Diskrete Folter

Wolfgang Engel inszeniert Christopher Marlowes schwules Königsdrama "Edward II."

Wenn ein Theater Christopher Marlowes "Edward II." auf den Spielplan setzt, ist klar, daß es damit ein Stück über Homosexualität zeigen wird. Doch was als Zeichen für gesellschaftliche Akzeptanz gelten könnte, ist meistens nur ein angestrengter Versuch, um den heißen Brei herumzureden. Oberflächlich betrachtet sehr ehrenwert, bei genauerem Hinsehen aber reines Alibi: Schwules Königsdrama ja, aber bitte das Schicksal der Nation nicht vergessen. Anders gesagt: Nur ein toter Schwuler ist auch ein guter schwuler Regent.

In den Kammerspielen des Deutschen Theaters hat jetzt Wolfgang Engel die 1594 entstandene Tragödie "Die unruhige Regierung und der jammervolle Tod König Edwards II. von England" inszeniert. Durch die Zusammenarbeit mit der Berliner Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch ist das Stück vorwiegend mit sehr jungen Protagonisten besetzt. Es gibt nur zwei Frauenrollen, wovon sogar noch eine, die junge Braut, vom Darsteller des späteren Edward III. (Tim Lang) gespielt wird.

Eine hermetische Männergesellschaft mit dunklen Kostümen, in der einzig Königin Isabella (Ulrike Krumbiegel) gelegentlich Farbakzente setzt. Ansonsten leidet sie unter der Mißachtung ihres schwulen Gemahls und dem Haß, den ihm der Adel entgegenbringt. Schließlich jedoch reißt der verständnisvollen Ehefrau der Geduldsfaden. Sie nimmt sich nicht nur einen Liebhaber, Graf Mortimer (Daniel Morgenroth), sondern unterstützt ihn auch beim Aufstand gegen Edward II.

Am Anfang läßt Engel das ganze Ensemble wie eine Riverdance-Truppe in langer Front mit unbewegten Gesichtern die Beine schwingen. Streng formalisierte Bewegungsrituale bestimmen noch eine Zeitlang das Leben bei Hofe. Man streitet sich heftig, dann singt man zusammen keltisch. Edward (Guntram Brattia) attackiert die Aristokratie, dann versöhnt er sie sich beim wuchtigen Tanz: Ein Populist, der die Techniken der Regierung souverän beherrscht. Als er jedoch verliebt den Kopf verliert, ist bei Engel folgerichtig Schluß mit Hoppsassa.

Nachdem Gaveston (Tom Quaas), der Unterschicht-Geliebte des Königs, vehement ins Spiel eingreift, wird ganz ohne stilisierten Benimmkodex gefightet. Die Etikette ist hin, sobald Edward seinen Liebsten öffentlich präsentiert. Und ihn mit Titeln und Privilegien überhäuft, die der Adel höchstens für sich selbst angebracht hält.

Auf der kahlen, schwarz ausgekleideten Bühne rollt die Tragödie zügig ab. Ein drehbares Konglomerat aus zahlreichen Wänden und Türen bildet immer wieder neue Räume (Bühne: Franz Koppendorfer). Die Orte sind unübersichtlich und gefährlich. Einmal öffnet sich eine Flügeltür auf eine Phalanx schwarz maskierter Krieger. Edward zieht in die Schlacht, um Gaveston zu rächen.

Dieser Kampf Mann gegen Mann - "Für England!" - ist das szenische Herzstück der Inszenierung. Er beginnt mit Zeitlupentempo und Streicherklängen, steigert sich dann zu närrischer Fechtgeschwindigkeit und lautem Gebrüll. Wenn die Waffen versagen, wird geboxt und gewürgt. Bis auf Edward liegen schließlich alle erschöpft am Boden. Der setzt sich triumphierend auf den vorläufig besiegten Mortimer. Vom Dach her schaut Isabella reglos dem blutigen Treiben zu.

Engel macht aus dem Gemetzel ein ästhetisches Ereignis, aus dem restlichen Stück aber wenig. Je länger der Abend, desto braver die Inszenierung. Ohne Umschweife wird treuherzig vom Blatt weggespielt, wobei die Schauspieleleven zunehmend an Kondition und Diktion verlieren. Der Regisseur erzählt fein säuberlich, dabei schreit "Edward II." nach Interpretation und Stellungnahme.

Auch verliert sich Marlowes raffiniert gestaltetes Machtkalkül in Engels zunehmend unübersichtlichen Tableaus. Marlowe schildert mit politischem Bedacht sowohl Edward wie Mortimer als miserable Herrscher, weil sie zu viel an sich, zu wenig an die anderen denken: "Schlechte Könige sind der Untergang des Landes."

Der idealistischen Position war sich der Zeitgenosse Shakespeares wohl bewußt, weshalb Edwards Homosexualität das zweite Hauptthema des Stückes bildet. Die jedoch blendet Engel, nach den kumpelhaften Knutschereien zu Beginn, geflissentlich aus und als klischeehafte schwule Todessehnsucht noch einmal ein. Der Darsteller des Mörders, der Edward mit einem glühenden Eisenstab zu Tode fickt, spielte vorher die Rolle des geliebten Gaveston. Das ist ebenso befremdlich wie Edwards Ermordung, die hinter einem schwarzen Vorhang passiert, den zwei Folterknechte plötzlich diskret hochhalten - als wollte Engel derlei dem Publikum nicht zumuten. So mogelt sich der Regisseur um alles herum, was Marlowes "Edward II." bis heute brisant macht: Sex, Politik und die Frage, wer denn auf welchem Wege die Macht im Staat erringt und behält.

Christopher Marlowe: Edward II. Regie: Wolfgang Engel. Bühne: Franz Koppendorfer. Mit Guntram Brattia, Ulrike Krumbiegel, Daniel Morgenroth, Tom Quaas, Tim Lang
Kammerspiele des Deutschen Theaters, Berlin, Schumannstr. 13
Weitere Vorstellungen: 18., 21. Februar