Tichomir Ilievski

»Mazedonien ist kein Nato-Aufmarschgebiet«

Mehr als 100 000 Menschen aus dem Kosovo sind seit Beginn der Nato-Angriffe nach Mazedonien geflohen. Die Regierung fürchtet, daß der anhaltende Flüchtlingsstrom die "ethnische Balance" in dem 2,2 Millionen Einwohner zählenden Land zerstören könnte. Gleichzeitig sind bereits 13 000 Nato-Soldaten in Mazedonien stationiert. Sie sollten ursprünglich ein mögliches Friedensabkommen im Kosovo überwachen. Jetzt könnte das Land mit einer 221 Kilometer langen Grenze zum Kosovo Ausgangspunkt eines Nato-Bodenkriegs gegen Jugoslawien werden. Tichomir Ilievski ist Staatssekretär im mazedonischen Außenministerium in Skopje.

Der nationale Sicherheitsrat in Mazedonien hat am Samstag beschlossen, die Aufnahme von Flüchtlingen zu stoppen und nur noch Flüchtlinge ins Land zu lassen, die von anderen Staaten aufgenommen werden können. Warum?

Wochen vor Beginn der Luftangriffe der Nato auf Jugoslawien haben wir, die mazedonische Regierung, angekündigt, daß wir höchstens 20 000 Flüchtlinge aufnehmen können. Inzwischen sind 125 000 Flüchtlinge in unserem Land und wir schätzen, daß weitere 125 000 Kosovo-Albaner auf einen Grenzübertritt warten. Unsere Kapazität ist mehr als erschöpft.

Die Staaten der EU haben zwar versprochen, Sie finanziell und logistisch zu unterstützen, aufnehmen will die EU aber kaum Flüchtlinge.

Wir sind sehr enttäuscht und unzufrieden. Die griechische Regierung hat erst vor kurzem 2 000 Flüchtlingen die Einreise verwehrt. Aus den Staaten der EU und unseren Nachbarstaaten kommen immer nur Versprechungen. Immerhin hat der deutsche Bundeskanzler Gerhard Schröder jetzt angekündigt, einige Flüchtlinge aus Mazedonien aufzunehmen. Wir warten dringend darauf, daß dies jetzt wirklich geschieht.

Sie werden von internationalen Beobachtern kritisiert, an der Grenze zu Jugoslawien Dienst nach Vorschrift zu machen und den Grenzübertritt der Flüchtlinge unnötig zu erschweren.

Was sollen wir sonst tun? Kontrollen und die Feststellung der Personalien sind unsere einzige Möglichkeit, den Flüchtlingsstrom wenigstens ein bißchen unter Kontrolle zu halten. Außerdem müssen wir verhindern, daß es zu illegalen Grenzübertritten kommt. Ganz wichtig ist auch zu wissen, wer da überhaupt kommt. Nochmal: Unser Limit ist mehrfach überschritten. Wir müssen auf Hilfe von der EU und der Nato hoffen.

Rund ein Viertel der mazedonischen Bevölkerung sind albanischer Herkunft. Haben Sie Angst vor einem Aufleben des albanischen Nationalismus?

Wir befinden uns tatsächlich in einer sehr ernsten Situation. Unsere Bevölkerungsstruktur wird derzeit verschoben, die Flüchtlingsströme bringen die sensible Balance unserer ethnischen Gruppen durcheinander. Das ist um so gefährlicher, als entgegen den Meldungen der Presse nicht alle Flüchtlinge an der Grenze aufgehalten werden, sondern viele bei albanischen Familien in unserem Land unterkommen. Wenn es noch mehr Flüchtlinge werden, bricht das alles hier zusammen. Schließlich dürfen wir nicht vergessen, daß die Kosovo-Albaner vielleicht andere Erwartungen haben und das friedliche Zusammenleben zwischen Mazedoniern, Albanern und Serben in unserem Land möglicherweise nicht verstehen können. Wir haben große Angst um die Zukunft unseres Landes, denn wir haben kein anderes.

Wie stehen Sie zu den Luftangriffen der Nato?

Wir haben in den letzten beiden Wochen gesehen, daß diese Luftangriffe bislang nicht zu einer Lösung führen. Das Problem ist viel zu komplex, um es mit einigen Bomben lösen zu können. Früher oder später wird man sich ernsthaft überlegen müssen, ob es nicht vernünftiger wäre, an den Verhandlungstisch zurückzukehren.

Haben Sie Angst, in diesen Krieg hineingezogen zu werden?

Ich möchte es ganz klar sagen: Das ist nicht unser Krieg. Dennoch stehen wir am Rande einer kriegerischen Auseinandersetzung und müssen sehr genau aufpassen. Wir bleiben die Nachbarn Jugoslawiens und müssen an guten Beziehungen interessiert sein. Abgesehen von der politischen und militärischen Komponente ist dieser Krieg auch eine schwere Belastung für unsere Wirtschaft. Wir waren einmal eine Teilrepublik Jugoslawiens, und noch aus dieser Zeit heraus resultieren sehr gute Handelsbeziehungen mit Jugoslawien. Es ist ganz klar, daß Jugoslawien bisher unser wichtigster Handelspartner war und diese Beziehungen nun völlig abgebrochen sind. Es wird Jahre dauern, bis diese wirtschaftlichen Beziehungen wieder hergestellt sind, zumal auch die ökonomische Situation in Jugoslawien durch diese Krise sehr angespannt ist. Wir dürfen da Hilfe von der EU erwarten.

Offiziell plant die Nato zwar noch nicht, Bodentruppen zu entsenden. Wenn es aber doch dazu kommt: Werden Sie dann Mazedonien als Aufmarschgebiet für diese Truppen zur Verfügung stellen?

Auch wir haben von solchen Überlegungen der Nato gehört. Ich darf Ihnen ganz deutlich sagen: Wir werden niemals erlauben, daß Mazedonien das Aufmarschgebiet der Nato wird. Wir haben einzig und allein zugestimmt, daß die Nato hier eine Friedenstruppe stationiert, die aber keinesfalls an kriegerischen Auseinandersetzungen mit der jugoslawischen Armee beteiligt sein darf. Sie war vorgesehen, das Abkommen von Rambouillet zu überwachen. Für Kampfeinsätze steht Mazedonien nicht zur Verfügung, und das machen wir den Nato-Politikern auch ganz deutlich.

In Mazedonien gibt es auch eine serbische Minderheit, die sich ganz klar gegen die Stationierung dieser Friedenstruppe gewandt hat. Wie verhalten sich die Serben in Ihrem Land jetzt?

Es gab da sehr aggressive Statements, und es gab sehr aggressive Handlungen, nicht nur in Skopje, sondern auch in anderen Teilen des Landes. Es kam sogar zu Attacken auf Vertreter der Kosovo-Mission der OSZE, die ja nun in Skopje stationiert sind. Aber ich würde nicht sagen, daß die Serben hier tatsächlich zu einer großen Attacke auf die internationale Friedenstruppe ansetzen würden; und sie hätten auch gar keine Möglichkeit dazu.

Will Mazedonien Mitglied der Nato werden?

Ja. Wir glauben, daß die Nato das einzige zukunftsträchtige kollektive Sicherheitssystem in Europa bilden könnte. Deshalb werden wir in den nächsten Wochen auch dringende Appelle an die Nato richten, uns aufzunehmen. Ebenso dringend wollen wir in die EU. Wir haben viel zu bieten, aber nach diesen Ereignissen hier werden wir auch für die nächsten Jahre Hilfe brauchen.