Griechen opfern Öcalan

Die Entführung des PKK-Chefs sorgt in Griechenland für eine Regierungskrise und einen kleinen Börsen-Crash

Seit der Verschleppung des PKK-Chefs Abdullah Öcalan aus Kenia in die Türkei dreht sich in Griechenland alles nur noch um ein Thema: die Kurden und die Frage nach dem "Wie" von Öcalans Verhaftung. Allein, die Rolle Athens in der Affäre ist weiterhin nicht eindeutig geklärt. Vergangene Woche reisten drei kurdische Leibwächterinnen von Öcalan und ein Angehöriger des griechischen Geheimdienstes EYP aus Kenia nach Griechenland aus. Aber bis zum Wochenende wurden Pressevertreter daran gehindert, mit ihnen in Kontakt zu treten.

Der EYP-Major Savas Kalenteridis war ständiger Begleiter des PKK-Chefs, seit der von Griechenland nach Kenia gebracht worden war. Am 17. Februar hatte Kalenteridis mit seinem Bruder und einem Fernsehsender telefoniert - aus der griechischen Botschafterresidenz in Nairobi, in der sich Öcalan vor seiner Verschleppung in die Türkei zwölf Tage lang aufgehalten hatte. In diesen Telefonaten hatte Kalenteridis der griechischen Regierung vorgeworfen, mit dem türkischen Geheimdienst und der CIA zusammengearbeitet zu haben. Er selbst und der griechische Botschafter hätten bis zuletzt versucht, Öcalan zu schützen. Nun wird versucht, Zweifel an seiner Glaubwürdigkeit zu schüren: Der griechische Justizminister Evangelos Jannopoulos bezeichnete Kalenteridis letzte Woche als Doppelagenten, der auch für den israelischen Geheimdienst Mossad arbeite.

Auch die Aussagen der Öcalan-Leibwächterinnen passen der griechischen Regierung nicht ins Konzept. Denn nach der Version von Ministerpräsident Kostas Simitis hat Griechenland als "einziges europäisches Land seine Pflicht erfüllt" und versucht, dem PKK-Chef zu helfen; der Ausgang sei "unglücklich" verlaufen. Demgegenüber hatte eine der drei nun nach Griechenland ausgeflogenen Mitarbeiterinnen Öcalans bereits am 13. Februar gesagt, der Flug Öcalans von Griechenland nach Kenia sei nicht abgesprochen gewesen; sie hätten das Versprechen bekommen, nach Den Haag zu fliegen.

Die Affäre um Öcalan wurde zum Desaster für die regierende Panhellenistische Sozialistische Partei (Pasok). Drei Minister, unter ihnen Außenminister Theodoros Pangalos, mußten bereits den Hut nehmen - ein Versuch der Schadensbegrenzung. Und auch der Chef des griechischen Geheimdienstes, Haralambos Stavradakis, wurde entlassen.

Nach der sogenannten Katastrophe von Nairobi hatten alle Oppositionsparteien den Rücktritt von Ministerpräsident Kostas Simitis gefordert. Der solle zu seiner Verantwortung stehen, da er vorab über alle Schritte seiner Minister informiert war, meinte der rechte Oppositionsführer Kostas Karamanlis. Die griechische kommunistische Partei (KKE) prangerte das "sozialdemokratische, heuchlerische Europa der Schröders, Blairs, Jospins, D'Alemas und Simitis'" an, die nun "hinter der Maske der Menschlichkeit ihre wahre Fratze" gezeigt hätten. Sie forderte "das Volk" auf, auf der Straße für die Freiheit von Öcalan und Kurdistan zu kämpfen.

Im Gegensatz zu Deutschland, wo außer einigen kleinen Solidaritätsgruppen kaum jemand mit den Kurden sympathisiert, tut dies in Griechenland die Mehrheit der Bevölkerung. Von rechtsradikalen und nationalistischen Gruppen über Sozialisten, die konservative Nea Demokratia bis hin zu den Kommunisten oder linksradikalen Kleinstparteien besteht Einigkeit: Der Feind meines Feindes - und das ist für griechische Nationalisten die Türkei - ist mein Freund. Solidaritätskonzerte, Demonstrationen und Besetzungen von Parteibüros oder auch der Akropolis in Athen waren an der Tagesordnung und fanden große Beachtung in den Medien.

Auf wiederholte Presseberichte aus der Türkei, Öcalan habe gestanden, daß in Griechenland PKK-Guerillas ausgebildet worden waren, wurde medial gekontert: In Nachrichtensendungen wurden Bilder aus dem türkischen Fernsehen übertragen, auf denen Öcalan offenbar mit Psychopharmaka ruhig gestellt war. Experten erläuterten dazu ausführlich, welches Mittel welche Wirkungen hervorruft und wie dies mit Folter verknüpft werden kann. Und immer wieder wurde betont, daß Öcalan in den Händen der Verhörspezialisten ein willenloses Spielzeug ist, das zu jeder gewünschten Aussage bewegt werden kann. Sowohl Regierung als auch Medien wiesen die türkischen Angriffe, Griechenland sei wegen der Verwicklung in den Fall Öcalan ein "Schurkenstaat", deshalb als Propaganda eines "Unrechtsstaates" zurück.

Ansonsten versuchte Simitis, innerhalb der Pasok die Wogen zu glätten. Nach dem Mini-Crash an der Athener Börse, der am Dienstag vergangener Woche durch Panikverkäufe von Anlegern nach Gerüchten über einen bevorstehenden Rücktritt der Regierung ausgelöst worden war, erschien Simitis mit kompletter Regierungsmannschaft vor den Kameras. Er betonte, die Regierung werde ihren Weg in die EU unbeirrt fortsetzen. Gleichzeitig griff er in scharfer Form die Türkei an und kündigte die Einsetzung eines parlamentarischen Ausschusses an, der die Ereignisse, die zur Verhaftung Öcalans geführt hatten, untersuchen soll.

Mit der Einsetzung des Ausschusses verfolgt er zwei Ziele: Zum einen kommt die Pasok damit der Opposition zuvor, zum andern erhofft man sich eine Ruhepause vor allzu scharfer Kritik, da nunmehr auf die Arbeit des Ausschusses verwiesen werden kann. Die Börse zumindest hat sich nach Simitis' Ankündigung wieder erholt.