Ghostbusters

"Menschenkind" - Jonathan Demmes Leinwanddrama um Schuld und Sühne in der Sklavenhaltergesellschaft USA

Geschichte und Erinnern sind zur Zeit das große Thema der populären Kultur. Die jüngsten Filmerfolge basieren auf großen historischen Ereignissen, man denke an "Titanic" oder "Soldat James Ryan" oder auch "Der schmale Grat". Der Oscar-prämierte "Das Leben ist schön", der Auschwitz als Hintergrund einer Komödie zeigt, ist ungemein populär geworden. Und in Deutschland feiert ZDF-Historiker Guido Knopp mit seinen Geschichtsreihen Quotensiege.

Natürlich ist man dabei mit einer bestimmten Auffassung von Geschichtsschreibung konfrontiert, und die Diskussion um das Für und Wider solcher Filmprojekte kreist nicht zuletzt um die Formen der Darstellung: Zeigt Steven Spielberg die echte Invasion, wenn er Bilder des Fotografen Robert Capa nachstellt, der am Angriff der Alliierten teilnahm? Ist ein Schiffsuntergang eine Tragödie für die ganze Menschheit? Kann Kate Winslet das Schicksal besiegen? Verdeutlichen Bilder bunter Vögel die Sinnlosigkeit von Kriegen, wenn sie im "Schmalen Grat" zwischen die Kriegshandlungen geschnitten werden? Darf sich Robert Benigni über die SS mokieren und auch noch den Oscar kassieren? Ist Knopp gemein, weil er die Nation mit Menschheitstragödien vor dem Fernseher zu halten vermag?

Bei diesen Fragen scheint es in den Feuilletons immer wieder auf Stilelemente anzukommen; die Kommentatoren gehen der Frage nach, ob denn ihr Bild von den Geschichtsbildern bestätigt oder widerlegt wird. Es geht also um die Frage, ob der Film denn gut gemacht sei. Die populäre Kultur mag diese Frage nicht, bzw. sie stellt sie erst gar nicht. Die große Erinnerungsmanufaktur Pop, die sich Geschichte jeweils mit eigenen Gesetzen nähert, produziert zum Bild ihr Gegenbild.

Historische Täter und Opfer sind dem Pop eine wichtige Angelegenheit. Die große Kulturmaschine Hollywood beschäftigt sich zuweilen auch mit einer gesellschaftlichen Tragödie - mit der Geschichte der Schwarzen in den USA -, die seit einem Jahrhundert irrtümlich als die Erfolgsgeschichte gelungener Integration verkauft wird. (Dennoch sind die meisten Todeszellenkandidaten Schwarze etc.) Durch welche Formen und Techniken Erinnerung wirken kann, damit hat sich Jonathan Demme in seinem Film "Menschenkind" (nach einem Roman von Toni Morrison) beschäftigt.

"Menschenkind" ist eine sehr freie Übersetzung des Originaltitels "Beloved". Das bedeutet soviel wie "Geliebtes" oder "Liebling", und das trifft auch das Ansinnen des Films ein wenig besser. "Beloved" steht auf einem schmucklosen Grabstein des Dorffriedhofs am Rande von Cincinnati im Jahr 1865. Das Mädchen, das hier begraben liegt, bleibt namenlos. Seine Mutter Sethe, gespielt von Amerikas TV-Legende Oprah Winfrey, war einst Sklavin auf der Plantage Sweet Home im benachbarten Staat Kentucky, und auch 18 Jahre nach der dramatischen Flucht mit ihren drei Kindern - mit dem vierten war sie schwanger - findet sie keinen Frieden.

Der Geist des jüngsten Kindes sucht sie und ihre Tochter Denver (Kimberly Elise) immer wieder heim. Als Paul (Danny Glover), Sethes früherer Weggefährte und Leidensgenosse, wieder in ihr Leben tritt, scheint sie doch noch Aussicht auf ein wenig Glück zu haben. Doch die fröhliche Stimmung wird durch mysteriöse Vorkommnisse gedämpft: Sehte wird von starken Schuldgefühlen geplagt, und immer wieder wird sie von einem bösen Geist gequält.

Sethe verdrängt ein Schicksal, das mit ihrer Geschichte als Sklavin verbunden ist: Auf der Plantage war es zu schweren Übergriffen der weißen Bevölkerung gekommen. Der Plantagenbesitzer, ein Dorfschullehrer, hatte ein Pogrom veranlaßt. Während die Sklaven zusammengeschlagen oder getötet wurden, wurde die schwangere Sethe vergewaltigt. Sie hatte zuvor fliehen wollen; doch ihr Mann war nicht zu dem verabredeten Treffpunkt gekommen. Deshalb war sie zu der Plantage zurückgekehrt. Ihren Mann sah sie nie wieder, und sie empfindet ihm gegenüber noch jetzt großen Haß. Erst Paul klärt Sethe darüber auf, warum ihr Mann damals plötzlich verschwunden war. Er sei dort gewesen in jener Nacht und habe gefesselt mitansehen müssen, wie die Weißen sich an Sethe vergingen. Über seine - und ihre - Hilflosigkeit habe er den Verstand verloren.

Sethe gelang die Flucht mit den Kindern in den benachbarten Bundesstaat Ohio. In einem Boot brachte sie Tochter Denver zur Welt. Sie rettete sich zu ihrer Schwiegermutter Baby Suggs, die in der schwarzen Gemeinschaft Cincinnatis als Predigerin eine herausragende Rolle spielte. Eines Tages tauchte der Dorfschullehrer auf, um Sethe zurückzuholen. Doch Sethe hatte sich entschieden, unter keinen Umständen wieder in Unfreiheit zu leben; vor allem ihren Kindern wollte sie die Sklaverei ersparen. Völlig außer sich, versuchte sie, die zwei Jungs mit einer Schaufel zu erschlagen; doch sie wurden gerettet. Der jüngeren Schwester jedoch sägte sie den Hals durch, und nur Denver blieb unverletzt.

Eines Tages finden Mutter Sethe und Tochter Denver eine schöne junge Frau (Thandie Newton) vor der Tür des Hauses, die sich Menschenkind nennt. Sie hat Sprach- und motorische Störungen und eine Narbe an ihrer Kehle. Menschenkind, die Wiedergängerin der getöteten Tochter, sucht vor allem die Nähe Sethes. Aber bald wird ihre Anwesenheit zu einer unerträglichen Belastung, Menschenkind treibt die Familie in den Ruin. Sie verführt Paul und wird von ihm schwanger. Schockiert verläßt Paul das Haus, zumal er erfahren muß, das Sethes Liebe zu anderen Menschen so stark ist, daß sie dafür töten würde.

Sethe kündigt ihren Job als Köchin, um sich fortan nur noch um Menschenkind zu widmen. Als Menschenkind eines Abends ein von Sethe erfundenes Lied summt, erlangt sie Gewißheit darüber, daß Menschenkind der verlorene Liebling ist, den sie selbst umbrachte.

Doch die junge Frau verfällt zusehends dem Wahnsinn und tyrannisiert Sethe und Denver. Sethe flüchtet sich in eine Krankheit, denn die eigene Biographie ist zu schockierend, als daß sie sie ertragen kann, und zu erdrückend, um sie zu verdrängen. Es ist ihr Körper, der reagiert, nicht ihr Verstand. Nur so kann sie sich der Erkenntnis entziehen, daß sie zu den Menschen gehört, die mit Gewalt an Schutzbefohlenen reagieren, wenn sie selbst Gewalt ausgesetzt sind.

Während einer Versammlung schwarzer Frauen vor dem Haus Sethes verschwindet Menschenkind spurlos. Die Frauen hatten gemeinsam versucht, durch religiöse Lieder den bösen Geist, der Sethe quälte, aus dem Hause zu vertreiben. Eine erschreckende Szene: Menschenkind steht brüllend und nackt wie eine entfesselte Furie auf der Veranda.

Nicht nur dieses Erlebnis ist der Auslöser dafür, daß Denver endlich bereit ist, das Haus zu verlassen, sich eine Arbeit zu suchen. Den Schritt zum bewußtem Handeln hatte auch Sethes Erzählung vom Schicksal ihrer eigenen Mutter bewirkt, die von Weißen gehängt worden war, als sie selbst noch ein kleines Mädchen war. Und Sethe hatte den Lynchmord sogar mitansehen müssen.

Denver bekommt eine Stelle, und den weiteren Verlauf ihres Lebens beschreibt sie sehr positiv, als ihr eines Tages Paul wiederbegegnet: "Vielleicht werde ich eines Tages studieren." Der Kreis schließt sich: Aus der einstigen Sklavengeneration sind für kurze Zeit hoffnungsfrohe Menschen geworden. Paul beschließt nun seinerseits, die kranke Sethe zu pflegen.

"Menschenkind" dürfte zu den anstregendsten Filmen dieses Jahres gehören, und dafür hat Demme auch schon kräftig Verrisse geerntet. In der Tat ist diese Drei-Stunden-Marter an nervenzerrenden Szenen kaum zu überbieten, und das scheint bei den neueren Versuchen zum Thema Sklaverei ein stilbildendes Mittel zu sein. (Wer's nicht glaubt, sollte sich John Singletons Massaker-Epos "Rosewood", ebenfalls drei Stunden lang, in der Videothek ausleihen.)

Hier überschreitet das Kino eine Schmerzgrenze, der Film wirkt wie eine düster lackierte Leinwand, die sukzessive Erzählweise wird auf die Spitze und darüber hinweg getrieben. Völlig überspannt wird die Erwartungshaltung des Zuschauers in den ersten zweieinhalb Stunden, wenn es um die Rekonstruktion des Schicksals von Sethe geht. Mehr als einmal glaubt man, daß die Handlung stagniert und der Regisseur keinen Ausstieg aus der Szene findet.

Doch zu erzählen haben Demmes Akteure genug: Ihre Leistung läßt nichts

zu wünschen übrig. Allen voran Oprah Winfrey, die nicht nur im Fernsehen eine freche Schnauze haben kann, sondern eine sehr ausdrucksstarke Schauspielerin ist. Tja, TV-Moderatoren: In anderen Ländern drehen sie ambitionierte Kinodramen, in Deutschland saudoofe Mediensatiren.

Das Projekt "Popkultur als Erinnerungstechnik" ist eine schwere Prüfung. Wer "Menschenkind" bis zum Ende durchhält, wird belohnt, am Ende gelingt die Synthese von Geschichte und Einzelschicksal; der Film erzählt kunstvoll von den Schwierigkeiten der Darstellung von Verdrängung und Erinnerung und nicht zuletzt von der Verknüpfung von persönlicher Schuld und Schicksal im amerikanischen Film. Und damit haben wir es für diesmal auch schon hinter uns.

"Menschenkind". USA 1997/98. R: Jonathan Demme. D: Thandie Newton, Oprah Winfrey. Start: 15. April