Geschlachtetes Material

Beim WM-Auftakt der Formel Eins gewann aus deutscher Sicht zwar das richtige Auto, am Steuer saß jedoch der falsche Fahrer

Jahrzehntelang beantworteten deutsche Sportler die Frage, was sie denn nach Beendigung ihrer Laufbahn später werden wollten, mit einem klaren "Kioskbesitzer!" Einen eigenen kleinen Laden selbständig zu führen, erschien den Fußballspielern der fünfziger und sechziger Jahre - damals waren die Kicker die einzigen, die überhaupt Geld mit ihrem Sport verdienen konnten - als Erfüllung eines großen Traums. Nur wenige dachten daran, außerhalb einer ehrenamtlichen Tätigkeit als Trainer irgendeines Kreisklassenclubs auch weiterhin vom Sport zu leben, denn selbst die großen Vereine hätten sich damals keine größeren Mengen Altstars leisten können.

In den siebziger Jahren änderten sich die Berufswünsche der Sportstars, man verdiente mehr Geld, das jedoch in vielen Fällen von unseriösen Finanzberatern veruntreut oder falsch angelegt wurde, viele versuchten, auch nach der aktiven Zeit einen sportlichen Job zu finden, indem sie z.B. die Trainerlizenz machten oder Spielervermittler wurden.

Die Fußballspieler führen die internationalen Geldranglisten jedoch schon lange nicht mehr an, Großverdiener sind mittlerweile Tennisstars oder Rennfahrer. Für die ersten Vertreter dieser Spezies stellt sich allerdings nun langsam auch die Frage danach, was sie denn nach Beendigung ihrer sportlichen Laufbahn tun wollen. Boris Becker, der mit einer eigenen Mercedes-Niederlassung in Ostdeutschland für Schlagzeilen sorgte, wird seine Tage jedoch sicherlich nicht als Autoverkäufer verbringen wollen, denn die beruflichen Möglichkeiten für ehemalige Spitzensportler haben sich extrem verbessert, ein hochdotierter Beratervertrag ist z.B. immer möglich.

Selbst Rennfahrer müssen nach Beendigung ihrer Formel-Eins-Karriere nicht mehr in Indycars über holprige Strecken fahren, die Rennen der noch aktiven Kollegen kommentieren oder als sogenannte Berater ihres ehemaligen Rennstalls ein mit Werbeaufklebern garniertes buntes Käppi in Fernsehkameras halten: Der argentinische ehemalige Fomel Eins-Pilot Carlos Reutemann annoncierte nun, im Oktober zum Präsidenten seines Landes gewählt werden zu wollen. Der Peronist wird dabei vom noch amtierenden Präsidenten Carlos Menem unterstützt. Menem kann offiziell nicht zum dritten Mal kandidieren, deutete jedoch schon an, demnächst vom obersten argentinischen Gericht klären zu lassen, ob eine weitere Amtszeit nicht doch verfassungsgemäß sein könnte - bis es soweit ist, gilt Reutemann als sein Favorit. Auf einem Wahlparteitag im April werden die Peronisten ihren endgültigen Kandidaten bestimmen.

Von den derzeit noch aktiven Rennfahrern sind solche Ambitionen nicht bekannt, am letzten Wochenende drehte sich beim Formel-Eins-Saisonauftakt in Melbourne alles nur um Reifenfragen, Rundenzeiten und günstige Positionen.

Ginge es nach dem Willen des Besitzers der Formel Eins, Bernie Ecclestone, dann könnte man sich die ganze Rennerei allerdings gleich ganz sparen, wie schon im Vorjahr hatte er auch zu Beginn dieser Saison angedeutet, den Titel am liebsten an Michael Schumacher zu vergeben. Ferrari muß endlich Weltmeister werden, der Glamour der italienischen Automarke würde auch auf die Formel Eins abfärben, die mittlerweile an ihre Grenzen gestoßen zu sein scheint. Die Einschaltquoten sind stabil bis rückläufig, neue Zuschauer- und Fankreise konnten nicht erschlossen werden, alle Versuche, Rennen auch in Ländern wie China stattfinden zu lassen, die bisher noch als unerschlossen gelten und die über einen großen potentiellen Markt verfügen, sind bisher gescheitert.

Im letzten Jahr hatten die Formel-Eins-Bosse deswegen alles in ihrer Macht stehende getan, um dem Ferrari-Fahrer Michael Schumacher zum Titel zu verhelfen. Umsonst - Weltmeister wurde Mika Häkkinen, ein Mann, der sich bei öffentlichen Auftritten erkennbar unwohl fühlt und der auch noch eine recht unspektakuläre Marke, McLaren-Mercedes, vertritt. Die prompt nach den ersten Erfolgen als "deutsch" reklamiert wurde - was zumindest in Deutschland für einige Begeisterung rund um Häkkinens Titelgewinn führte -, und auswärts eher als langweilig und bieder gilt.

Und die trotz der vom Management immer wieder betonten Anknüpfung an alte Mercedes-Silberpfeil-Traditionen nicht mit dem Ferrari-Mythos mithalten kann - die roten Autos haben weltweit einen legendären Ruf.

Schon nach dem ersten Training sah es für den Ecclestone-Favoriten Ferrari allerdings nicht besonders gut aus, Häkkinen und Coulthard konnten die Konkurrenz um Sekunden hinter sich lassen, die Startaufstellung fürs Rennen war dann die, die schon im letzten Jahr die Zuschauer so sehr gelangweilt hatte: Zwei McLaren vor einem Ferrari, der dann zu allem Überfluß auch noch kurz vor Rennbeginn ein Problem hatte. Schumacher, der noch tags zuvor verkündet hatte: "Morgen im Rennen wird neu gezählt!" bekam seinen Karren einfach nicht in Gang und mußte, Regeln sind Regeln, als letzter starten, während sich vorne Häkkinen und Coulthard schon nach wenigen Runden klar absetzten. In Autos, von denen man allerdings annehmen mußte, daß sie nichts weiter waren als Erfüllungswerkzeuge für die Ecclestone-Pläne, denn Rennleiter Norbert Haug hatte in den Tagen zuvor immer wieder betont: "Wenn ich die Wahl habe zwischen einem schnellen, aber unzuverlässigen Wagen und einem zuverlässigen langsamen, dann werde ich immer dem schnellen den Vorzug geben." Technisch noch nicht ganz ausgereift, lautet der Fachausdruck für solche Autos, die sich vor allem dadurch auszeichnen, daß sie im ungünstigsten Moment nicht nur kaputtgehen können, sondern es auch unweigerlich tun werden - Weltmeister wird man mit sowas auf keinen Fall.

Aber als Hinterherfahrer auch nicht, deswegen versuchte Schumacher verzweifelt, die Konkurrenz wieder einzuholen, was ihm zunächst auch ganz gut gelang, denn die vor ihm Liegenden machten entweder bereitwillig Platz oder fielen gleich ganz aus. Und als Schumacher nach ungefähr 20 Runden zwar bereits an vierter Position, aber auch schon mit absolut aussichtslosem Abstand hinter den beiden McLaren-Fahrern lag, da griff die Rennleitung zu ihn unterstützenden Maßnahmen:

Nach einem kleinen Unfall bewahrheitete sich erneut die Theorie, nach der eine Safety-Car-Phase immer dann angesetzt wird, wenn sie Ferrari nutzt, und auch diesmal wurde Schumacher mit Hilfe des Sicherheitsfahrzeuges, hinter dem sich alle Autos aufreihen müssen, bis das Rennen wieder freigegeben wird, an die Konkurrenz herangeführt. Rubens Barrichello hingegen, der in den Runden zuvor deutlich schneller als der Wanna-be-Weltmeister gewesen war und der so ganz eindeutig dem großen Plan im Weg stand, wurde bei der Gelegenheit gleich eine zehnsekündige Stop and Go-Strafe auferlegt, so daß aus Sicht der Rennleitung alles Menschenmögliche getan war.

Jetzt mußte Schumacher nur noch gewinnen. Nachdem der erste McLaren sich dann auch in der 16. Runde programmgemäß verabschiedete - Coulthard hatte Hydraulikprobleme -, sah es zunächst auch ganz gut für ihn aus. Denn der vor ihm liegende Ralf Schumacher, soviel hatte der schon in der letzten Saison bewiesen, bekommt in einer solchen Situation sofort unerklärliche Probleme mit seinem Auto, die erst dann zu Ende sind, wenn der große Bruder ihn überholt hat. Und auch diesmal würde, da waren sich die Kommentatoren ganz sicher, der Wagen wieder durch irgendein kurzfristiges Leiden sehr, sehr langsam werden. Zuvor verlangsamte sich allerdings der zweite McLaren, beim führenden Mika Häkkinen mochte ebenfalls die Hydraulik nicht mehr, was Rennleiter Haug später mit einem: "Ich bin enttäuscht, weil die gute Arbeit des Teams nicht belohnt wurde" kommentierte.

Nur wenig später erwischte es dann aber auch Schumacher I, sein Hinterreifen flog in einzelnen Fetzen auf der Strecke herum, während sich der Vorderflügel einfach nur verbogen hatte. Was im normalen Leben endlose Nervereien in überteuerten Werkstätten bedeutet, ist in der Formel Eins jedoch schnell repariert, das geschlachtete Material wurde in Rekordzeit ersetzt. Die fünfzigste Rennfahrt im Ferrari brachte dann für Schumacher noch weiteren Ärger, wegen eines kaputten Lenkrads mußte er erneut an die Box fahren und beendete das Rennen schließlich, mit einer Runde Rückstand, als Achter und letzter, 14 Fahrer hatten unterwegs aufgeben müssen.

Die Ferraristi Eddie Irvine, Heinz-Harald Frentzen und Ralf Schumacher durften vom Siegerpodest aus mit Sekt spritzen, während Michael Schumacher sich vielleicht schon einmal Gedanken über seine Zeit danach machte. Nur noch bis zum Jahr 2002 werde er Rennen fahren, hatte er vor einigen Wochen verkündet, aber vielleicht kommt das Karriere-Ende jetzt doch ein bißchen schneller als geplant. Denn Ecclestone will zwar ausdrücklich einen Ferrari-Piloten als nächsten Weltmeister haben, aber wie der heißt, dürfte ihm egal sein. Und im knallroten Team werden immer demjenigen die besten technischen Voraussetzungen geboten werden, der die meisten Punkte hat.

Erkennbare Interessen außerhalb der Autofahrerei hat Schumacher bisher nicht gezeigt, Kioskbesitzer will er wohl, soviel ist anzunehmen, nicht werden. Immerhin scheint er an Politik - von einschlägigen Stammtischparolen abgesehen - absolut kein Interesse zu haben, so daß man sich doch wohl nur auf einen neuen RTL-Ko-Kommentatoren einrichten muß.