Dracula zeigt die Zähne

Ausländische Investoren verabschieden sich nach den Bergarbeiterstreiks von Rumänien

"Haben Sie das eben gehört?" fragte ein Konferenzteilnehmer seinen Nachbarn und wiegte nachdenklich die Kopfhörer der Dolmetscheranlage in seiner Hand, als würde er ihrer Funktionstüchtigkeit nicht ganz trauen.

In der Tat rief die Wortmeldung eines Gastes aus Rumänien bei der internationalen Konferenz über "Transeuropäische Netze" in Warschau im November 1994 einiges Erstaunen hervor. Der Sektionschef des rumänischen Verkehrsministeriums hatte vollmundig erklärt, sein Land wolle noch im Laufe der nächsten zwei Jahre Mitglied der Europäischen Union sein. Und tatsächlich stellte Rumanien am 22. Juni 1995 sein Beitrittsgesuch.

In Warschau hatte es noch den Anschein, bei der Ankündigung habe es sich nur um ein Mißverständnis gehandelt; denn ein Land, dessen Wirtschaft nach wie vor unter massivem Einfluß des Staates steht, in dem die Strukturreform hinter allen marktwirtschaftlichen Erwartungen zurückbleibt, könne, so die allgemeine Auffassung, nicht ernsthaft erwarten, Vollmitglied in der Union zu werden. Zumal das durchschnittliche EU-Bruttoinlandsprodukt pro Kopf damals 76 Prozent über dem von Rumänien lag und das monatliche Durchschnittseinkommen in dem Land gerade mal umgerechnete 65 Euro erreichte. So wurde die Absichtserklärung in das Reich der Proklamationspolitik verwiesen - eine in Rumänien lang geübte Praxis der Realitätsverweigerung.

Fünf Jahre später ist das Land mit seinen Beitrittsbemühungen nicht weit vorangekommen. Im Gegenteil. Die wirtschaftliche Situation hat sich noch verschlechtert. So waren in der Ceausescu-Ära die rumänischen Planwirtschaftler noch stolz darauf gewesen, als eines der wenigen Länder der Erde keinen Kredit bei der Weltbank aufgenommen zu haben. Bei einer winterlichen Raumtemperatur von höchstens zwölf Grad Celsius konnten sich darüber allerdings nur wenige Rumänen freuen.

Nach Ceausescus Sturz stürzten sich Weltbank und Internationaler Währungsfonds (IWF) daher begierig auf den hoffnungsverheißenden Balkan-Staat. Geblieben ist davon nicht viel. Heute, neun Jahre später, will der IWF dem mit drei Milliarden US-Dollar auslandsverschuldeten Land nur dann einen neuen Kredit gewähren, wenn das Staatsdefizit entscheidend verringert wird. Im vergangenen Sommer schon hatte der IWF die Zahlungen an Rumänien eingestellt. Das fünfte Abkommen zwischen Fonds und Bukarest war unter anderem daran gescheitert, daß die versprochene Privatisierung der Staatsbetriebe unterblieb.

Der IWF fordert von der Regierung, unrentable Wirtschaftsbereiche aufzugeben und Kürzungen vor allem in den Sozialausgaben durchzusetzen. Ansonsten gibt es keine neuen Kredite.

Neue Verhandlungen sollten, so wollte es der IWF, erst nach dem Beschluß eines Spar-Haushaltes beginnen. Unter diesem Druck billigte das Bukarester Parlament Anfang Februar die Eckdaten des Regierungsentwurfs für den Staatshaushalt: Die geplanten Ausgaben liegen jetzt bei rund 93 000 Milliarden Lei, an Einnahmen sind fast 87 000 Milliarden vorgesehen.

Angesichts dieses dünnen Budgets klingen sogar den hartgesottensten rumänischen Finanzexperten die Ohren. Einige von ihnen haben sich in einer eigenen rechtsliberalen Partei Alternative Rumänien (AR) zusammengeschlossen - sie ist erst vor wenigen Monaten aus dem bürgerlich-liberalen Regierungsbündnis "Demokratische Konvention" ausgeschieden. Zentraler Kritikpunkt der AR: die Streichung von Steuervergünstigungen für ausländische Investoren.

In heftigen Parlamentsdebatten attackierten sich Regierung und Gegner des Sparkurses mit harschen Worten. Angesichts leerer Staatskassen erklärte Ministerpräsident Radu Vasile, daß kein Haushalt möglich sei, mit dem man die Wirtschaft ankurbeln könne. Um das Staatsdefizit unter zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu drücken, müßten zumindest die steuerlichen Begünstigungen für ausländische Unternehmen aufgehoben werden.

Dagegen protestierte sofort der Rat der Ausländischen Investoren in Rumänien (CIS). Vor Erregung bebend sagte deren Vorsitzender, der Niederländer Anthony van Heijden (ING-Bank), daß diese Rahmenbedingungen so dramatisch seien, daß selbst den Rumänen nur noch übrigbleibe "auszuwandern".

Immerhin spricht er damit für 60 ausländische Unternehmen. Die wollen nun ihre Investitionspläne eingehend überdenken, zumal Rumänien innerhalb von zwei Jahren die entsprechende Gesetzgebung bereits fünfmal geändert hat. Mittel- oder langfristige Pläne sind nicht mehr zu erkennen. Finanzminister Decebal Traian Remes schürte die Empörung noch zusätzlich mit der Bemerkung, daß sich die großen strategischen Investoren ohnehin keinen Rückzug aus Rumänien leisten könnten - schließlich stünden ihre Investitionen in Höhe von Hunderten Millionen US-Dollar auf dem Spiel.

Nun sieht es so aus, als ob sich die Regierung definitiv zwischen der Gunst von IWF und Weltbank und dem Weiterbestehen der CIS entscheiden muß. Unterstützung erhalten die ausländischen Firmen von mehr als 30 Organisationen rumänischer Unternehmer. Sie beklagen lautstark, daß die Regierung ihren Plan, die Verluste der staatlichen Wirtschaft um 30 Prozent zu verringern, auf Kosten der kleineren Betriebe erreichen will.

Während sich die Wirtschaftskrise zuspitzt, beschwert sich Staatspräsident Emil Constantinescu über mangelnde Solidarität der Westeuropäer mit seinem Land. "Der eiserne Vorhang von 1989" würde jetzt durch einen "Vorhang aus Samt ersetzt". Dabei galt der Christdemokrat selbst lange als Hoffnungsträger für eine schnelle Integration Rumäniens in den Westen: Er beseitigte seit 1996 alte Grenzstreitigkeiten mit den unbeliebten Nachbarn Ungarn und Ukraine und hoffte damit, den Weg in EU und Nato geebnet zu haben. Dem gleichen Ziel soll die Durchsetzung des neoliberalen Schockprogramms dienen, das u.a. die Schließung der nicht konkurrenzfähigen Bergwerke, Stahlindustrie und anderer Staatsbetriebe vorsieht.

Doch jetzt sucht Constantinescu eher im Reich der Psychologie nach Erkenntnissen als auf dem Feld der Wirtschaft. Er sorgt sich um ein "allgemeines Gefühl des Mißtrauens Rumäniens Reformregierung gegenüber", vor allem in Deutschland. Denn erst nach den gewalttätigen Bergarbeiterprotesten im Januar habe man in Brüssel verstanden, daß Rumäniens Mitte-Rechts-Koalition geholfen werden müsse. Mit ihrem "Marsch auf Bukarest" haben die 10 000 Bergarbeiter aus den Kohlerevieren im Jiu-Tal einen Schaden von 130 Milliarden Lei (9,81 Millionen Euro) angerichtet - doch viel schlimmer ist der Imageverlust Rumäniens und die Erkenntnis, daß es beim nächsten Mal vielleicht nicht bei 10 000 Kumpels bleiben könnte.

Die Bergarbeiterproteste Anfang der neunziger Jahre brachten zwar schon die erste postkommunistische Regierung zu Fall. Im diesjährigen Arbeitskampf stand jedoch viel mehr auf dem Spiel. Andere Gewerkschaften wie der regierungsfreundliche Gewerkschaftsbund CNSRL Fratia stellten sich an die Seite der Streikenden. Deren radikalste Spitzen, wie der extremistische Arbeiterführer Miron Cosma, wurde mittlerweile gekappt (die rechtsextreme, nationalistische Großrumänienpartei PRM schloß den Anführer des "Marsches auf Bukarest" sogar aus), doch die Gegner des Sparkurses der Regierung sind trotzdem stark geblieben. Wenn Großunternehmen wie der Autohersteller Dacia ihre Angestellten nach beendetem Streik in Sonderurlaub schicken müssen, weil Produktion und Verkauf zusammengebrochen sind, finden die Agitatoren der von früheren Securitate-Offizieren geführten PRM erst recht wieder fruchtbaren Boden.

Daß gerade Dacia derzeit mit Renault über den Verkauf von 51 Prozent seiner Anteile verhandelt, wird die Situation momentan kaum entspannen können. Pikantes Detail: Renault, der als einziger ausländischer Investor auf die Ausschreibung von Dacia reagiert hat, zögert. Der Grund: Der französische Konzern will ohne Steuervorteile nicht auf den Deal einsteigen. Doch solche Vorteile werden sich in Zukunft in Rumänien wohl nur mehr über den Weg der Hinterziehung erwerben lassen.