Walser-Debatte: Klaus von Dohnanyi legt noch mal nach

Hauptsache Deutschland

"Wir Deutschen müssen uns einerseits sehr hart vor Augen führen, was für schreckliche und unfaßbare Verbrechen durch Deutsche verübt wurden, denn nur wenn wir uns dessen bewußt sind, können wir andererseits auch von den positiven Deutschlands und von der deutschen Geschichte sprechen, die wir vor lauter Vergangenheitslast oft gar nicht mehr sehen wollen." Das sagt ein Mann, der einerseits und immerhin an "Amerika" toll findet, "wie hart dort die Debatten geführt werden" - denn er ist sich bewußt, daß es in Deutschland "zu viel Gedankenfeigheit" gibt -, andererseits aber findet, "daß ein so mächtiger Mann wie Ignatz Bubis den Schriftsteller Martin Walser nicht unwidersprochen einen 'geistigen Brandstifter' nennen darf."

So selbstbewußt wie Klaus von Dohnanyi in einem Interview mit dem Tagesspiegel spricht nur ein Sieger. Und Dohnanyi, der gern so etwas wie der preußische Pate der SPD sein möchte, ist der Sieger der Walser-Debatte. Weil es ihm gelungen war, den Eindruck zu erwecken, es sei ihm um Deeskalation im Sinne der Aufrechterhaltung des alten Gedenkkonsenses - wasch mich, aber mach mich nicht naß - gegangen, wurde seine Auffassung, die Verbrechen seien nicht von, sondern "durch Deutsche verübt worden", weshalb es auch keinen Grund gebe, sie sich nicht "hart" wie ein Brett vor Augen zu führen, als Vermittlungsversuch wahrgenommen.

Eines seiner Lieblingswörter ist "hart". "Harte" Debatten, wie er sie aus den USA zu kennen meint, sind nach seinem Geschmack. Daß er zugleich von den "positiven Deutschlands" spricht und sich über den Machtmißbrauch Bubis' beklagt, gehört bei ihm zum Handwerk und ist keineswegs Anzeichen einer multiplen Persönlichkeit. Wenn es mehrere Deutschlands gibt, ist das nationalsozialistische nur eines unter vielen; und wenn man harte Debatten mag, wäre es unglaubwürdig, sich über den Ausdruck "geistiger Brandstifter" zu beschweren - außer, ein "mächtiger Mann" hätte so etwas über einen "Schriftsteller" gesagt.

Dafür nimmt Dohnanyi auch gern in Kauf, daß diese Konstruktion eines angeblichen Machtgefälles eine eindeutig antisemitische Konnotation hat. Der mächtige Jude und der arme Autor - Dohnanyis Konsequenz aus der deutschen Geschichte ist es, sich auf die Seite der Schwachen zu stellen. "Heute heißt es doch sogar, ob nicht die deutsche Romantik schon ein brauner Vorläufer war, oder Martin Luther nicht vor allem Antisemit?" Nicht, daß Dohnanyi das Problem nicht erkannt hätte: "Die deutschen Widerstandskämpfer wollten ein besseres Deutschland, aber eben auch ein Deutschland." Ein besseres Deutschland funktioniert aber nur, wenn die Romantik nicht braun und Luther nicht Antisemit war.

Und weil die Widerstandskämpfer eben auch ein Deutschland wollten, haben sie "mindestens so sehr ein Mahnmal verdient wie die Opfer". Ein Mahnmal für die "unschuldigen Opfer, also für Juden, Homosexuelle, Roma, Behinderte" möchte er aber, ganz um Ausgleich bemüht, auch - bleibt bei so viel Differenzierung nur noch die Frage, wer waren die schuldigen Opfer? Die Gruppen, die er nicht erwähnt, etwa Arbeitssklaven? Oder diejenigen, die weder "unschuldige Opfer" noch bürgerlicher Widerstand waren? Womöglich die Kommunisten? Die wollten jedoch auch ein Deutschland, ein sozialistisches.

Dohnanyi geht es offenkundig um etwas anderes: die tragende Rolle des Antisemitismus für den deutschen Wahn zu leugnen. Er hat es nötig.