Kanzler nach Den Haag

Als Regierungschef trumpft Schröder auf, als Parteivorsitzender verliert er Sympathien

"Die Stimmung ist gut. Diese Regierung mußte sich erst mal setzen. Das ist mit der Haushaltsdebatte gelungen: Schröder hat Macht gezeigt." - "Die Stimmung ist katastrophal. Schröder droht mit seinem Führungsstil die Partei zu spalten. Nur gut, daß ihm die Fraktion wenigstens bei den 630-Mark-Jobs seine Grenzen aufgezeigt hat." Wer sich in diesen Tagen mit SPD-Abgeordneten vom rechten und vom linken Flügel der Partei unterhält, kann kaum glauben, daß sie über ein und dieselbe Partei reden.

Die Parteirechte verspürt, das ist nicht zu übersehen, Rückenwind: Ihr Favorit Gerhard Schröder vereint auf sich eine Machtfülle, wie es sie in der SPD seit einem halben Jahrhundert nur unter Willy Brandt gegeben hat. Und anders als Brandt zeigt er keine Hemmungen, diese Macht auszunutzen: Wer nicht spurt, wird vom Parteichef und Bundeskanzler vor versammelter Runde in einer Weise angeblafft, die selbst langjährige Schröder-Kenner häufig erstaunt.

Der offiziöse innerparteiliche Hauptfeind des Kanzlers ist zur Zeit der Abgeordnete Hermann Scheer, der sich auch nach sechs Wochen des Nato-Bombardements nicht scheute, dem versammelten SPD-Vorstand zu erklären, warum der Krieg gegen Jugoslawien grob völkerrechtswidrig ist, und diese Meinung auch noch mit einer acht Punkte umfassenden juristischen Argumentation unterstützte. Da platzte Schröder bei der SPD-Vorstandssitzung am Montag vergangener Woche - es war die erste, die er als Vorsitzender leitete - der Kragen: Solange er etwas zu sagen habe, werde er eine solche Position nicht dulden.

Als Scheer die Nato-Luftschläge als "krasse Verstöße gegen das Völkerrecht" und als "Kriegsverbrechen" bezeichnete, herrschte ihn der Kanzler an: "Du bezeichnest mich damit als Kriegsverbrecher. Dann sag doch gleich, daß du mich nach Den Haag (vor das Internationale Kriegsverbrecher-Tribunal) schicken willst." Im Anschluß soll Schröder im Kanzlerbungalow noch weitergepoltert - "daß man sich so etwas von Leuten anhören muß, die dem Vorstand angehören und wichtige Funktionen in der SPD innehaben" - und dem abwesenden Scheer vor zahlreichen Zeugen sogar den Parteiausschluß angedroht haben. Und weil er schon in Fahrt war, bekam auch gleich noch das halbe Kabinett sein Fett weg - vom grünen Umweltminister Jürgen Trittin über Arbeitsminister Walter Riester bis zum Innenminister Otto Schily.

Händereibend betrachten nicht nur CDU, CSU und FDP, sondern auch die Exponenten der SPD-Rechten solche Vorgänge. Um Scheer sei es nicht schade, meint etwa Karl Hermann Haack, der Sprecher des Seeheimer Kreises von SPD-Rechten: "Scheer ist eine Randfigur." Der Kriegsgegner sei in der Partei ohnehin isoliert und verfüge über keinerlei Mehrheiten. Mit dem umgekehrten Argument warnen auch Scheers innerparteiliche Bündnispartner vor einer Überbewertung von Schröders Ausfällen: Scheer sei in der Partei und in seinem baden-württembergischen Landesverband so fest verankert, meint etwa der linke SPD-Parlamentarier Uwe Hiksch, daß für ihn von Schröder keine Gefahr ausgehe. Das stimmt allerdings nur zur Hälfte: In Scheers Ortsverein Waiblingen soll eine Unterstützungserklärung für den Bundestagsabgeordneten dem Vernehmen nach am Widerstand von Schröder-Parteigängern gescheitert sein.

Neben erklärten Kriegsgegnern, die wie die bayerische Landtagsabgeordnete Monica Lochner-Fischer gemeinsam mit der PDS unter der Parole "Stoppt den Krieg! Helfen statt Bomben!" in Berlin demonstrierten, trifft Schröders Zorn auch Parteigänger des ehemaligen Parteichefs Oskar Lafontaine sowie Repräsentanten unliebsamer, weil als links bekannter Landesverbände. Auch die Jungsozialisten dürften bei ihrem einstigen Vorsitzenden Gerhard Schröder nicht mehr viel zu melden haben, spätestens seit ihn der neugewählte Juso-Chef Benjamin Mikfeld vergangenen Samstag als "Rechtsaußen" bezeichnet hat. Auf dem Juso-Bundeskongreß in Leipzig am Wochenende hätte man meinen können, auf einer Oppositionsveranstaltung zu sein. Mit deutlicher Mehrheit verabschiedeten die Jungsozialdemokraten eine Resolution, die den Nato-Krieg gegen Jugoslawien als "völkerrechtswidrigen Angriffskrieg" verurteilte. "Rot-Grün ist als Reformprojekt gescheitert", wiederholte ein Delegierter aus Westfalen Jürgen Trittins "professionellen Fehler". Eine "demokratische Auseinandersetzung", so Mikfeld, finde in der SPD nicht mehr statt, die SPD sei "intellektuell gelähmt" und "autoritär angepaßt".

Dieser Befund ist einerseits sicher richtig; andererseits zeigt der neue starke Mann der SPD mit seinem rüden Auftreten mehr als ihm selbst lieb sein kann, welche Nervosität ihn ergriffen hat, seit er unverhofft zu seiner Doppelfunktion gekommen ist. Denn während der Kanzler Schröder vor allem seine eigene Linie durchzusetzen hat, erwarten Parteigänger und Gegner vom SPD-Vorsitzenden Schröder, die unterschiedlichen Strömungen zu integrieren. Das ist zu Friedenszeiten schon keine leichte Aufgabe, wesentlich schwieriger ist es aber geworden, seit der Krieg gegen Jugoslawien die Partei spaltet. Und seit Schröder eine Politik zu vertreten hat, die auch nach Meinung vieler Sozialdemokraten längst, an ihren eigenen Maßstäben gemessen, ad absurdum geführt ist.

Das sieht Schröder natürlich nicht so. Falsch, "ganz schrecklich falsch" sogar, sei es, deklamierte er letzten Mittwoch mit weinerlicher Stimme im Bundestag, zu behaupten, bis jetzt hätte der Angriff auf Jugoslawien keine politischen Fortschritte gebracht. Je offensichtlicher die Strategie der Nato gescheitert ist, um so mehr Pathos legen Schröder und sein Frontmann Rudolf Scharping ein, wenn sie ankündigen, an der Militarisierung der deutschen Außenpolitik weiterzuarbeiten. "In einer Zeit, in der dauerhaft immer stärker internationales Krisenengagement der Bundeswehr gefordert ist", so Scharping letzte Woche im Bundestag, "wird in der militärischen Leistungsfähigkeit, in der Ausbildung und in der Ausrüstung der Bundeswehr nichts eingespart werden können. Es wird auch nichts eingespart werden."

Zwei Tage später, als die Nato die chinesische Botschaft in Belgrad bombardiert hatte, kam von Scheer die Retourkutsche: Die Nato handle "ohne Sinn und Verstand", "schon seit Wochen" sei es unverständlich, daß das Militärbündnis "Ziele mitten in Städten anvisiert und dabei mutwillig Begleitschäden riskiert, völlig unbeeindruckt von den damit verbundenen Opfern und den Schäden". Schröder dürften wieder einmal die Stirnadern geschwollen sein.

Es bräuchte schon einen sehr biegsamen Menschen, um den SPD-Vorsitzenden und den Bundeskanzler in einer Person zu vereinen. Dieser Mensch, so es ihn gibt, heißt bestimmt nicht Gerhard Schröder. Der Niedersachse löst das Problem auf seine Weise: Er verzichtet ganz einfach auf die Integrationsfunktion des Parteivorsitzenden und gibt kraft seiner beiden Ämter eine Linie vor, die einzuhalten ist. Oft gefällt das auch seinen eigenen Anhängern nicht: Am Ende der Vorstandssitzung vergangene Woche war Schröder, wie Teilnehmer berichten, ziemlich isoliert.

Die Probleme, die die Partei mit dem Führungsstil ihres Vorsitzenden hat, sind im Bonner Politdorf natürlich auch der Opposition nicht entgangen. "Herr Bundeskanzler", frotzelte am Mittwoch in der Haushaltsdebatte der CSU-Landesgruppenchef Michael Glos, "wenn Sie die Dinge mit Ihrer unerträglichen Arroganz, die oft durchbricht, so weiter betreiben, müssen Sie sich nicht wundern, wenn wir in eine Stimmung geraten, die letztendlich auch Ihnen nicht zugute kommt. Ich kann verstehen, daß Herr Lafontaine auch vor dieser Art und Weise des Umgangs miteinander geflohen ist."

Als einen Tag später über das Haushaltsgesetz der Bundesregierung debattiert wurde, war Lafontaine freilich nur noch als Watschenmann gut: "Wo bleibt Lafo?" grölte Glos im Wortschatz der Bild-Zeitung, und der FDP-Abgeordnete Paul Friedhoff stellte im martialischen Stil der neuen Zeit fest, der ehemalige Wirtschaftsminister sei "von seinem Amt desertiert". Es klang nicht so extrem, wie es sollte: Dieselbe Vokabel hatte keine Stunde vorher im Gespräch mit der Jungle World bereits der SPD-Rechte Haack für seinen ehemaligen Vorsitzenden gefunden.