Facharbeiter bevorzugt

Michael Meuser befragte Männer nach ihrem Selbstbild

Rätselhafte Männer: Obwohl man bereits in den siebziger Jahren in diversen Männergruppen zusammensaß, hat die Männerforschung bis heute wenig zum Gender-Thema beigetragen, und die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Männlichkeit steckt noch immer in ihren Anfängen. Zwar konnte die Männerforschung von der Frauenforschung profitieren, dennoch stand die Situation des eigenen Geschlechts verständlicherweise im Zentrum feministischer Studien, so daß das Verhalten von Männern dabei selten explizit analysiert wurde.

Anders als im anglo-amerikanischen Raum bildeten sich "Männerstudien" in Deutschland erst in jüngster Zeit heraus. Mit einem nun vorliegenden Band des Bremer Soziologen Michael Meuser wird in Deutschland die Position von Männern im Verhältnis der Geschlechter erstmals einer umfassenden Untersuchung unterzogen. Ein solches Unterfangen ist kaum möglich ohne theoretische Neuorientierung in der Männer- bzw. Geschlechterforschung. Nach Meusers Einschätzung mangelt es gerade den Männerstudien bislang sowohl an theoretischer wie empirischer Substanz.

Um grobe Vereinfachungen im Sinne eines pauschalen Täter-Opfer-Schemas zu vermeiden, konzentriert Meuser sich in seiner Studie "Geschlecht und Männlichkeit. Soziologische Theorie und kulturelle Deutungsmuster" auf geschlechtsspezifische Dominanzverhältnisse, wie sie z.B. auch zwischen unterschiedlichen Gruppen von Männern bestehen können. Mit diesem Ansatz knüpft er an Robert Connells Konzept der "hegemonialen Männlichkeit" an. "Männlichkeit" wird hier nicht mehr im Singular gedacht, sondern als Prinzip verstanden, das sich je nach Alter, Schichtzugehörigkeit oder sexueller Orientierung differenziert.

Das kulturelle Leitbild einer Gesellschaft der "hegemonialen" Männlichkeit kann dabei immer nur von einem Teil der männlichen Bevölkerung erfüllt werden. Dennoch orientieren sich auch die meisten "marginalisierten" Männer an diesem Idealtypus, da sie über die hegemoniale Form der Männlichkeit an der Unterdrückung der Frauen zumindest symbolisch teilhaben können: "Auch wer nicht in der Lage ist, durch sein Einkommen Frau und Kindern ein von finanziellen Sorgen freies Leben zu ermöglichen, verteidigt das Leitbild des Mannes als Familienernährer bzw. begreift sich gar als ein solcher und trägt damit zur Reproduktion der Geschlechterordnung bei."

Auf diese Weise läßt sich auch erklären, warum Leitbilder kulturell prägend bleiben können, die nur (noch) von wenigen Männern erreicht werden.

In Anlehnung an Pierre Bourdieu führt Meuser den Terminus eines "Geschlechtshabitus" ein, womit er eine Verbindung zwischen der strukturtheoretischen Ebene und der des Alltagshandelns zu schaffen versucht. Geschlecht existiert und reproduziert sich nur über eine entsprechende soziale Praxis der Individuen. Der Geschlechtshabitus wird dabei als das "generierende", in die Körper kulturell eingeschriebene Prinzip verstanden, über das das System der Zweigeschlechtlichkeit grundlegend organisiert wird.

So wird gewährleistet, daß das individuell unterschiedlich ausgeprägte doing gender die für Männlichkeit bzw. Weiblichkeit vorgesehenen Konventionen nicht preisgibt. Die sozialen Praktiken im hierarchisch strukturierten Geschlechterverhältnis werden so nahezu unhinterfragbar. Meuser argumentiert mit Bourdieu, daß ein Leben gemäß dem jeweils in einer gesellschaftlichen Sphäre gültigen Habitus eine "selbstbewußte Zustimmung zum habituellen Schicksal" erzeugt, eine "habituelle Sicherheit", ein Urvertrauen in die Übereinstimmung des individuellen Handelns mit einer stabilen Ordnung herstellt. Wenn allerdings die Instabilität der Geschlechterordnung auch den Mann betrifft, so stellt sich die Frage, ob Selbstbilder und Lebenspraxen von Männern mittlerweile nicht von fundamentalen Unsicherheiten bestimmt sind.

Ausdruck dieses männlichen Selbstzweifels ist der Boom der sogenannten Männerverständigungsliteratur, eines Genres, in dem nicht selten Auflagenhöhen im sechsstelligen Bereich erreicht werden. Während die in den siebziger Jahren entstandenen Schriften den Mann noch als ein psychisches Defizitwesen begriffen und dazu neigten, die Frau als den vollkommeneren Menschen zu überhöhen, arbeiten in den Neunzigern zwei Fraktionen daran, ein neues männliches Selbstbewußtsein zu schaffen. Innerhalb der Männerbewegung vollzieht sich schrittweise eine Abkehr von der Ausrichtung am Feminismus. "Wilde Männer" orientieren sich vielmehr an einer "authentischen Männlichkeit", an spirituellen Vorstellungen von spezifisch männlicher Energie und der Notwendigkeit männlicher Initiationsriten.

Dezidiert antifeministisch artikuliert sich der Maskulinismusdiskurs, der von einer Rückbesinnung auf die gefährdete Männerherrlichkeit bestimmt ist. Doch selbst der Maskulinismus zeigt die zunehmende Brüchigkeit männlicher Identitätskonstrukte, denn nur dort, wo traditionelle Gewißheiten abhanden gekommen sind, erwächst die "Notwendigkeit" einer Rückbesinnung auf Traditionen.

Da kollektive Orientierungen nicht nur diskursanalytisch hergeleitet werden können, steht die Auswertung von insgesamt dreißig Interviews im Mittelpunkt des empirischen Teils der Untersuchung. Anhand der Eingangsfrage ("Was bedeutet es für Sie, ein Mann zu sein?") sollten die Interviewpartner dem "fraglos Gegebenen" ihrer Männlichkeit in Gruppendiskussionen Ausdruck verleihen.

Ergebnis: Eine Männlichkeit in der hegemonialen Form und damit ein Maximum an habitueller Sicherheit läßt sich nur noch bei den über 50jährigen Männern finden, die lebensgeschichtlich entweder erst sehr spät oder gar nicht mit der Frauenbewegung konfrontiert wurden. Der Mann sieht sich hier noch uneingeschränkt in der traditionellen Rolle als Familienoberhaupt und Ernährer; die Frau wird als "von Natur aus" anders betrachtet, ihre "eigentliche Bestimmung" sei demnach in der häuslichen Sphäre zu suchen, unabhängig davon, daß in vielen Familien real die ökonomische Notwendigkeit von Frauenerwerbsarbeit besteht.

Die selbstbewußte Zustimmung zum eigenen Geschlecht findet sich aber durchaus auch bei jüngeren Männern, allerdings ist die habituelle Sicherheit hier schon weitaus geringer. Vor allem junge Männer aus dem studentischen Milieu sind ständig mit "feministischen Irritationen" konfrontiert, sie fühlen sich durch Frauen unter ständigen Legitimationsdruck hinsichtlich ihrer Privilegien gesetzt. Sie reagieren darauf aber in der Regel mit einer "aufgeklärten Doppelmoral" und dem strategischen Rückzug in die homosoziale Männergemeinschaft.

Auffällig gering ist die habituelle Sicherheit bei den Teilnehmern von "Männergruppen". Ständige Reflexion und Infragestellung der eigenen Geschlechtsidentität führen hier zum Leiden am eigenen "Mann-Sein" oder verstärken bereits bestehende Rollenkonflikte. Aus der Politisierung des Geschlechterverhältnisses folgt offenbar weniger eine durchgreifende Überwindung althergebrachter Rollen als die Unfähigkeit, im Alltag pragmatische Verhandlungslösungen zwischen den Geschlechtern zu finden. Die damit nicht selten einhergehende Tendenz, sich insgeheim nach der Sicherheit klassischer männlicher Rollenangebote zu sehnen, setzen die sogenannten wilden Männer mit ihrer Suche nach der "spirituellen Wiedergeburt" des authentischen Mannes um.

Eine "handlungspraktisch folgenreiche Modernisierung von Männlichkeit" stellt Meuser dagegen unter jungen Facharbeitern fest, einer Gruppe, die eher in dem Ruf des Mackertums steht. Ohne jede lebensweltliche Konfrontation mit dem Feminismus scheint sich hier eine egalitär-pragmatische Orientierung durchzusetzen. Der Kategorie "Geschlecht" wird von den Befragten dieser Gruppe jede Bedeutung abgesprochen, die Benachteiligung von Frauen, etwa auf dem Arbeitsmarkt, aber durchaus wahrgenommen und kritisiert. Einen "Wesensunterschied" zwischen den Geschlechtern sehen diese Männer nicht, das Frauenbild dieses Milieus ist von allen untersuchten das bei weitem egalitärste.

Auch für den Verfasser der Studie muß dieses Ergebnis überraschend gewesen sein, widerspricht es doch zunächst Meusers Theorie von der Wirkungsmächtigkeit des männlichen Geschlechtshabitus. Dennoch liegt gerade hierin eine Herausforderung für die Männerforschung: Diese muß sich zukünftig nicht nur von ihrer Mittelschichtzentriertheit lösen, sondern neben den kollektiven Orientierungen auch den konkreten Alltagspraxen von Männern mehr Beachtung schenken.

Michael Meuser: Geschlecht und Männlichkeit. Soziologische Theorie und kulturelle Deutungsmuster. Leske & Budrich, Opladen 1999, 327 S., DM 48