Türkei nach den Wahlen

Republik unter Wölfen

Es geht voran. Mit 18 Prozent der Stimmen ist die rechtsradikale Partei der nationalistischen Bewegung (MHP), auch als "Graue Wölfe" bezeichnet, zweitstärkste Kraft im türkischen Parlament und damit ein kaum zu umgehender Kandidat für eine Regierungsbeteiligung. Wahlsieger Ecevit, Chef der sogenannten Demokratischen Linkspartei (DSP), wird von Staatspräsident Demirel mit der Regierungsbildung beauftragt werden. Vorsichtig hat er eine Koalition mit der MHP zumindest als Möglichkeit bezeichnet. Ecevit, der sich vom nationalistisch-sozialdemokratischen Premier der siebziger Jahre zum ultranationalistischen Kurdenfresser und Fürsprecher der Militärs gewandelt hat, ist also eine Koalition mit den Faschisten, die sich seit kurzem als geläuterte demokratische Rechtspartei geben, zuzutrauen. Die Militärs haben über den Nationalen Sicherheitsrat allerdings schon vor den Gefahren gewarnt, die von der MHP und ihren Mafia-Verbindungen ausgehen.

Wie auch immer die Regierung schließlich aussehen wird, schon jetzt sind zwei Resultate der Wahlen sicher: Die Krise des politischen Systems in der Türkei wird anhalten, und damit verbunden der deutlich nationalistische Rechtstrend. Mit dem Erfolg der MHP hat eine Entwicklung ihren vorläufigen Höhepunkt gefunden, die seit Jahren durch den Kurdenkonflikt begünstigt wird und das Verhältnis zum Westen und Europa betrifft, denen im nationalen Verfolgungswahn permanent die geplante Zerstückelung der Türkei unterstellt wird. Die europäischen Staaten haben dabei insofern das nationalistische Klima gefördert, als ihre "Menschenrechtspolitik" gegenüber der Türkei rein instrumentell erscheint. Menschenrechtsverletzungen wie Unterdrückung und Krieg in den kurdischen Gebieten werden nur dann auf die Agenda gesetzt, wenn es gilt, die Türkei vom Eintritt in die EU fernzuhalten.

Symptomatisch war die nationalistische Hysterie gegen Italien und andere europäische Länder bei der Affäre Öcalan. Wegen ihrer geostrategischen Interessen - auch in Konkurrenz zu Europa - decken die USA den Kriegskurs gegen die kurdische Bewegung bedingungslos. Zusammen mit der Türkei übten sie Druck auf die europäischen Länder aus, Öcalan kein Asyl oder sonstige Unterstützung zu gewähren. Dies führt zwar außenpolitisch zu einer weiteren Annäherung der Türkei an die USA, schadet allerdings auch der antiwestlichen Stimmung in der Türkei nicht.

Von diesem Klima profitierten neben dem antikurdischen Hardliner Ecevit nun insbesondere die Neofaschisten der MHP. Die hatten vor allem in den ländlichen Gebieten Mittelanatoliens, wo die MHP die stärksten Gewinne zu verzeichnen hat, mit der Parole "Hängt Öcalan" Wahlkampf gemacht. Dort hat die MHP auch von der Niederlage der Islamisten gegen die Militärs profitiert.

Politisch können beide Gruppierungen durchaus miteinander. Die verbotene Vorgängerin der islamistischen Tugend-Partei, die Refah, hatte bereits bei Wahlen Anfang der neunziger Jahre ihre Listen der MHP geöffnet. In ihren politischen Diskurs setzt die MHP auch auf islamische Elemente. Schließlich bietet sie mit ihren - bezeichnenderweise Ocak (Ofen) genannten - "Idealistenzentren" verelendeten Jugendlichen auf ähnliche Weise ein bißchen soziale "Wärme" und praktische Hilfe wie die Islamisten mit ihrer paternalistischen Sozialarbeit.

Attraktiv ist dies vor allem für die aus dem Kriegsdienst in den kurdischen Gebieten zurückgekehrten Rekruten, die ihre "patriotischen" Taten gegen die PKK vom Staat nicht angemessen honoriert sehen. Dies erklärt zum Teil - ebenso wie die Enttäuschung über Korruption, mafiose Verbindungen und Machtgerangel in den bürgerlichen Rechtsparteien von Tansu Ciller (DYP) und Mesut Yilmaz (Anap) - den Erfolg der MHP vor allem bei den jugendlichen Erstwählern (20 Prozent).

Linke und demokratisch orientierte Kräfte in der Türkei gehen jedenfalls schweren Zeiten entgegen. Republikanisches Gedankengut scheint zunehmend rückstandsfrei zugunsten nationaler und religiöser Gemeinschaftsideologien entsorgt zu sein. Für die kurdische Bewegung sind die Aussichten auf einen politischen Kompromiß noch geringer als vor den Wahlen, eine parlamentarische Mehrheit für die Vollstreckung eines Todesurteils an Öcalan ist möglich. Die Polarisierung wird daher auch auf seiten des kurdischen Nationalismus weiter zunehmen.