Die Nato bombt weiter

Tandem ohne Hinterrad

Die Tickets waren schon gebucht. Eigentlich wollte der britische Außenminister Robin Cook mit seinem russischen Kollegen Igor Iwanow am Sonntag der Schottischen National-Oper in Edinburgh einen Besuch abstatten. "Aida" wurde aufgeführt, und für den zweiten Tag stand eine Tour durch Schottlands berühmteste Brauerei auf dem Programm. Doch der britisch-russische Umtrunk fiel aus, und auch die reservierten Plätze in der Oper blieben leer: Nach der "barbarischen Bombardierung" (Viktor Tschernomyrdin) der chinesischen Botschaft in Belgrad sagte der russische Außenminister die geplante Zusammenkunft ab. Die von Diplomaten als wichtigstes Treffen nach dem Bonner G 8-Gipfel gewertete Begegnung zwischen Cook - der "diplomatischen Brücke zwischen den Deutschen und den Amerikanern" (The Guardian) - und Iwanow platzte.

Damit dürfte auch das von London bis Moskau als "ernsthafter politischer Lösungsversuch" gefeierte Bonner Treffen bald in Vergessenheit geraten. Die vor allem vom deutschen Außenminister Joseph Fischer gepriesene Formel von der "Rückkehr zum Primat der Politik" liegt vorerst begraben unter einem Haufen chinesischen Porzellans. Das von der Nato als "Tandem-Strategie" verkündete Konzept, zwar zu verhandeln, gleichzeitig aber die Angriffe auf Jugoslawien zu verschärfen, entpuppt sich einmal mehr als das, was es immer war: ein Kriegs-Konzept. Die Rund-um-die-Uhr-Zerstörung der serbischen Infrastruktur geht weiter. Und was die Entschuldigungen von US-Präsident William Clinton an China wert sind, machte Pentagon-Sprecher Kenneth Bacon schon im ersten offiziellen US-Statement nach der Attacke auf die Botschaft klar: "Ich rechne nicht mit einer Pause. In der Tat erwarte ich eher eine Intensivierung." Der Treffer könne den Serben "eine ganz gute Vorstellung" liefern, was sie künftig zu erwarten hätten.

Wirklich alles nur dumm gelaufen? Selbst wenn es sich bei dem Angriff auf die Botschaft tatsächlich um einen durch Fehlinformationen des US-Geheimdienstes CIA verursachten "bedauerlichen Irrtum" gehandelt haben sollte, dürften sich zumindest Teile der Anti-Jugoslawien-Allianz in ihrem Kurs bestätigt sehen. Zwar ist der Standort der chinesischen Botschaft auf jeder Touristenkarte von Belgrad eingezeichnet - wenn es um das Ausbooten der Vereinten Nationen geht, scheinen der Nato jedoch alle Ziele recht. Trotz des durch die Botschaftsbombardierung verursachten weltpolitischen Kollateralschadens wollten sich zumindest US-Außenministerin Madeleine Albright und Clintons nationaler Sicherheitberater Samuel Berger auf eine zentrale Rolle der Vereinten Nationen am Verhandlungstisch nicht einlassen: Da nutzt es Uno-Generalsekretär Kofi Annan wenig, daß er im Zuge des G-8-Gipfels gleich zwei Kosovo-Gesandte ernannte: den slowakischen Außenminister Eduard Kukan und den früheren schwedischen Premierminister Carl Bildt, der schon in Bosnien für die Uno diplomatisch unterwegs war. Niemand, so Albright in der Washington Post, auch nicht die Gesandten Annans, hätten das Recht, im Namen der Nato zu verhandeln. Einen hochrangigen Beamten des Weißen Hauses zitiert die Zeitung mit den Worten, daß "wir nichts akzeptieren werden, was nicht unseren Minimalforderungen genügt". Die Uno könne allenfalls einer friedensschaffenden Truppe "ihren Segen erteilen", kontrollieren aber dürfe sie sie nicht.

Am Ende werden die Nato-Staaten wohl doch nicht um eine Uno-Lösung herumkommen. Aber wie auch immer diese aussehen wird, bliebe sie im Kern eine Nato-Lösung - mit russisch-chinesischen Einsprengseln. Denn beruhte der hintere Teil der westlichen "Tandem-Strategie" bislang auf der Annahme, daß man nur "Rußland mit ins Boot" nehmen müßte, um auch China von einem Veto im Uno-Sicherheitsrat abzuhalten, hat die Nato nun ein ernsthafte Problem mit der zweiten Nicht-Nato-Vetomacht am Hals: Peking wird die Chance nutzen, die Position Rußlands bei den Verhandlungen mit dem Westen zu stärken.

Womit auch ein dritter Spieler wieder auf die diplomatischen Bühne zurückkehren könnte: Die Forderung des jugoslawischen Präsidenten Slobodan Milosevics nach einer einseitigen Feuerpause der Nato, ehe er mit dem Rückzug seiner Truppen aus dem Kosovo beginnt, dürften sich auch Rußland und China zu eigen machen. Nach dem Motto: Keine Verhandlung ohne Angriffsstopp. Bis es soweit ist, bombt die Nato selbstverständlich weiter - bedauerliche Irrtümer nicht ausgeschlossen.