Das Herz schlägt weiter

Auf ihrer Jubiläums-Großveranstaltung darf sich die Sudetendeutsche Landsmannschaft freuen: Die Volkstumspolitik ist auf dem Vormarsch

"Die sudetendeutsche Volksgruppe lebt!" ruft Bernd Posselt in die Menge. Rauschender Beifall. Rund 80 000 praktizierende Revanchisten sind am vergangenen Wochenende nach Nürnberg gekommen, um vor historischer Kulisse den 50. Sudetendeutschen Tag ihrer Landsmannschaft zu begehen. Einen "Blick in die Zukunft" bietet das Jubiläum nach Meinung von Posselt, der für die CSDU im Europaparlament sitzt und außerdem Stellvertretender Bundesvorsitzender der Sudetendeutschen Landsmannschaft (SL) ist. Denn "unser Anliegen ist europaweit auf dem Vormarsch: Das Heimatrecht ist aktueller denn je".

Bei allem Wandel, den Deutschland und Europa in den letzten 50 Jahren durchgemacht hätten, sei "der Wille der Sudetendeutschen" bestehen geblieben, "auch getrennt von der Heimat als Volksgruppe in Geschlossenheit zusammenzustehen", lobte auch der bayrische Ministerpräsident Edmund Stoiber (CSU). "Über ein halbes Jahrhundert hinweg" habe die SL ihre Identität bewahrt: "In Ihnen schlägt auch heute nach wie vor das Herz des Sudetenlandes." Der 50. Sudetendeutsche Tag, hatte bereits SL-Sprecher Franz Neubauer im Aufruf zu der Veranstaltung versichert, werde zeigen, daß "unsere Volksgruppe fortbesteht und entschlossen ist, an der Gestaltung ihrer Heimat im vereinten Europa mitzuwirken".

Als "Baustein" für dieses "vereinte Europa" sieht die SL das "Recht auf die Heimat" an, das über ein "bloßes Niederlassungsrecht im Rahmen der Europäischen Union wesentlich" hinausgehe. Einer beim Sudetendeutschen Tag verbreiteten Erklärung der SL war zu entnehmen, daß dieses von den Vertriebenen geforderte "Recht auf die Heimat" in der Tschechischen Republik vielmehr ein Volksgruppenrecht einschließe, das sowohl für "heimatverbliebene" als auch für "zurückkehrende Sudetendeutsche" gelten müsse.

Bereits seit einigen Jahren ist es in der Führungsebene der sogenannten Vertriebenenverbände ziemlich unstrittig, daß eine Politik der unmittelbaren Gebietsrevision nicht möglich sein wird. Es gehe vielmehr um ein "modernes Volksgruppenrecht als Baustein eines vereinten Europa", wie es der inzwischen verstorbene NS-Volksgruppen-Experte Theodor Veiter vor gut 30 Jahren in einem Referat vor dem völkischen Witikobund (WB) - einer der drei sogenannten Gesinnungsgemeinschaften innerhalb der SL - ausdrückte. Der Antisemit Veiter hatte während des Nationalsozialismus im Sold des Auswärtigen Amtes gestanden, für das er Konzepte zur Instrumentalisierung des Volksgruppenrechts erarbeitete.

Seinen Einfluß trug Veiter auch direkt in den Bund der Vertriebenen (BdV). So trat er 1970 vehement für eine Charta der Freizügigkeit und des Volksgruppenrechts ein, die der BdV aufzulegen gedachte. Vorarbeiten zu dieser Charta begrüßte er mit den Worten: "Das Werk erscheint in einer Zeit, da in der europäischen Öffentlichkeit die Fragen des Volkstums eine neue Aktualität gewonnen haben." Als Regionen dieser Aktivität zählte Veiter neben Irland, Belgien und Südtirol bereits Jugoslawien auf. Daß er sich mit seinem Volksgruppenkonzept nicht nur gen Osten wandte, sondern auch Westeuropa zu infiltrieren suchte, belegen Veiters Vorwürfe gegen Frankreich, dem er vorwarf, im Elsaß "schwere Verstöße gegen das Volksgruppenrecht" zu begehen.

"Je stärker sich Europa in Zukunft integriert", knüpfte das WB-Organ Witiko-Brief Anfang der Neunziger an Veiters Konzeption an, "desto stärker werden als Ausgleich zum zentralen Regiment die Regionalisierungstendenzen." Das "Problem deutscher Volksgruppen" werde dann "nicht mehr ein spezifisches Problem des deutschen Staates und deutscher Menschen sein, sondern ein europäisches", dem man sich "zusammen mit europäischen Partnern - mit Basken, Bretonen, Sarden, Aostanern, Szeklern usw. - widmen" könne. Noch sei das "Zukunftsmusik, da traditionell gleichgeschaltete Zentralstaaten wie Frankreich hierin einen Sprengsatz zum Nachteil ihres bisherigen Nationalverständnisses" sähen: "Aber auf die Dauer gesehen ist hier wirklich etwas drin."

Ihre Realisierung finden derartige Politikansätze bereits seit 1990 auf dem Territorium der Tschechischen Republik, dem Zielgebiet der SL. Als Vehikel dienen dabei die fünf deutsch-tschechischen Euroregionen, und auch Bemühungen um Aufnahme von aktiven Städtepartnerschaften unter Anteilnahme der Untergliederungen der SL tragen erste Früchte: Unter Beteiligung von Funktionären der entsprechenden Heimatgliederungen der SL kam im letzten Jahr die erste tschechisch-deutsche Landkreis-Partnerschaft zustande. Der bayerische Kreis Neuburg-Schrobenhausen vereinbarte die Zusammenarbeit mit dem tschechischen Landkreis Jesen'k.

Eine besondere Rolle bei der Vermittlung dieser Modellstädtepartnerschaft kommt den Heimatkreisgemeinschaften der SL zu, die eine Doppelfunktion wahrnehmen. Zum einen stellen sie seit Bestehen der "Vertriebenenverbände" einen wesentlichen Teil von deren Basis. Ihre Aufgabenstellung ist es, "im Sinne der Substanzerhaltung die Lebenskräfte der Volksgruppe planvoll nutzbar zu machen und so die Grundlage für die Volksgruppenpolitik zu erstellen", wie es Hans-Christoph Seebohm, der damalige Sprecher der Sudetendeutschen Landsmannschaft, in den sechziger Jahren auf den Punkt brachte. Zum anderen sind die Heimatkreisgemeinschaften seit 1989/90 die operierenden Keimzellen der erstrebten Germanisierung. In unterschiedlichen Konstellationen arbeiten sie seitdem in vorderster Front an der Regermanisierung ehemals deutscher Gebiete.

An die Tradition der "sudetendeutschen Avantgarde des Volkstumskampfes" (so der kritische Historiker Volker Zimmermann) gegen die Tschechoslowakei bis zu deren Zerschlagung 1938 anknüpfend, erklärte es die Sudetendeutsche Landsmannschaft bereits anläßlich ihrer Gründung Anfang 1950 zu ihrem Ziel, die "Existenz und Substanz der Volksgruppe" zu sichern. In der damals verabschiedeten Detmolder Erklärung proklamierte man, daß die "sudetendeutsche Volksgruppe" zum "Zeitpunkt einer Gestaltungsmöglichkeit, die ihr die Wiedergewinnung ihrer Heimat verspricht, geschlossen bereitstehen" werde, um "dann ihr künftiges Schicksal aus eigener Verantwortung selbst entscheiden zu können".

Am Pfingstwochenende standen die völkischen Kämpferinnen und Kämpfer wieder einmal bereit - oder, wie sich Neubauer in seiner Festansprache am Sonntag ausdrückte: "Heute stehen wir fester denn je zusammen", und "der Wind hat begonnen, sich zu drehen". Alle Anwesenden wußten, was gemeint war. Hatte doch der Präsident der sogenannten Exilregierung der Republik Kosovo, Bujar Bukoshi, in seinem Grußwort noch kurz vorher verkündet: "Wir werden nicht aufgeben! Wir werden nach Hause zurückkehren." Und darin sind sich die Volkstumskämpfer der SL mit denen des Kosovo einig.