Bewegte Fototapeten

Mit den "Nacktfaltern" hat der Mitteldeutsche Rundfunk das Bildschirmschoner-Genre revolutioniert

Wann immer man sich Anfang der achtziger Jahre über US-amerikanischen Stupidität mokieren wollte, wurde das dortige TV-Programm als Beleg herangezogen. Dort gab es Sender, die tatsächlich rund um die Uhr Programm ausstrahlten, selbst dann, wenn es strenggenommen nichts mehr zu senden gab. Neben dem 24-Stunden-Wetterkanal, da waren sich alle einig, bestand die größte Idiotie darin, den Zuschauern nach Sendeschluß ein Video vorzuführen, in dem ein Kaminfeuer brannte. War das schwachsinnig!

Denn schließlich, darin war man sich einig, mußte auch mit dem täglichen Programm irgendwann einmal Schluß sein - in Deutschland hatte zum Beispiel galt jahrzehntelang, daß Sendungen wochentags spätestens um ein Uhr nachts eingestellt werden mußten.

Nur ganz selten waren Ausnahmen gestattet. Die Hamburger Sturmflut des Jahres 1962 war beispielsweise keine, die Bitte des Seewetteramtes, nach dem Spielfilm-Ende noch eine Warnung an die Bevölkerung durchzugeben, wurde von den TV-Verantwortlichen abschlägig beschieden. Hätte ja jeder kommen können. Denn das selbstauferlegte Nachtsendeverbot wurde nur bei besonderen Gelegenheiten gelockert. Unter die Rubrik "Ausnahme" fielen lediglich Boxkämpfe von Cassius Clay/Muhammad Ali, Mondlandungen oder Konzerte - die WDR-Produktion "Rockpalast" durfte in den Siebzigern bis zum frühen Morgen gezeigt werden, auch deswegen erlangte sie Kultstatus.

Ansonsten galt jedoch der eherne Grundsatz, daß nachts bestenfalls das Testbild Sendeberechtigung hatte. Anfangs noch in strengem Schwarz-Weiß ausgestrahlt, später mit bunten Balken versehen, bildeten die geometrischen Formen mit Stationskennung das Nachtprogramm. Das änderte sich erst Mitte der achtziger Jahre, als private Fernsehsender zugelassen wurden. Deren Programmschema unterschied sich nicht nur diametral von dem der Öffentlich-Rechtlichen - bis auf Sat.1 dachte beispielsweise kein Kommerzsender daran, zum Übertragungsende die deutsche Nationalhymne abzuspielen -, man verblüffte auch sonst mit Innovationen. Tele 5, inzwischen schon längst pleite gegangen und durch Pro 7 ersetzt, führte en passant sogar das 24-Stunden-Programm ein.

Nachts wurden zwar nur Wiederholungen gezeigt, aber immerhin war damit die bisherige Sendelücke geschlossen. Andere Anstalten folgten diesem Beispiel. Die öffentlich-rechtliche Lösung sah dagegen anders aus. Mit dem Ende des DDR-Fernsehens im Jahr 1990 wurden neue Sendeanstalten gegründet; den Bereich Brandenburg deckt der ORB ab, dessen Intendant Hans-Jürgen Rosenbauer sogleich eine Neuerung präsentierte: Nach Sendeschluß zeigte man dort nicht etwa das Testbild, sondern ein mit Zierfischen gefülltes Aquarium.

Die Idee war geklaut. Schon in den siebziger Jahren hatte der norwegische Staatssender NRK schlaflose Zuschauer mit Zierfischen unterhalten. Die Klientel des ORB zeigte sich jedoch anfangs nicht restlos begeistert vom Zuschauer-Fishing des Senders. Zahlreiche empörte Anrufe gingen beim Sender ein. Anlaß zur Sorge boten nach Meinung der Brandenburger Landbevölkerung gleich mehrere Aspekte: Zum einen konnten eine Lampe und ein Aquarium, nachts mit einer Kamera allein gelassen, eine Menge Unheil anrichten, da außer den Zuschauern niemand zur Stelle war, um aufzupassen, daß die Fische nicht verkochten oder an Stromstößen verendeten.

Zum anderen schien nicht gewährleistet, daß die Viecher nicht verhungerten, denn niemals war zu sehen, daß sie gefüttert wurden. Nachdem das Prinzip des Loopens erklärt worden war, herrschte Ruhe, aber da waren auch schon andere Sender auf den Dreh mit der Nachtunterhaltung gekommen: Der SFB zeigte im Nachtprogramm S-Bahn-Fahrten durch Berlin; bei RTL 2 loderte ein eher halbherzig in Szene gesetztes Kaminfeuer, dem jedwede Dramaturgie fehlte. TV Berlin, eine außerhalb der Hauptstadt völlig zu Recht unbekannte, nur von Lokalnachrichten unterbrochene Abspielstation obskurer Produktionen, persiflierte schließlich die zu Ruhm gelangten ORB-Fische mit in irgendeinem Berliner Hallenbad aufgenommenen und zu einem Endlosband zusammengeschnittenen Nixen.

Das Vorbild kam aus England, wo Videokassetten unter dem Titel "Gay Fishing" verkauft wurden, die schöne nackte Jungs im Wasser paddelnd vorführen. Die TVB-Nixen zeichneten sich dadurch aus, daß sie nackte Brüste zeigten und mitsamt ihren eher unbeholfen designten blaugrünschillernden Fischschwänzen ziemlich lange unter Wasser bleiben konnten, ohne Luft zu holen.

Als Publikumsmagnet blieben sie jedoch wirkungslos, denn bei den Privaten wurden um diese Zeit die Wiederholungen des Nachmittagsprogramms durch Werbung für Telefon-Sex-Lines unterbrochen - nackte Frauen ohne Fischschwanz wirkten unbedingt anregender.

Das ZDF, lange Zeit ohne einschlägigen Bildschirmschoner, erneuerte das Genre, indem es Autofahrten sendete: Eine auf dem rechten Beifahrersitz postierte Kamera wurde bei gutem Wetter durch irgendeine deutsche Landschaft gefahren, dazu lief das aktuelle Rundfunkprogramm des Deutschlandfunks. Dabei kamen in den Filmchen all die Dinge vor, die schon das Live-Autofahren unerträglich machen: Staus, Baustellen, Drängler und Geschwindigkeitsbegrenzungen.

Die rechte Hand der ansonsten unsichtbaren Fahrerin zeigt jedoch niemals irgendeine Regung, völlig unbeeindruckt vom auf bundesdeutschen Straßen tobenden Chaos wird geschaltet und gelenkt. Nur mit höchster Konzentration gelingt es, die Route zu erahnen. Aber die Zuschauer scheinen trotzdem begeistert mitzugehen und darauf zu warten, daß das eigene Dorf irgendwann über den Sender geht. Das ZDF dokumentiert auf seiner Autofahrten-Videotext-Seite nicht nur ausführlich den geplanten Streckenverlauf, sondern warnt auch ausdrücklich: "Seit Schließung der Nachtlücke kann es vorkommen, daß einzelne Strecken nicht zu Ende gefahren werden können."

Das Publikum für die Bildschirmtapete ist zwar da, nur an entscheidenden Innovationen fehlte es bislang. Das Neueste auf diesem Gebiet kann jetzt jedoch dienstags, zwischen zwei und drei Uhr beim MDR bestaunt werden. Dann wird dort die Sendung "Nacktfalter" ausgestrahlt, bei der es, grob gesagt, um das Erotikverständnis in den Grenzen der ehemaligen DDR und ausdrücklich um nackte Frauen geht. Die dort gezeigten Bilder von exotischen Faltern werden regelmäßig überblendet mit Großaufnahmen nackter Meck-Pommetten, die in maroden Gewächshäusern aufgelöster LPG stehen und sich zu enervierender Lala-Mucke räkeln.

Manchmal ist auf dem Po einer dieser dauergewellten Blondinen tatsächlich ein aufgemalter Schmetterling zu sehen, manchmal auch nicht, aber darum geht es bei der Sendung, deren Ziel wahrscheinlich eine flammende Anklage gegen den treibhäuserzerstörenden Kapitalismus ist, sowieso nicht. Den Zuschauer nachdenklich zu machen wird das Ziel sein, darüber, wie das alles soweit hat kommen können und wer daran verdient, und warum nicht endlich jemand aufsteht und "Schluß damit" sagt. Schluß damit.