Herr Schalek

Tacheles mit Rathfelder

"Geh rein! Geh rein in die Situation! Versteck' dich nicht! Bleib' nicht am Schreibtisch, irgendwo 200 Kilometer entfernt! Nein! Du mußt nach Brcko reingehen! Dort, wo die Granaten fliegen! Du mußt da reingehen, wo gekämpft wird!"

Ist es die Schalek, die da spricht? Die von Karl Kraus genial porträtierte Kriegsberichterstatterin der Wiener Neuen Freien Presse, die sich auf den Schlachtfeldern des Ersten Weltkrieges nur dort wohlfühlte, wo die Kugeln pfiffen?

Nein, der da im düsteren kleinen Kinosaal des Berliner Schrottkultur-Standortes Tacheles sitzt, neben sich die taz-Auslandschefin Beate Seel und den Türkei-Korrespondenten Ömer Erzeren, ist ein ganzer Mann, daran läßt er keinen Zweifel. Eingehüllt in eine Lederjacke (Modell "Arkan" schwarz, von Frankonia), mit dem lauernden Blick eines, der sich im Felde wie an der Heimatfront von Feinden umgeben weiß, wendet sich Erich Rathfelder an die Linke - tatsächlich: die Linke! - mit dem Rat, sich jetzt endlich vom Pazifismus zu verabschieden.

Der Mann, der nicht nur in der taz, die an diesem Tag mit großem Brimborium ihren zwanzigsten Geburtstag begeht, den Balkanfeldzug propagandistisch vorbereitete, sondern auch in einem runden halben Dutzend anderer Presseerzeugnisse von der Stuttgarter Zeitung bis zur Wiener Presse, redet mit leiser Stimme.

Das Gebrüll hebt er sich auf für den Fall, daß ihm einer unterstellen sollte, er trage zur Eskalation bei, indem er in jedem Konflikt, den er beschreibt, eindeutig einen Guten und einen Bösen ausmacht, oder er unternehme gar den Versuch, die deutschen Verbrechen im Zweiten Weltkrieg zu relativieren, wenn er ständig von "Deportation" und von "Konzentrationslagern" im Kosovo und in Bosnien spricht.

"Die Lage ist so. Es sind Deportationen." Und "wenn man an die Massenmorde in Bosnien denkt, an die Konzentrationslager, die es da gab, soll man dann so einfach zusehen?" Wenn doch einmal einer so einen Vorwurf andeutet, wie Erzeren, der vorsichtig die Tendenz seiner deutschen Kollegen kritisiert, Verbrechen in aller Welt mit Begrifflichkeiten zu beschreiben, die ursprünglich für den deutschen Nationalsozialismus geprägt wurden, dann wird Rathfelder wild.

Da schnauft er ganz laut, da funkelt er gefährlich mit den Äuglein, und dann holt er mit der Faschismuskeule zur rechten Vorhand aus: "Ich unterstelle nicht, daß irgendwer will, daß man Faschismus unterstützt." Will heißen: Ich unterstelle es doch. "Aber viele haben unbewußt, indem sie verschiedene Mittel ausgeschlossen haben - oder vielleicht auch bewußt - doch dazu beigetragen, ganz objektiv, nicht so im direkten Sinne, daß diese Politik weiter fortgesetzt werden konnte." "Diese Politik", damit keine Mißverständnisse aufkommen, das ist "eine rot-braune, eine national-sozialistische Politik". Und dagegen gibt es, versucht Rathfelder listig die zahlreichen Ex-Autonomen im Publikum einzubinden, "ein Recht auf Widerstand".

"Es gibt", bedauert unser Mann an der Front, "in Deutschland keine Tradition der Kriegsberichterstattung." Zumindest daran wird sich etwas geändert haben, wenn der Korrespondent Erich Rathfelder aus Belgrad die Kapitulation der letzten serbischen Einheiten meldet.

Nachbemerkung: Nach der Veranstaltung konnte man beobachten, wie Rathfelder, ganz der einsame Wolf, beim Inder gegenüber allein sein Nachtmahl in sich hineinschlang. Zwei Kneipen weiter saß unterdessen Erzeren in einer sichtlich gutgelaunten Freundesrunde. Das freute einen dann doch.