Italien will 250 000 Migranten legalisieren

Römischer Doppel-Paß

Viele der Reaktionen sind in Deutschland bestens bekannt: Da wird gegen "Illegale" gepöbelt, die bereits da seien; ein "neuer Massenansturm" wird beschworen, der Italien "überschwemme"; "der Rassismus" werde "geschürt", deswegen müsse man nun in die Offensive gehen.

Auch die Ursache der Reaktionen weist Ähnlichkeiten zur deutschen Situation auf: Die italienische Mitte-Links-Regierung kündigte vergangene Woche an, mehreren hunderttausend in Italien lebenden Menschen einen italienischen Paß zu geben, ohne daß die Papiere aus den Herkunftsländern damit ungültig würden. Die Voraussetzungen für die Einbürgerung könnten von Otto Schily stammen: fester Wohnsitz, fester Arbeitsplatz, keine Einträge im Strafregister.

Und doch ist alles anders. Es geht nicht um Leute, die schon seit Jahrzehnten in Italien leben und nun für ihr langes Steuerzahler-Dasein belohnt werden sollen, sondern um Flüchtlinge. Innenministerin Russo Jervolino präsentierte eine Gesetzesvorlage, nach der knapp 250 000 Flüchtlinge künftig legal in Italien leben können. 38 000 Menschen werden jährlich durch ein Einwanderungsgesetz integriert, 200 000 Migranten, die bis Ende des vergangenen Jahres einen Aufnahmeantrag gestellt haben, dürfen auch bleiben.

Zudem sollen in Italien geborene Kinder von Nicht-Italienern, wenn es nach Jervolino geht, hinzukommen. Zwar müssen sie sich wohl irgendwann entscheiden; aber nicht für die eine oder die andere Staatsangehörigkeit (wie es nach dem "liberalen" Kompromißmodell in Deutschland diskutiert wird), sondern für die italienische oder die doppelte Staatsangehörigkeit.

Italiens Rechte - von Forza Italia bis zu den Neofaschisten der Alleanza Nazionale (AN) - läuft Sturm: im Abgeordnetenhaus, in den Medien und demnächst vermutlich auch auf den Straßen. Parlamentarische Kommissionen werden gefordert, die Berlusconi-Presse sieht den Untergang Italiens nahen, Massendemonstrationen werden vorbereitet. Auf die Idee, die rassistischen Teile der Bevölkerung unter dem Motto "Ich bin nichts, ich kann nichts, ich geb' euch meine Unterschrift" zu einer anderen Form aktiver Protest-Teilnahme zu bewegen, ist allerdings noch niemand gekommen.

Das mag damit zu tun haben, daß in den vergangenen Jahren Flüchtlinge in Italien meist anders begrüßt wurden als in Deutschland: Fliegen zwischen Frankfurt/Oder und Frankfurt/Main als Willkommensgruß traditionell Molotow-Cocktails oder zumindest Fäuste, brachten viele Italiener Nahrungsmittel, ausgemusterte Kleidung und Kinderspielzeug zu den Flüchtlingslagern.

Auch ein Teil der italienischen Rechten zeigte sich bei solchen Anlässen von seiner besten Seite: Mehrfach wurden AN-Bürgermeister aus dem Süden Italiens bei Bestechungsversuchen beobachtet. Flüchtlinge sollten mit kleineren Geldsummen in die verlassenen Dörfer des Mezzogiorno gelockt werden. Denn dort will sonst kaum noch jemand für ein paar hundert Lire am Tag Oliven auflesen oder für Unterkunft, Verpflegung und ein Taschengeld im Akkord malochen.

Nicht wenige albanische und kurdische Flüchtlinge sind diesen Einladungen in die postfeudalen Ausbeutungsverhältnisse des Mezzogiorno gefolgt. Den Migranten brachte dies zumindest die Sicherheit, nicht wieder abgeschoben zu werden, den meist rechten Bürgermeistern steigende Steuereinnahmen und Fördermittel aus Rom und Brüssel. In so manchem Dorf des katholischen Südens wurde auch die traditionelle Familienstruktur und der Kinderreichtum der Neuankömmlinge mit Freude vermerkt.

Indem die italienische Regierung nun den Status der Flüchtlinge legalisiert und ihnen mit dem italienischen Paß auch Bewegungsfreiheit (innerhalb Italiens und der EU) garantiert, zieht sie den Zorn der AN-Dorfoberen auf sich. Zusammen mit dem traditionellen Blutsrassismus der Rest-AN, dem Wohlstandsrassismus der Lega Nord - der schon ein Süditaliener zwischen Mailand und Verona ein "Wirtschaftsflüchtling" zu viel ist - und dem kulturellen und Sicherheits-Rassismus der Forza Italia ergibt sich wieder eine gemeinsame Basis der ansonsten verfeindeten Rechtsparteien.

Dennoch macht sich die italienische Regierung zur Zeit weniger Sorgen um die eigene Rechte. Mehr Druck erwartet Innenministerin Jervolino von der Linken aus den EU-Staaten - vor allem aus Deutschland.