Luftnummernund Bodenkrieger

Mit einem scheinbaren Kompromiß will der grüne Bundesvorstand die Basis beim Bielefelder Sonderparteitag auf die Kriegslinie einschwören.

Später sollte niemand sagen können, sie hätten nicht alles Menschenmögliche getan: Joseph Fischer bemüht die "SS von Herrn Milosevic", Ludger Volmer entdeckt seinen unsterblichen Haß auf serbische "Staatsterroristen", und Angelika Beer sinniert ganz öffentlich und gefühlsecht über ihren "tiefen inneren Konflikt". Beim rhetorischen Trommeln der grünen Spitze ist für jeden was dabei. Und vieles, was da in die Runde geworfen wird, hat einen bestimmten Adressaten: die pazifistische grüne Seele.

Um den Parteigängern und -gängerinnen den Krieg gegen die Reste Jugoslawiens schmackhaft zu machen, galt es, ganze Arbeit zu leisten: Von Konstanz bis Kiel reisten die grünen Funktionäre, um der störrischen Basis den Weg zu zeigen. Die politische Heimatfront zählt schließlich zu den unsichersten Sektoren des Krieges - das zumindest hat man aus der früheren Beschäftigung mit Rosa Luxemburg noch behalten. Auf dem Plan stand Überzeugungsarbeit gegen die Zeit. Denn seit dem 24. März ist klar: Mit jedem weiteren Tag, an dem Bilder der Opfer von Nato-Bomben auf den heimischen Bildschirmen auftauchen, würde die Zustimmung der grünen Basis mehr erodieren. Auch, oder gerade weil Teile der Anhängerschaft die Politik ihrer Führung immer nachvollzogen haben. Die Deadline: die grüne Bundesdelegiertenkonferenz am 13. Mai in Bielefeld.

War die mühsame Agitation vergeblich? Das Ergebnis kann sich jedenfalls kaum sehen lassen: Quer durch die Republik findet man praktisch keinen Landesverband, der nicht in der Frage des Jugoslawien-Krieges gespalten ist. Tendenz steigend. Dies trifft um so härter, da ein wesentliches Kalkül der Terminierung nicht aufgegangen ist: Hatte man Ende März noch hoffen können, daß bis zu jenem 13. Mai der Krieg längst wieder Geschichte und im sonstigen Politalltag verdrängt ist, so ist nun eher das Gegenteil der Fall. Grüne Friedensbringer müssen sich damit rumschlagen, gleich mit den Nato-Bomben auch noch erste Bodentruppen zu legitimieren. Nach knapp sieben Wochen der Bombardierung ziehen führende Parteimitglieder folglich eine wenig aufbauende Bilanz: "Die Grünen", bedauerte jüngst die Bonner Verteidigungspolitikerin Beer, "sind so zerrissen wie nie zuvor." Und das wenige Tage vor der entscheidenden innerparteilichen Schlacht.

Günstiger also hätte der erste "diplomatische Durchbruch", wie die vagen Abmachungen der Außenminister der G 8-Staaten gemeinhin genannt werden, nicht kommen können. Daß da vergangene Woche unter Fischers Führung im Petersberger Gästehaus von einer Einbeziehung Rußlands und damit auch von einer möglichen völkerrechtlichen Uno-Legitimation des Angriffskrieges die Rede war, hat den grünen Kriegsapologeten vor ihrem Himmelfahrtstag erheblichen Aufwind gegeben. War es doch "unser Joschka", der sich bereits in seinem Friedensplan vom 14. April für eine entsprechende "Sicherheitsresolution" stark gemacht hat, die von den Vereinten Nationen, sprich unter Einbeziehung Rußlands, gedeckt werden soll.

Da wollte auch Gerhard Schröder, der die Bundesdelegiertenkonferenz des kleinen Partners mit gemischten Gefühlen beobachtet, nicht nachstehen. "Sehr dankbar" sei er dafür, daß sich sein Außenminister "wirklich krummgelegt hat, um zu diesen Erfolgen zu kommen", ließ der Kanzler nach den G 8-Verhandlungen wissen. Doch außer Schröder und Fischer wollte diese Erfolge bereits zwölf Stunden und einige Luftangriffe später niemand mehr besonders hoch hängen.

Noch bevor Nato-Bomber die chinesische Botschaft in Belgrad zerlegt und damit einen wichtigen Partner schon vorab vergrätzt hatten, sprach der russische Außenminister Igor Iwanow vorsichtig von einem "Schritt in die richtige Richtung". Daß Schröder und die US-amerikanische Außenministerin Madeleine Albright gleich noch die Nato-Führerschaft der anvisierten "internationalen und zivilen Sicherheitspräsenz" in den Vordergrund stellten, hat dann selbst diesen zaghaften Optimismus des Moskauer Verhandlers zunichte gemacht. Auch Fischer mußte einräumen, daß man von der geplanten Entsendung von Friedenstruppen "noch ein gehöriges Stück entfernt" sei. Klarer formuliert US-Politikerin Albright: "Ich habe es mir abgewöhnt, den Zeitplan von UN-Resolutionen vorherzusagen."

Unter diesen Vorzeichen erscheint selbst die Forderung nach einer befristeten einseitigen Unterbrechung der Luftangriffe, mit der die grünen Bundesvorständler nun in Bielefeld antreten, als reine Luftnummer. Weiterhin gilt: ohne Rußland kein Uno-Mandat, ohne Uno-Mandat kein Rückzug jugoslawischer Truppen aus dem Kosovo. Und ohne diesen Abzug, so erläuterte Grünen-Geschäftsführer Reinhard Bütikofer vergangene Woche den Plan der grünen Führung, wird nach 48 Stunden Unterbrechung weitergebombt. Daß der Leitantrag des Bundesvorstandes mit dem Außenministerium abgestimmt wurde, verwundert wenig: Faktisch entspricht der Vorschlag, den seine Verteidiger wie ein Kompromißangebot an die Kriegsgegner anpreisen, den Vorgaben im Fischerplan.

Auch dort wird die Führungsrolle der Nato-Staaten im Fall einer von der Uno legitimierten "Sicherheitspräsenz" nicht in Frage gestellt. Die Vereinten Nationen würden, so kritisierten innergrüne Kriegsgegner Fischers Vorhaben, "lediglich als Legitimationsmäntelchen für ohnehin von der Nato vorgesehene Schritte und Aktivitäten liefern". Ebensowenig steht das UN-Mandat nach Kapitel VII der UN-Charta, also der friedenserzwingende Militäreinsatz, zur Disposition. Um den Magdeburger Parteitagsbeschluß, nach dem die Grünen mit Blick auf die Bundeswehr nur friedenserhaltende Einsätze nach Kapitel VI der Charta unterstützen dürfen, schert sich heute in der Parteispitze ohnehin keiner mehr. Daß diese Entscheidung faktisch zur Makulatur wurde, "ist doch bekannt", merkte Umweltminister Jürgen Trittin jüngst in der taz lapidar an. Man fühlt sich offenbar seiner Sache sicher.

Oder tut zumindest so. Am vergangenen Freitag zauberte Bütikofer eine Umfrage aus dem Hut: 95 Prozent der befragten Grünen-Anhänger, so ließ der Geschäftsführer wissen, befürworteten den außenpolitischen Kurs Joseph Fischers. Diese Einschätzung hält freilich keiner ernstzunehmenden Analyse stand. Betrachtet man, mit welchen Vorgaben die verschiedenen Landesverbände zum Bielefelder Parteitag anreisen, ergibt sich ein anderes Bild der grünen Stimmungslage. Demnach stehen zwar nach Abstimmungen Baden-Württemberg, Bremen, Hessen und das Saarland hinter der Politik ihres Außenministers, gleichwohl haben sich einige Landesgliederungen für einen sofortigen, bedingungslosen Stopp der Nato-Angriffe ausgesprochen. So etwa Hamburg, Bayern und Berlin. Unzählige Kreisverbände, von Lübeck über Bochum bis Karlsruhe, schlossen sich dieser Forderung an, während große grüne Bastionen wie beispielsweise Köln dem Frontmann Fischer den Rücken stärken.

Gespaltenheit auch im Osten: Während sich die Landesvorstände von Sachsen-Anhalt und Brandenburg ebenso für eine unmittelbare Einstellung der Kämpfe stark machen, plädieren wichtige Kreisverbände wie der Leipziger, Schweriner oder Dresdner für eine "befristete Feuerpause". Im gleichen Sinn entschieden die Delegierten des mecklenburg-vorpommerschen Landesverbands auf ihrem Parteitag.

Nun steht das letzte Gefecht an: Die meisten der 54 Anträge für die Bundesdelegiertenkonferenz, die schon vor dem vergangenen Wochenende in der Parteizentrale eingegangen sind, fordern in unterschiedlicher Form die sofortige bedingungslose Beendigung der Luftangriffe - eine Position, die im Bundesparlament jedoch lediglich von Christian Ströbele, Annelie Buntenbach und fünf weiteren Abgeordneten vertreten wird. Dagegen steht in erster Linie der Leitantrag des Bundesvorstands, unterstützt von der Mehrheit der Bonner Parlamentarier sowie - wenn auch nicht offen - Außenminister Fischer.

Selbst wenn sich die beiden Pole zunächst unvereinbar gegenüberzustehen scheinen: Der große Showdown ist in Bielefeld nicht zu erwarten. Wer bis heute die Politik der grünen Führung getragen hat, wird den Bruch der Bonner Koalition, und damit eine vorübergehende Bedeutungslosigkeit auf der politischen Bühne, kaum mitverantworten wollen. Dafür wird nicht zuletzt der "Kompromißvorschlag" des Bundesvorstandes sorgen, der um so überzeugender wirken dürfte, nachdem Umweltminister Jürgen Trittin letzte Woche den bad guy abgegeben und sich gegen eine befristete Waffenpause ausgesprochen hatte. Doch selbst Kriegsgegner Ströbele beruhigte schon mal vorab: "Wir wollen weder aus der Koalition raus, noch unsern Außenminister in Frage stellen."

Bahn frei also für Fischer, den "faktisch parteilosen Außenminister" (FAZ), der ohnehin "keine grüne, nur deutsche Außenpolitik" machen will. Dafür läßt sich bei 51 000 Mitgliedern auch eine vierstellige Zahl von Parteiaustritten, wie sie Kriegsgegner Uli Cremer für den Fall der Fischer-Zustimmung ankündigt, verkraften. Jedes große Ziel fordert schließlich seine Opfer.
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