Die Linke und der deutsche Krieg

Während die Grünen zu Kriegsbefürwortern mutiert sind, haben PDS und Radikale Probleme mit ihrer Kritik am Krieg

17. Januar 1991: In der Nacht fliegt die Anti-Irak-Allianz ihre ersten Luftangriffe gegen Bagdad, der Zweite Golf-Krieg hat begonnen. Nach den ersten Bomben auf die irakische Hauptstadt gehen am Vormittag bundesweit Zehntausende auf die Straßen, um gegen den Angriff des westlichen Militär-Bündnisses zu protestieren. Vereint unter der anti-imperialistischen Losung "Kein Blut für Öl" machen drei Monate nach der deutschen Wiedervereinigung die Überbleibsel der Friedensbewegung der achtziger Jahre ein letztes Mal massenhaft mobil.

Auch in Frankfurt am Main. Mit dabei auf der Abschlußkundgebung im Stadt-Zentrum vor der Alten Oper: der damalige Fraktionschef der Grünen im hessischen Landtag. Sein Name: Joseph Fischer. Acht Jahre nach seinem Aufbegehren gegen den "völkerrechtswidrigen Angriff auf einen souveränen Staat" steht er 1999 als Außenminister der Bundesrepublik Deutschland auf der anderen Seite der Barrikaden.

Wie die meisten seiner Mitstreiter von 1991 auch. Das, was Fischer und die große Masse der Friedensbewegung damals ablehnte - die Militarisierung der deutschen Außenpolitik -, vertritt er heute an oberster Stelle: Sein Plädoyer für das Völkerrecht und gegen militärische Interventionen haben Fischer und die Regierungs-Grünen eingetauscht gegen das "Recht auf humanitäre Intervention" - den Bruch von Uno-Charta, Grundgesetz und grünem Parteiprogramm eingeschlossen: Um die "nur von den Nationalsozialisten und Stalin gekannte Deportation eines ganzes Volkes" im Kosovo zu stoppen, so Fischer stellvertretend für die Mehrheit seiner Partei, müsse nun eben auch gegen den jugoslawischen Präsidenten Slobodan Milosevic gebombt werden.

Ein weiter Weg - von Bagdad nach Belgrad, von Hans-Dietrich Genscher zu Joseph Fischer: Reichte den Anti-Militaristen von 1991 die Scheckbuchdiplomatie des damaligen Außenministers, um hunderttausendfach gegen die deutsche Kriegsunterstützung zu protestieren, rührt sich heute kaum Protest. Weder innerhalb der Pazifisten von einst, den Grünen - noch von seiten der außerparlamentarischen Linken. Abgesehen von den Ostermärschen, die am vorletzten Wochenende einige Zehntausend mehr Menschen anzogen als in den Jahren zuvor, läßt sich die Bewegung gegen den Nato-Krieg bundesweit in einigen Tausenden messen - und das, obwohl die Bundeswehr im Gegensatz zum Golf-Krieg direkt an der Intervention beteiligt ist.

Bald zehn Jahre nach dem Mauerfall haben sich die deutschen Verhältnisse auf eine Weise "normalisiert", die Widerstand gegen den ersten Angriffskrieg seit 1945 unter Beteiligung deutscher Soldaten in der öffentlichen Wahrnehmung entweder als "illusionär", "sinnlos" oder "zynisch" erscheinen lassen. Das, was Helmut Kohl zwei Wochen nach Beginn des Golf-Krieges in seiner Regierungserklärung formulierte, hat auch die bundesdeutsche Linke in eine Position gedrängt, aus der heraus sie sich kaum noch zu artikulieren vermag: "Deutschland hat mit seiner Geschichte abgeschlossen", erklärte Kohl schon 1991, "es kann sich künftig offen zu seiner Weltmachtrolle bekennen und soll diese ausweiten."

Die Rolle, die die Grünen 1991 in der Anti-Kriegsbewegung einnahmen, vertritt heute stellvertretend die PDS. Als einzige der im Bundestag vertretenen Parteien haben die demokratischen Sozialisten gegen den Angriff auf Jugoslawien gestimmt. Im Rückgriff auf die vom damaligen US-Präsidenten George Bush während des Golf-Krieges geprägte Formel von der "neuen Weltordnung" machte Gysi im Parlament klar, wovon heute kein Grüner mehr reden mag. Den Nato-Unterstützern hielt er die Uno-Charta vor, die nur dem Sicherheitsrat das Entscheidungsrecht über Militäreinsätze gewährt: "Die Nato hat ihm diese Entscheidung aus der Hand genommen; sie hat sich damit von den UN abgekoppelt. Ich sage Ihnen: Das zerstört eine Weltordnung."

So richtig die Kritik Gysis, so falsch die Schlußfolgerung, bei der PDS-Führung handele es sich um das letzte anti-militaristische Gremium der Bundesrepublik. Daß die vor allem am Wegscheiden ihrer älteren Genossen kränkelnde Ost-Sozialdemokratie bis zum Wochenende knapp 300 Neu-Eintritte verbuchen konnte, mag die PDS-Parteispitze freuen - von den falschen Argumenten gegen den Nato-Einsatz verabschieden wird sie sich deswegen noch lange nicht: So war es der Ehrenvorsitzende Hans Modrow, der die Gefühlslage der PDS-Mehrheit getroffen haben dürfte, als er das Verhalten der Anti-Milosevic-Alliierten bei den Verhandlungen von Rambouillet mit Hitlers Eroberungspolitik und dem Münchner Abkommen von 1938 verglich. Seit diesem Vertrag, so Modrow, "hat es kein schamloseres Diktat gegenüber einem souveränen europäischen Staat gegeben".

So wie auch andere PDS-Repräsentanten ihr Nein zum Einsatz der Nato stets mit einer Verteidigung, zumindest aber Relativierung der Rolle Milosevics verknüpfen, so ergeht es auch der außerparlamentarischen Linken, vor allem den Anti-Deutschen: Als ob man, um gegen die Militär-Schläge der westlichen Allianz zu demonstrieren, den serbischen Nationalismus verharmlosen müßte.

Und doch, das zeigt die Debatte um die Rolle Milosevics bei der Zerschlagung des Kosovo-Autonomiestatus und der Frage nach Ursache und Wirkung des Separatismus der UCK, haben Anti-Deutsche dabei eines vergessen: Der jugoslawische Präsident hat spätestens seit seinem Aufstieg zum serbischen KP-Chef Ende der achtziger Jahre auf die nationalistische Karte gesetzt, hat mit seiner autoritären Politik gerade nicht den Zusammenhalt des "multi-ethnischen" Jugoslawien gefördert, sondern ganz entschieden zur Zerstörung der Föderation beigetragen. Nicht allein die groß-albanische Propaganda der UCK, auch Milosevic heizte den Konflikt an, indem er den Mythos vom "heiligen serbischen Boden", dem Amselfeld als "Wiege der serbischen Kultur" wiederbelebte. Ganz zu schweigen von der spätestens seit 1998 in Gang gesetzten Zerstörung der Lebensgrundlagen Zehntausender von Menschen, den Verteibungen ganzer Dorfbevölkerungen.

"Diese Tatsachen kleiner zu machen", schreibt die autonome Gruppe L.U.P.U.S. in ihrem neuesten Papier, "weil wir deren Instrumentalisierung ohnmächtig ausgeliefert sind, wäre politisch untragbar." Sie zu relativieren oder aber gegen den deutschen Rassismus auszuspielen, ebenfalls. Eine Argumentation gegen die deutsche Kriegs-Beteiligung, wie von Jürgen Elsässer auf der konkret-Veranstaltung "Wollt ihr den totalen Friedenseinsatz?" in Berlin vorgetragen, mag polemisch verlockend erscheinen: Ausgerechnet die Deutschen, deren Rassismus zwischen 1989 und 1995 viel mehr Ausländer zum Opfer gefallen seien als Albaner im selben Zeitraum den Serben, würden per Bundeswehr-Einsatz nun, so Elsässer letzte Woche, Menschenrechtsverletzungen sühnen wollen. Der - angesichts ihrer Schwäche - ersten Aufgabe der deutschen Linken, die Dominanz der herrschenden Kriegsberichterstattung zu durchbrechen, hilft eine so zweifelhafte Arithmetik nicht weiter.

Zu Recht haben Anti-Nationale die von seiten der Bundesregierung spätestens seit dem Beginn der Kriege im früheren Jugoslawien Anfang der neunziger Jahre betriebene und von den Medien aufgenommene Ethnifizierung des Sozialen auf dem Balkan kritisiert und die ebenfalls von Deutschland forcierte Parzellierung nach völkischen Kriterien richtig analysiert. Auch daß der bosnische Präsident Alija Izetbegovic seinen bosnischen Staat nach eben diesem Muster konstruierte und der von deutschen Regierungen umhegte kroatische Präsident Franjo Tudjman seine Staatsgründung nördlich der Save nur mit Massenvertreibungen und offenem Antisemitismus vollziehen konnte - um der Verlogenheit des deutschen Mainstreams etwas entgegenzusetzen, waren diese Anmerkungen bitter nötig.

Bloß: In der Debatte um die Nato-Angriffe gegen Jugoslawien reichen die Belege für den Schluß, es handele sich hier um ein deutsches Projekt, nicht aus. Mögen die Vereinigten Staaten nach Ausbruch der bewaffneten Auseinandersetzungen in der südserbischen Provinz im Frühjahr 1998 noch stärker auf eine diplomatische Lösung des Konflikts gedrängt haben als die deutschen Minister, so haben die USA spätestens seit den Leichenfunden von Racak im Januar 1999 innerhalb der Nato am stärksten auf einen raschen Militär-Schlag gegen Jugoslawien gedrängt.

So richtig die Kritik Thomas Beckers an der Rolle Deutschlands bei der Verschärfung des Kosovo-Konflikts (Dossier, S.18, "Good bye, America!") ist, so gewagt ist seine Schlußfolgerung: Nicht "die offene Blamage Amerikas und mithin die Zerschlagung der Nato als der letzten Bastion der europäischen Nachkriegsordnung" steht zur Debatte, sondern die Selbstimplementierung des Militär-Bündnisses auch in künftigen Konflikt-Fällen. Unter Ausschaltung der Uno und mit der offenen Beteiligung deutscher Soldaten.