Alternative Lebensformen

Knorpel ohne Skrupel

Tiefstes Kreuzberg. 36. Also Markthalle. Der Mann ist stämmig. Breit. Und kahl.

"800 Gramm Hack, halb und halb." "Das vom Schwein ist aber schon gewürzt." "Ja, gut so." Klatsch. "Darf's noch was sein?" "Schinken, gekocht, und Sülzwurst, von der da, die hatte mein Mann immer so gern."

Betretenes Schweigen vorerst. Dann: "Geht denn alles seinen Gang?" "Jo, jo, macht alles gor nüscht." Verdrückte Tränen, trotzdem.

Die Frau geht mit ihrem Hack, auch den Schinken und die Sülzwurst hat sie nicht vergessen. Der Kahlköpfige erzählt. Eine traurige Geschichte. Von einem Kollegen, Konkurrenten, jedenfalls einem ganz Fleißigen. Der hat was geschafft. 16 Stunden am Tag. Sonnabends auch. Und sonntags sortiert und filetiert und so. Dazu die Märkte. 20 Jahre lang. Vielleicht auch nur 15. Hier vergeht die Zeit ja so schnell. Das da eben war die Frau. Kinder hat er auch gehabt. Zwei. Sie natürlich auch.

Die haben was weggespart. Auf'n Eigenheim in Pankow. Ausgerechnet Pankow. Jeden Tag so weit fahren. Aber so hat halt jeder seins. Nur die Frau hatte es nicht mehr. Und die Blagen auch nicht. Denn nach 15, es können auch 20 Jahre gewesen sein - der Streß, wissen Sie - war er nich' mehr. Herzinfarkt.

"Puh, ja, ich nehm ...". Auch mit Pankow war dann nix mehr. Sie hat hier bleiben müssen, Eisenbahnstraße. Is ja auch näher. Aber treu ist die, treue Kundin. Kommt immer hier zu mir. Mal mit, mal ohne die Kurzen. Was red' ich - so kurz sind die ja auch nich' mehr. Sie hat zwar nur wenig Geld, geht jetzt putzen, kauft aber immer Frischware. Nix Abgepacktes oder ausser Dose. Immer frisch. Auch Zungenwurst.

"Ja, also, von dem ..." Die kennt auch unsere Angebote, montags Kotelett, mittwochs Rippchen, Thüringer Bratwurst zum Wochenende. Dazu, mal ein Tip von mir, Sauerkraut, mit Senf und Brot. Und 'n Jroßet. Jetzt ist der Kahle ganz bei sich, wird laut und lacht: Ein Kindl zur Wurscht, aber 'n Radeberger zum Rippchen, andersrum geht's aber auch. Oder beides.

Diesmal bin ich schneller: "600 Gramm Hack, halb und halb." "Is aber schon gewürzt, das vom Schwein." "Ich weiß". "Wollt's ja nur sagen, nich daßes hinterher heißt, is ja alles versalzen. Darf's sonst noch was sein?"

Zu Hause wird erst einmal das Hack gewürzt - Pfeffer, Salz und Paprika. Ein Ei dazu, eine große Zwiebel und ne alte eingeweichte Schrippe (zumindest dazu sind sie gut). Aber irgendwas fehlt: Gehäckselte Chilis. Kneten, braten, fertig. Von wegen verwürzt, nur ein bißchen knorplig sind die Buletten. Aber was nimmt man nicht alles für schöne traurige Geschichten in Kauf.