Kein Treffer mehr

Der KFC Uerdingen wird vielleicht Amateurligist und keiner merkt's

"Einmal voll durchprügeln ...", sagt ein ungefähr vierzigjähriger KFC-Uerdingen-Fan, der sich auch durch sein sonstiges Gebaren nicht unbedingt für das "Literarische Quartett" empfiehlt. Seine beiden mit blau-roten Vereinsschals ausstaffierten vorpubertären Jungs gaffen mich an. "Einmal voll durchprügeln" - damit meint der Mann nicht die Kinder, auch nicht den Schiedsrichter, der soeben die Nullnummer des KFC gegen die SG Wattenscheid abgepfiffen hat. Vielleicht, geht es mir durch den Kopf, vielleicht meinte er ja auch mich.

Aber nein, eigentlich meinte er "seine" Mannschaft, seinen Verein, seinen KFC. "Die wollen doch gar nicht", fährt er nämlich fort, während ein klägliches Häuflein Uerdingen-Fans mit gesenkten Köpfen aus dem Grotenburg-Stadion trottet. Ihr Verein wird wohl schon bald drittklassig sein, ohne daß dies dem Großteil der Krefelder irgendwie auffällt.

Mitunter trauen sich nur noch 2 500 Zuschauer zu den Heimspielen, kein einziges Mal kam man auch nur in die Nähe der ursprünglich angepeilten fünfstelligen Besucherzahl. Daß dies in der Zweiten Liga möglich ist, beweist der 1. FC Nürnberg, zu dessen Spielen selbst in der Regionalliga 1996/97 im Schnitt 15 000 Zuschauer kommen. Der in der Grotenburg gebotene Fußball ist dabei vermutlich gar nicht mal der Hauptgrund für das geringe Zuschauerinteresse. Die Krefelder haben sich einfach nie sonderlich für das Gekicke der heimatlichen Elf interessiert. Wenn überhaupt, zog es sie zur benachbarten Mönchengladbacher Borussia, die, auch wenn sie den Kampf gegen den Abstieg schon fast verloren hat, immer noch vom Glamour der Siebziger zehrt.

Das Desinteresse am Krefelder Fußball erschien selbst in der Erfolgsphase des Vereins Mitte der achtziger Jahre den Journalisten als das einzig Berichtenswerte an Uerdingen 05. Als der damals noch Bayer 05 heißende Club im Jahr 1986 zeitweise um die Deutsche Meisterschaft mitspielte und am Ende Tabellendritter wurde, hieß es in einem Fernsehbericht dazu lapidar, daß selbst der Titelgewinn in Krefeld von niemandem bemerkt werden würde. Selbst als man schließlich im Europapokal mitspielte, wurde 05 noch als traditionslose, graumäusige Werkself ohne Flair bespöttelt. Wen wundert's. Um die Vereinschronik aufzupeppen, muß der Verein schließlich auch auf so aufregende und unvergeßliche Ereignisse wie "den ersten bezahlten Trainer" (1952) und das Erreichen der Zwischenrunde bei der Deutschen Amateurmeisterschaft (1965) zurückgreifen.

Der KFC Uerdingen ist eben ganz genau das Gegenteil eines Kultvereins - im KFC-Fanzine, zugleich Stadionzeitung, Treffer, wird z.B. der "Prominenten-Tip" für das kommende Spiel vom "stellvertretenden Regionaldirektor der AOK Krefeld" abgegeben. Dabei hat der Klub sogar schon Europapokalgeschichte geschrieben. Unvergessen jenes 7:3 gegen Dynamo Dresden, als man nach einer Niederlage sowie einem 1:3 nach 45 Minuten im Rückspiel vor heimischem Publikum eigentlich schon so gut wie ausgeschieden war.

Wenn die Krefelder aber selbst in dieser Erfolgsphase ihre Vereinsgeschichte, während derer man 1985 den DFB-Pokal im Finale gegen den FC Bayern München holte und im Halbfinale des Europapokals der Pokalsieger den großen FC Barcelona in der Grotenburg empfing; wenn die Krefelder also selbst damals nur vergleichsweise bescheidene Ansätze zu echter Fußballbegeisterung zeigten, so werden sie jetzt nicht plötzlich in Tränen ausbrechen, da der Verein sich schnurstracks in die Amateurklasse begibt. Die Erfahrung anderer Bundesliga-Absteiger besagt, daß diese allenfalls eine Saison in der zweiten Spielklasse mit einem Erstliga-Etat arbeiten können. Wird der direkte Wiederaufstieg verpaßt, droht der Mannschaft unweigerlich personeller und somit zumeist auch sportlicher Substanzverlust, wie die Beispiele des Karlsruher SC und des 1. FC Köln zeigen. In der Regionalliga kann alles nur noch schlimmer werden.

Das eigentliche KFC-Elend begann jedoch schon 1995 mit der Umbenennung von Bayer 05 Uerdingen in KFC Uerdingen 05. Der bisherige Sponsor Bayer hatte sich vom Verein getrennt, und sofort ging es auch sportlich bergab. Hatte man zuvor den zweimaligen Abstieg aus der Eliteliga mit sofortigem Wiederaufstieg kontern können, so klappte dies nach dem letzten Abstieg im Jahre 1996 nicht mehr. Statt dessen gab es nur Zweitliga-Mittelmaß, und in der darauffolgenden Saison geriet man nach gutem Start sogar in akute Abstiegsgefahr. Als Ersatz für den Chemiekonzern waren ein Krefelder Bauunternehmer und ein aus ortsansässigen Mittelständlern bestehender "KFC Partner-Pool" ins Spiel gekommen, die wohl durchaus willens sind, dem Club zu helfen. Ob sich mit deren Mitteln allerdings eine etwas namhaftere und spielerisch erfolgreichere Mannschaft zusammenstellen läßt, ist fraglich.

Mit der Umbenennung des Vereins ging aber auch ein weiterer Profilverlust bei der ohnehin schon ausgedünnten Fanschar einher. Einer der verbliebenen Anhänger berichtet, daß er statt der üblichen "KFC"-Sprechchöre auch immer mal wieder "Bayer"-Rufe im Grotenburg-Stadion höre. "Immerhin, überhaupt Geräusche!" sagt einer dazu. "Rudi, laß die Löwen los!" sangen die Fans früher angeblich, in Anspielung auf einen bekannten Tierdompteur im direkt ans Stadion grenzenden Krefelder Zoo. Aber hieß dieser Mann überhaupt Rudi? Und ist diese Geschichte überhaupt wahr? Und wo könnte sie verifiziert werden? Erfahrungsgemäß dort, wo man für solche Fragen zuständig ist, bei der Brauchtumspflege-Stelle des Vereins, dem Fanshop.

Doch den des KFC gibt es seit einigen Tagen wegen mangelnder Umsätze nicht mehr. Also ab zur Geschäftsstelle am Löschenhofweg, aber dort weiß man nichts Genaues über die ortsüblichen Fangesänge. Und Informationen über die Zuschauerzahlen müsse man sich bei der Westdeutschen Zeitung einholen, weil der zuständige Herr von der KFC-Geschäftsstelle in Urlaub sei und außer ihm niemand weiterhelfen könne.

Und Hermann Tecklenburg, der Bauunternehmer und KFC-Präsident? Der fällt nicht gerade durch innovative Konzepte auf. Statt dessen erklärte er in der Fan- und Stadionzeitung nach der 11. Saisonniederlage des Vereins, diesmal gegen den FC Gütersloh, der Trainer habe "seine Mannschaft sehr gut eingestellt. Davor", so Tecklenburg weiter, "wurden wir schon im Vorfeld dieser Begegnung gewarnt." Verstehen muß man das wahrscheinlich nicht. Tecklenburg zieht überdies in seinen Treffer-Artikeln gern Parallelen zwischen der Entwicklung seines Bauunternehmens und der des Vereins, was immer das nun bedeuten soll.

Ähnlich verwirrend die Versuche des Vereins, der Öffentlichkeitsarbeit und der Werbung "einen neuen Stellenwert" zuzuweisen: Die Ex-Bundesligaspieler Frank Kirchhoff und Norbert Brinkmann stünden "allen Fans und zukünftigen Werbepartnern des KFC Uerdingen als Ansprechpartner zur Verfügung, um so die Basis für den Verein zu erweitern", heißt es in einer Treffer-Ausgabe vom Dezember 1998.

Frank Kirchhoff und Norbert Brinkmann? Fußballerisch sind sie während ihrer Karriere außerhalb Krefelds nicht weiter aufgefallen - und doch scheinen sie alles zu sein, was der Verein aufbieten kann. Bei der benachbarten Mönchengladbacher Borussia engagieren sich mit Rainer Bonhof und Berti Vogts namhafte ehemalige Spieler, aber offenbar will sich keiner der Ex-KFC-Kicker an seine Uerdingen-Vergangenheit erinnern. Weder Hansi Hintz noch Stefan Kuntz und Oliver Bierhoff schon gar nicht. "Ja, die haben alle mal hier gespielt!" bestätigt man dabei auf der Geschäftsstelle des Vereins. Ohne zu fragen, wer denn eigentlich dieser völlig frei erfundene Fußballer Hintz sein soll.

Übrigens entspricht der Name des KFC-Organs Treffer wohl nicht mehr fußballerischen KFC-Realitäten. Die Zeitung wurde umbenannt und heißt nun, der fußballerischen Realität in Krefeld angepaßt, schlicht Am Ball.