Meins bleibt meins

Hilfe, Murdoch kommt! Auf den Mainzer Tagen der Fernsehkritik wurden die nationalen Claims verteidigt

Das Fernsehen, wem sage ich das, wird Jahr für Jahr schlechter, die Kosten für Übertragungsrechte steigen, die Fähigkeit des Journalismus zu kritischer Reflexion nimmt parallel dazu ab, und um zu fragen, ob und, wenn ja, wann das Abendland endlich untergegangen ist, reisen die Medienjournalisten Jahr für Jahr zu den Mainzer Tagen der Fernseh-Kritik auf dem ZDF-Gelände am Lerchenberg. "Der Kampf um die Spiele" war das Thema des diesjährigen Treffens, und es ging um Sport.

Passend zum Gegenstand der Tagung hatte kurz zuvor Rupert Murdoch, bekanntlich "Mogul", "Tycoon" und "Zar" in einer Person, die Champions League an den kleinen Sender TM3 gegeben, und so hatten die versammelten Medien- und Sportjournalisten, Fernsehmacher, Medienmanager und Wissenschaftler so richtig was zu schimpfen, um den mächtigen Medienkonzernen mal einen besonders schmerzenden Schlag zu versetzen.

"Versucht doch mal", ruft der pensionierter Starreporter des DDR-Fernsehens, Heinz-Florian Oertel, und bietet sein gesamtes Wissen zur politischen Ökonomie auf, "mit vernünftigen Argumenten die Schraube zurückzudrehen!" Die Adressaten des mutigen Appells sind Reporterkollegen wie Jörg Wontorra (Sat.1), Heribert Faßbender (ARD), Wolf-Dieter Poschmann (ZDF) und Marcel Reif (RTL). Angesprochen auf Oertels Forderung und andere Modelle eines knapperen und billigeren Fußballangebots, meint Marcel Reif: "Der Charme dieses Modells hat sich Herrn Murdoch nicht erschlossen."

Rupert Murdochs Offensive auf dem deutschen TV-Markt löste unterschiedliche Reaktionen aus. Günter Struve, als Programmdirektor der ARD ohnehin nicht mit solch teuren Gütern wie Champions League oder Bundesliga betraut, will "klammheimliche Freude" über den Schaden beim Konkurrenten lieber nicht aufkommen lassen. "Und zwar deswegen nicht, weil alles so schön geregelt schien. Die Claims waren doch abgesteckt." Die schöne alte Ordnung mit vier großen Sendern - zwei halbstaatliche, zwei private - will Struve auf jeden Fall erhalten: "Wenn Murdoch auch noch die Bundesliga will, entwickelt sich ein ganz neuer Fernsehmarkt in Deutschland."

Die angeblichen Pläne Murdochs, Sat.1 zu kaufen - vorerst ein Gerücht -, stoßen bei den Mainzer Tagen der Fernsehkritik allgemein auf Ablehnung. Dieter Hahn, stellvertretender Vorsitzender der Geschäftsführung der Kirch-Gruppe, wimmelt solche Gerüchte nur ab: "Das hören wir schon lange." Wie sich sein angeschlagener Konzern gegen eine solche Attacke wehren könne, macht Hahn an anderer Stelle deutlich. "Es stellt sich doch die Frage", so Hahn, "wie national der Sport noch sein kann." Er erinnert an die ausbleibenden sportlichen Erfolge der Eishockeynationalmannschaft, die auch an der schlechten Verwertung der Deutschen Eishockey-Liga (DEL) im Kirch-Sender DSF schuld seien. "Da muß man dem Sport Ausnahmemöglichkeiten eröffnen", fordert Hahn, und wenn erstmal nationalistisch begründeter Protektionismus gegen Sportler durchgesetzt ist, der hierzulande breite gesellschaftliche Zustimmung besitzt, dann wird die Industriepolitik sich auch durch Abgrenzung gegen Murdoch auszeichnen.

Widerspruch kommt da nicht von links, sondern von ARD-Struve, der der Meinung ist, bestimmte wichtige Ereignisse wie Länderspiele gehörten gar nicht ins Privatfernsehen. "Die sollen kommerzielles Fernsehen machen, wir senden das national bedeutende." Der linksliberale Sportsoziologe Helmut Digel, im Ehrenamt Präsident des Deutschen Leichtathletikverbandes und Vizepräsident des Nationalen Olympischen Komitees, formuliert es namens der Nicht-Fußballsportarten so: "Wir haben den Anspruch an das öffentlich-rechtliche Fernsehen, Sport als nationales Kulturereignis abzubilden."

Wenn sich das nationale Wohl nicht rechnet, sondern nur Miese macht - läßt sich dieser Gedanke übersetzen -, ist der Staat gefragt. Der Vertreter des Staates, der nach Mainz gereist war, der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Kurt Beck (SPD), ist für solche Überlegungen durchaus zu haben. Wenn da, wo ernsthafte Sportübertragungen erwartet würden, zu viele neumodischer Spökes gezeigt werde, droht der sozialdemokratische Revoluzzer, wolle er an der Spitze eines "Aufstands der ehrlichen Fans" stehen. Richtiger Sport, so Beck, diene nämlich der Emotionsabfuhr: "Wenn der Fußball unübersichtlich wird, bleiben die Fans weg, und die Emotionsabfuhr findet auf andere Weise statt. Das ist dann weniger steuerbar." Anders, scheint's, als der Fußball, den jeder SPD-Politiker zu steuern imstande ist.

Aber Beck, der damit kokettiert, sein Wohlbefinden hänge sehr wohl von den Erfolgen des 1. FC Kaiserslautern ab, will allzu viel ungesteuerte Emotion weder sich noch bei seinen Wählern erlauben. "Die Emotionalität am Wochenende darf nicht in die sachliche Beurteilung des Medienpolitikers überschwappen", meint Beck, und ZDF-Intendant Dieter Stolte assistiert: "Wir dürfen über dem Sport nicht die wahren gesellschaftlichen Relationen aus dem Auge verlieren." Den richtigen und zweckgebundenen Sport, den Beck, Stolte und Struve meinen, ist der an den Zweck nationalen Wohlfühlens gebundene Sport.

Dieser Sport rechnet sich nicht. Dennoch sichern sich Fernsehanstalten für dreistellige Millionenbeträge die Übertragungsrechte, denn Sportveranstaltungen - vor allem Fußball, daneben und in wesentlich geringerem Umfang noch Formel-1, Boxen, Basketball und Tennis - sind "für einen Sender imageprägende Events", so Dieter Hahn. Sat.1 mache mit der Bundesliga keinen Gewinn, RTL nicht mit der Formel-1, und auch bei TM3 sei mit der Champions League kein Gewinn zu erwarten, aber es hilft, ein jugendliches Image zu kreieren. "Jedes Vollprogramm braucht Spitzensport", so Hahn, und der neue RTL-Chef Gerhard Zeidler gab jüngst in einem Interview die Verluste seines Senders durch die Champions League mit etwa 50 Millionen Mark an.

Auf die imageprägenden Effekte hoffen die privaten wie die öffentlich-rechtlichen Sender gleichermaßen. Dabei wird von den Sendern völlig vergessen, daß sie es mit einem gesellschaftlichen Bereich zu tun haben, dem man sich journalistisch nähern sollte. Am deutlichsten formuliert das Rudolph Brückner, Chefredakteur des DSF: Auf die Frage, wo denn beim teuren Rechtekauf die Kritik bleibe, antwortet er mit einer Gegenfrage: "Gibt es überhaupt kritischen Sportjournalismus? Ist doch nur Sport, wir berichten doch nicht übers Kosovo."

Für ARD-Mann Struve stellt sich das prinzipiell nicht anders dar. Sein Sender gehört zu den Sponsoren des Profiradstalls Team Telekom bei der Tour de France. Gefragt, wie sich das zur journalistischen Unabhängigkeit verhält, sagt er: "Sie können ja nur Doping meinen." Interessant an Struves schnörkelloser Gleichsetzung von kritischem Sportjournalismus mit der Berichterstattung zum Thema Doping ist, daß ihm gar nicht mehr in den Sinn kommt, daß Journalisten auch das sportliche Ereignis kritisch würdigen könnten. Ob Marco Pantani oder Jan Ullrich führt und wie ihre Leistungen bzw. die ihrer Teams zustande kommen, ist weder für Struve noch für Brückner Gegenstand journalistischen Interesses.

Der Sportjournalist Christoph Biermann faßt das so zusammen: Betrachtet man die Abhängigkeit von Geldgeber Fernsehen und Imagespender Sport, "dann ist die Sache mit der journalistischen Distanz ganz einfach: Es kann sie nicht geben. Der Spitzensport des aktuellen Fernsehzeitalters ist ein Unterhaltungsprodukt, das von allen Beteiligten so behandelt werden muß. Journalistische Distanz kann in dieser Konstellation nur ein Produkt der Einbildung sein. Jedenfalls können nicht ein Journalismus im aufklärerischen Sinne, sondern bestenfalls journalistische Gesten, die der Unterhaltung dienen, gemeint sein."

Diese journalistischen Gesten ersetzen vielerorts das journalistische Handwerk. Und das Berufsverständnis wird durch das nationale Bekenntnis ersetzt. Es ist doch normal, redet sich der Journalist ein, zu den Deutschen zu halten und diese Regung öffentlich zu machen. Dieses nationale Glaubensbekenntnis wird zur einzigen Botschaft seines Berichts. Sie steckt in Sätzen wie: "Das sollte er besser bleiben lassen", wenn ein Deutscher foult; sie steckt in der eigenständigen nationalen Bildregie, die, statt einen verletzten ausländischen Spieler zu zeigen, lieber auf den beratschlagenden deutschen Trainer geht, und sie fällt gar nicht mehr auf.

Nur da, wo sich ein Kommentator offen nationalistisch äußert, regt sich vielleicht noch Widerspruch.Diese Art der Fußball-, allgemeiner: Sport- und noch allgemeiner Kulturbetrachtung hat sich durchgesetzt. "Seit mit dem Weltmarkt eine Weltgeschichte und eine Weltliteratur entstanden sind", schrieb Wolfgang Pohrt 1984 in konkret, "seit Weltstars und Weltrekorde das Interesse des Publikums noch im letzten Winkel der Erde fesseln, ist Heimatverbundenheit die schönfärberische Umschreibung der Unfähigkeit einer Branche, beim internationalen Konkurrenzkampf mitzuhalten."

Die Forderung von Dieter Hahn, für den Sport sollten nationale Ausnahmeregelungen gelten, damit nicht zu viele Ausländer auf deutschen Sportplätzen die Ware entwerteten, paßt in diese Interpretation. Nationale Konzentration mag Hahn mehr als ein vielfältiges internationales Programm. Und solche Konzentration wird volkswirtschaftlich als Verknappung des Angebots gegen inflationäre Tendenzen bezeichnet.

Regte sich vor zwei Jahren die Nation noch auf, daß die Kirch-Gruppe die WM-Rechte 2002 und 2006 erworben hatte, um einige Spiele vielleicht im Pay-TV zu zeigen, so regt sich die Nation nun auf, daß ein anderer Spitzenfußball, der der Champions Leage nämlich, künftig nicht in Kirchs digitalem Pay-Kanal läuft, sondern in Murdochs Free-TV namens TM3. Das Fernsehen wird Jahr für Jahr schlechter, und die Medienkritik bemüht sich, Schritt zu halten.