denkende Menschen, mit denen man ernsthaft diskutieren, vernünftig verhandeln und zu einer bindenden Übereinkunft gelangen könnte. Tatsächlich aber reagierten sie nur auf Gewalt oder zumindest die unmißverständliche und glaubhafte Androhung, daß man davon Gebrauch machen würde."

Gerhard Schröder brauchte etwas länger für die Erkenntnis als der "Architekt" des Daytoner Friedensabkommens für Bosnien, Holbrooke. Gerade noch rechtzeitig zum Beginn der schon als "Dayton II" gehandelten Kosovo-Konferenz im Jagdschloß von Rambouillet bei Paris ist er aber auch so weit. Da, wo starke Worte und martialische Formulierungen gefragt sind, auf der 35. Konferenz für Sicherheitspolitik im Münchner Hotel Hilton nämlich, präzisierte der SPD-Kanzler am Wochenende seine Ende Januar geäußerten friedenspolitischen Vorstellungen für die südserbische Krisenprovinz: Selbstverständlich würden im Kosovo auch deutsche Soldaten Gewehr bei Fuß stehen, um - so das rot-grüne außenpolitische Neusprech - "eine humanitäre Katastrophe" oder "schwere Menschenrechtsverletzungen zu verhindern". Uno-Mandat hin, OSZE-Mission her, ohne Wenn und Aber seien die Deutschen dann bereit, als "normale" Alliierte Verantwortung in Nato und EU zu übernehmen - Kampfeinsätze außerhalb des Bündnis-Territoriums eingeschlossen.

Von Protesten innerhalb der Anfang Oktober zur "Stärkung des Gewaltmonopols der Vereinten Nationen" angetretenen Regierungskoalition auch an diesem Wochenende keine Spur. Angesichts der in Rambouillet gestarteten Kosovo-Konferenz kamen Außenminister Joseph Fischer (B'90/Die Grünen) und Verteidigungsminister Rudolf Scharping (SPD) gerade noch dazu, ihre Freude über "die Stunde der Diplomatie" an den Tag zu legen. Die Chance, den Konflikt doch noch auf dem Verhandlungswege zu lösen, müsse nun genutzt werden. Darüber, daß die Konferenz nur auf die - völkerrechtlich nicht legitimierte und von Nato-Generalsekretär Javier Solana letzte Woche erneuerte - Gewaltandrohung gegen den jugoslawischen Präsidenten Slobodan Milosevic hin zustande kam, sprach keiner mehr. Darüber, daß Scharping kurz zuvor dem Nato-Rat 2 800 Bundeswehr-Soldaten sowie 50 Angriffspanzer für eine "Kosovo-Friedenstruppe" zur Verfügung gestellt hatte, auch nicht.

Schröder mag sich selbst gewundert haben, wieviel Freiraum ihm seine Partei seit der Machtübernahme in Bonn läßt: "Für diese Position wäre ich vor einem Jahr erschlagen worden", sagte er am Rande der Sicherheits-Tagung in München. Auch die Washington Post zeigte sich überrascht, wie unbefangen der deutsche Kanzler plötzlich mit deutschen Truppen hantiert: "Das ist ein Schritt, der noch vor wenigen Jahren, als sich die Deutschen schworen, Soldaten nie wieder über die eigenen Grenzen zu schicken, undenkbar gewesen wäre."

Doch beim stillen Abschied von völkerrechtlich verbindlichen Grundsätzen und dem weniger stillen Einstieg in weltweite Kriegseinsätze steht die Regierungs-SPD nicht allein. Fleißig sekundiert der kleine Koalitionspartner. Die breite Palette dessen, was den "politischen Pazifismus" (Außenamts-Staatsminister Ludger Volmer) der Regierungsgrünen ausmacht, präsentierte deren Promi-Riege in der vergangenen Woche: So halten der Fraktionschef im Bundestag, Rezzo Schlauch, und seine Parlamentskollegin, die Verteidigungspolitische Sprecherin Angelika Beer, ein Uno-Mandat für einen wie auch immer gearteten Einsatz im Kosovo zwar für "sinnvoll". Was das für die grünen Parlamentarier im "humanitären Notfall" heißt, zeigten sie aber schon im Oktober bei der Bundestags-Abstimmung über die Nato-Exctraction-Force für Mazedonien: Ein Uno-Mandat liegt für die zur Evakuierung der OSZE-Beobachter abgestellten Truppen bis heute nicht vor. Die Grünen stimmten dennoch zu.

Den beiden Parlamentariern an realpolitischem Bewußtsein voraus ist da nur noch Gunda Röstel. Die grüne Vorstandssprecherin hält einen Einsatz auch ohne Uno-Mandat für möglich. Sie dürfte sich schon Gedanken darüber machen, wie der nächste Parteitag dazu gebracht werden kann, das Wörtchen "nicht" aus der Programm-Passage zu streichen, in der es heißt: "Bündnis 90/ Die Grünen sind nicht bereit, militärische Friedenserzwingung und Kampfeinsätze mitzutragen". Ihrer linken Vorstandskollegin Antje Radcke dürfte es schwerfallen, den Delegierten die "Unerläßlichkeit" der geltenden Position klarzumachen.

Angelangt sind Schröder, Fischer und Scharping damit dort, wo ihre schwarz-gelben Vorgänger immer hinwollten. Was sich im forschen Auftreten Schröders bei den EU-Beitragszahlungen schon andeutete, soll in Rambouillet handfest durchgesetzt werden. Kamen Kohl, Kinkel und Rühe bei den Bosnien-Friedensverhandlungen in Dayton nicht darum herum, per Scheckbuchdiplomatie deutsche Positionen durchzusetzen, kann die rot-grüne Außenpolitik nun befreit durchstarten: Unabhängig davon, ob die Delegationen der Kosovo-Albaner und die der jugoslawischen Regierung in Rambouillet eine Interimslösung für die südserbische Provinz akzeptieren, werden deutsche Kampfpanzer mit entsprechend ausgebildeten Soldaten dabei sein, einen Waffenstillstand im Kosovo durchzusetzen.

Anders als in Bosnien, wo lediglich Briten und Franzosen mit einer eigenen "Schnellen Eingreiftruppe" für das Ergreifen von Kriegsverbrechern abgestellt wurden, hat die rot-grüne Regierung in den letzten Wochen klargemacht: Die bosnischen Lazarette in Schuß zu halten und sich um den Wiederaufbau der zerstörten Infrastruktur zu kümmern, mag für die Bundeswehr in Bosnien ein ganz guter Einstieg ins internationale Krisenmanagement gewesen sein - im Kosovo ist es damit vorbei. Wenn schon erneut deutsche Truppen auf den Balkan entsandt werden, dann müssen die ihren französischen und britischen Kameraden gleichgestellt sein. Wo Kinkel und Rühe noch stets das Wort von der "deutschen Verantwortung in der Welt" im Munde führten, um deutsche Militäreinsätze

zu begründen, kommen die rot-grünen Salon-Krieger inzwischen ganz gut ohne Wortgedöns aus - schließlich gilt es, weitere "humanitäre Katastrophen" zu verhindern.

Daß Schwarz-Gelb wertvolle Vorarbeit geleistet hat, wo Rot-Grün nur noch nachstoßen muß, ist unbestreitbar. Wie war das doch gleich wieder mit der von Fischer beschworenen Kontinuität der deutschen Außenpolitik? Michael Steiner (SPD), heute außenpolitischer Berater im Kanzleramt, dirigierte 1995 schon einmal die deutsche Balkan-Diplomatie - unter Kinkel. Bei den Verhandlungen in Dayton leitete er das deutsche Verhandlungsteam. Heraus sprang für ihn immerhin ein Posten als Vize-Protektor: Von 1996 bis Sommer 1997 war er Stellvertreter des "hohen internationalen Repräsentanten" von Bosnien, Carl Bildt. Mit der staatsrechtlichen Neuschöpfung bescherte die westliche Bosnien-Diplomatie dem Neu-Staat Bosnien das, was nun auch dem Kosovo bevorstehen könnte: ein von internationalen Truppen abgesichertes Protektorat.

Steiner wird seine Balkan-Erfahrungen auch im Kosovo einzubringen wissen. Als Bildt 1997 turnusgemäß zurücktrat, wollte Kohl nicht, daß Steiner als Sozialdemokrat an die höchste zu vergebende Stelle der europäischen Balkan-Diplomatie nachrückte. So wurde er als Botschafter nach Prag geschickt.

Nun ist Steiner Schröder-Berater und könnte bald selbst in die Verlegenheit kommen, sich um einen europäischen Protektor für das Kosovo bemühen zu müssen. Denn daß in Rambouillet allenfalls eine Interimslösung vereinbart wird, verschweigen selbst die Verhandlungsführer nicht. Der US-Vermittler Christopher Hill, Boris Majorski aus dem russischen Außenministerium und Wolfgang Petritsch, seit vergangenem Oktober EU-Sonderbeauftragter für das Kosovo, scheinen sich mit ihrem Ziel einer dreijährigen Übergangsfrist für die südserbische Provinz durchzusetzen - die Forderung der kosovo-albanischen Verhandlungsgruppe nach Unabhängigkeit bleibt dabei außen vor. Und Milosevic beharrt bislang weiter darauf, daß er der Entsendung von Bodentruppen in das Kosovo nie zustimmen werde - was sich nur schwer mit den Nato-Überlegungen vereinbaren läßt, Truppen über zehn Jahre in der Provinz zu stationieren.

Zu den Hauptelementen des von der Balkan-Kontaktruppe (USA, Großbritannien, Deutschland, Rußland, Frankreich, Italien) für Rambouillet erarbeiteten Plans zählen die Ausrufung eines Waffenstillstandes und ein "hohes Maß an Selbstverwaltung" des Kosovo - nichts also, was auch nur eine der beiden Parteien zufriedenstellen könnte. Für Milosevic ist dies die Einschränkung der staatlichen Souveränität, für die Kosovo-Albaner aber weniger als die geforderte Unabhängigkeit. So gesehen erweist sich die Formel von der "Wiederherstellung der Autonomie des Kosovo innerhalb Serbiens" als leere Hülse.

Gute Chancen also für eine Rambouillet-Folgekonferenz in spätestens drei Jahren. Und die dann womöglich unter deutsche Leitung?

Beste Referenzen hätte die Bundesrepublik vorzuweisen. Schließlich war sie es, die als Gastgeberin der dritten Bosnien-Geber-Konferenz im Winter 1997 in Bonn das Thema Kosovo zum ersten Mal auf den Verhandlungstisch brachte. Mit durchschlagender Wirkung: Aus Protest gegen die von der deutschen Delegation durchgesetzten Aufnahme einer Kosovo-Erklärung in das Abschlußdokument - die Regierung in Belgrad sollte einen Sonderstatus für die Provinz vereinbaren - verließ die jugoslawische Delegation die Konferenz. Kinkel kommentierte den Auszug lakonisch: "Wer die Tür zuschlägt, muß auch wissen, wie er sie wieder aufkriegt."

Doch vorerst wird in Rambouillet erst einmal unter französisch-britischer Führung weiterverhandelt. Schließlich, so der Wunsch aus Washington, sollen die Europäer ihren Laden endlich einmal selbst in den Griff bekommen. Daß sich die US-Amerikaner ihrer Verbündeten in Europa nicht ganz so sicher sind, läßt jedoch eine Meldung vom Wochenende vermuten. Richard Holbrooke, hieß es da, halte sich im Falle eines drohenden Scheiterns der Gespräche bereit, ins Schloß von Rambouillet einzufallen.