Nick Lowles

»Brixton gilt für Nazis als No-Go-Area«

Samstag nachmittag im Süd-Londoner Stadtteil Brixton. Auf einer der zentralen Einkaufsstraßen brach am vorletzten Wochenende Panik aus. Dreieinhalb Kilo Nägel hatte der Sprengsatz, als Paket getarnt und mit Zeitzündmechanismus in einer Einkaufstasche vor einem Geschäft abgestellt, am 17. April durch die Luft geschleudert. Mehr als fünfzig Menschen wurden verletzt, vier davon schwer. Selbst die auf die IRA fixierten britischen Sicherheitsbehörden schlossen diesmal eine nordirische Urheberschaft unmittelbar nach dem Anschlag aus. Knapp 48 Stunden später folgte der Telefonanruf: Ein Mann übernahm gegenüber der Polizei die Verantwortung für den Anschlag - im Namen der britischen Neonazi-Gruppe Combat 18. Eine Woche später das gleiche Bild im Stadtteil Shoreditch: Fünf Menschen wurden durch eine Autobombe verletzt; auch zu dieser Tat bekannte sich Combat 18. Trotz der Bekenneranrufe aber sind sich unabhängige Beobachter der militanten rechten Szene sicher, daß eine unmittelbare Beteiligung von Combat 18 zumindest bezweifelt werden muß. Nach Angaben von Scotland Yard ist mittlerweile noch ein weiteres Bekennerschreiben eines "Kommandorates der weißen Wölfe" aufgetaucht, hinter dem eine Gruppe von drei bis vier Personen vermutet wird. Combat 18 war in den letzten zwei Jahren vor allem durch Briefbombenanschläge und gewalttätige Auseinandersetzungen mit rivalisierenden Neonazis aufgefallen und gilt als vom britischen Sicherheitsapparat infiltriert. Die rechte Szene hat sich längst jenseits der Gruppierung organisiert: Neben den international agierenden Hammerskins und Blood & Honour-Strukturen, sind es vor allem rassistische Jugendgangs und Skinheadgruppen, die durch Übergriffe und Morde ein Klima von Unsicherheit und Angst für MigrantInnen schaffen. Nick Lowles ist Mitherausgeber der internationalen antifaschistischen Zeitschrift Searchlight.

Ausgerechnet in Brixton ging die Bombe hoch. Je nach Standort der Betrachter gilt der Londoner Stadtteil als "Multikulti-Paradies", "sozialer Brennpunkt" oder "Auswuchs der Einwanderungsgesellschaft". Ist die Wahl des Ortes Zufall oder Absicht?

Der Bombenanschlag war offensichtlich als Provokation gedacht. Ein Anschlag in Brixton hat einen hohen Symbolwert. Denn wegen eines großen Bevölkerungsanteils von afro-karibischen MigrantInnen und der Krawalle Anfang der achtziger Jahre gilt Brixton als "No-Go-Area" für die britische Neonazi-Szene. Ich gehe daher von einem rassistischen Hintergrund für den Anschlag aus, auch wenn wir es für zweifelhaft halten, daß Combat 18 direkt darin verwickelt ist.

Wenn die Täter nicht bei Combat 18 zu suchen sind, wer könnte dann für den Anschlag verantwortlich sein?

Seit Anfang der neunziger Jahre gibt es in Großbritannien eine kleine Gruppierung von Neonazis, die eng mit Combat 18 zusammenarbeitet. Sie propagieren die aus den USA stammende rechtsextreme Strategie eines in kleinen Zellen organisierten "führerlosen Widerstands" und orientieren sich an dem Neonazi-Handbuch "Turner Diaries", das von dem amerikanischen Neonazi William Pierce geschrieben wurde und auch den Oklahoma-Attentätern als Vorlage diente.

In den "Turner Diaries" wird ja der "Rassenkrieg" propagiert, wobei die Nazis auf eine geschlossene Mobilisierung der weißen Mehrheitsbevölkerung gegen die Einwanderer-Communities setzen. Gibt es da Parallelen zu dem Anschlag in Brixton?

In ihren Strategiepapieren erklären auch die britischen Neonazis, daß sie durch Attentate gegen die karibischen und asiatischen Einwanderer-Communities eine Gewaltspirale zwischen Weißen und MigrantInnen provozieren wollen. Ein weiteres Indiz für diese These ist der Ort, zu dem die Polizei den Bekenneranruf zurückverfolgen konnte. Er kam aus einer Telefonzelle in unmittelbarer Nähe zu dem Ort, wo vor sechs Jahren der schwarze Teenager Stephen Lawrence von fünf jugendlichen Skinheads ermordet wurde.

Mal angenommen, es wäre doch eine Aktion von Combat 18 gewesen. Unterscheidet sich der Anschlag von den bisherigen Aktivitäten der Organisation?

Bisher hat Combat 18 vor allem Gewalt ausgeübt direkt gegen die, die von ihnen als politische Gegner definiert wurden - dazu gehörten auch staatliche Organe und Widersacher in den eigenen Nazi-Reihen. Dazu haben sie unter anderem auch Briefbomben eingesetzt. Demgegenüber richtete sich der Bombenanschlag in Brixton unspezifisch gegen die Bevölkerung des Stadtteils. Die Bombe konnte jeden treffen.

Wie sieht die Organisationsstruktur von Combat 18 aus?

In Combat 18 sind rund 40 Neonazis aktiv, dazu kommt noch ein SympathisantInnenenkreis von rund 60 Leuten. Die Gruppe verfügt über gute internationale Kontakte zu Neonazis in Dänemark, in der Slowakei und zu paramilitärischen serbischen Gruppierungen wie den "Weißen Adlern". Auch nach Deutschland bestehen gute Verbindungen: Der deutsche Neonazi-Kader Thorsten Heise aus Niedersachsen beispielsweise ist eng mit Will Browning, dem Anführer von Combat 18, befreundet. Auch zur deutschen Sektion der internationalen Nazi-Skin-Struktur Blood and Honour bestehen enge Beziehungen. So fuhren im Januar dieses Jahres 15 Combat 18-Mitglieder zu einem Neonazikonzert in Ostdeutschland, das von der Polizei aufgelöst wurde. Und im März sollte in Osteuropa ein internationales Neonazi-Treffen stattfinden, zu dem u.a. Heise sowie Neonazis aus Schweden, Großbritannien und Serbien anreisten. Die Combat 18-Kader wurden allerdings in Wien vom britischen Geheimdienst MI 5 an der Weiterreise gehindert.

Wie hat die Bevölkerung in Brixton auf den Anschlag reagiert, insbesondere, was die Ermittlungen der Polizei angeht?

Die Stimmung, gerade in der afro-karibischen Community, ist sehr angespannt. Die Menschen haben Angst und sind verunsichert. Hinzu kommen Befürchtungen, daß die Polizei nicht ernsthaft ermittelt. Vor kurzem wurde ein Untersuchungsbericht veröffentlicht, wonach die Polizei in mehreren Fällen von rassistischen Gewalttaten schlampig und einseitig gearbeitet hat. Das trägt nicht gerade dazu bei, das Vertrauen der potentiellen Opfer in die Polizei zu erhöhen. Andererseits steht die Polizei wegen des Berichts unter enormem politischem Druck, bei den Ermittlungen Erfolge zu produzieren. Doch bisher verfügt sie nur über wenig konkrete Anhaltspunkte bei der Suche nach den Tätern.

Seit Jahren zerfallen die großen britischen Neonazi-Organisationen wie die National Front und die British National Front. Auch Combat 18 gilt für Nazis nicht gerade als anziehend. Welche Konsequenzen hat der Anschlag für die britische Nazi-Szene?

Man muß befürchten, daß dies nur der Auftakt für eine neue Serie rassistisch motivierter Gewalttaten ist. Insbesondere dann, wenn der Polizei nicht bald ein Fahndungserfolg gelingt. Wir sind offenbar mit einer neuen Entwicklung in der britischen Nazi-Szene konfrontiert, die sich stärker an den terroristischen Strategien der rechtsextremen Szene aus Nordamerika orientiert.