Grüne am Anfang vom Ende

Fischerboot in Seenot

Auf einen Stimmenanteil von ganzen vier Prozent sind Bündnis 90/Die Grünen, so das ZDF-Politbarometer, nach ihrem Kriegsparteitag gesunken. Bei der Europa-Wahl am 13. Juni steht ihnen ein Debakel bevor. Die Folgen sind absehbar: Weitere Machtkämpfe, weitere Austritte, weitere Stimmenverluste. Das grüne Schiff ist am Sinken, aber die, die es nun verlassen, wollen nicht die Ratten sein - schließlich waren sie die letzten, die das klaffende Leck auf der Backbordseite zu stopfen versuchten.

Ansonsten, das bekommt man von allen zu hören, die in den letzten zwei Wochen aus den Grünen ausgetreten sind, tut es gut, wieder in freien Gewässern zu schwimmen. "Eine Befreiung war das", seufzt etwa Norbert Hackbusch auf, Abgeordneter der Hamburger Bürgerschaft und bis vergangene Woche arbeitsmarktpolitischer Sprecher der Grünalternativen Fraktion. Gemeinsam mit vier weiteren GALiern - darunter die Stellvertretende Fraktionsvorsitzende Heike Sudmann - hat Hackbusch letzten Montag dem "Joschka-Fischer-Fanclub" Lebewohl gesagt. Sie stören sich nicht nur am grünen Kriegseinsatz, sondern ebenso an der "schleichenden Auflösung grüner Grundsätze" in anderen Bereichen, von der Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik bis zur Basisdemokratie.

Sollte sich noch ein Mitglied der Bürgerschaft zum Übertritt entschließen, könnte die Gruppe Fraktionsstatus beanspruchen. Als ständige Einladung steht bei Presseterminen neben den Stühlen der fünf Parlamentarier immer ein sechster, leerer Stuhl. In einer ganzen Reihe von Bezirksparlamenten konnten die Aussteiger bereits Fraktionen gründen, mancherorts haben gleich ganze Fraktionen das Parteibuch abgegeben. Kein Wunder, daß Hackbusch bereits davon spricht, bei den Bürgerschaftswahlen in zweieinhalb Jahren gegen die einstigen Parteifreunde anzutreten.

Das ginge Judith Demba wohl schon zu weit. Nach zehnjähriger Mitgliedschaft will sich die Mitgründerin der Ost-Grünen und Abgeordnete im Berliner Landesparlament jetzt erst einmal von den Grünen erholen. Sie rechnet nicht damit, am 10. Oktober wiedergewählt zu werden. Der Zeitpunkt, das Parteibuch abzugeben, war für die Linksgrüne gekommen, als sie in Bielefeld feststellen mußte, daß die Mehrheit der Partei Fischers Kriegskurs stützt und innerparteiliche Opposition bei den Grünen nichts mehr ausrichten kann. "Die Partei hat in Bielefeld eine ganz andere Richtung eingeschlagen", sagt Demba. Der Durchmarsch der Fischer-Fraktion habe damit sein Ziel erreicht.

Anders als Hackbusch setzt Demba auch keine großen Hoffnungen auf "BasisGrün", ein "Netzwerk von ausgetretenen und austrittswilligen Mitgliedern von Bündnis 90/Die Grünen", das sich bei einem Treffen am 6. Juni in Dortmund konstituieren will. "Wenn das so eine Art Wiedergründung der Grünen werden soll, dann gebe ich ihm keine Chance", meint Judith Demba.

Das sieht auch Daniel Kreutz, Landtagsabgeordneter in Nordrhein-Westfalen, so. Trotzdem hofft er auf das Treffen. "Ob man in den Grünen bleibt, oder, wie ich, austritt, ist jetzt vergleichsweise uninteressant", meint Kreutz. "Die Frage ist doch, wie man in Zukunft überhaupt noch Politik machen kann." BasisGrün biete die Chance, unterhalb der Schwelle einer neuen Parteigründung gesellschaftlichen Druck zuwege zu bringen - gegen den Krieg, aber auch gegen die "Hombachisierung" der rot-grünen Regierungspolitik.

Für viele ist der Krieg der einzige Grund auszutreten, meint der brandenburgische Landtagsabgeordnete Carsten Linke. Für ihn selbst kämen noch eine ganze Reihe weiterer Gründe hinzu: Eine Funktionärsstruktur, wie er sie aus der DDR kenne, verfestige sich; zunehmend entwickelten sich die Grünen zu einer Partei für Karrieristen, die in dem Bundestagsabgeordneten Matthias Berninger ihr Vorbild gefunden hätten. Die Struktur der Partei im Osten begünstige diese Entwicklung noch, denn "hier verfügt die Partei praktisch über keine Basis; wer kein Parteiamt hat, ist meistens nur zu faul dazu". Bald, so nimmt er an, werden die Grünen "wie die FDP, der sie ohnehin immer ähnlicher werden", nur noch auf Bundesebene eine Rolle spielen.

Vielleicht wird nach dem Krieg aber auch alles weitergehen wie bisher. BasisGrün könnte sogar seinen Teil dazu beitragen: Als Auffangbecken für Grüne, die sich nicht zum Austritt entschließen können, würde die neue Strömung faktisch Fischers Kriegspolitik stabilisieren - die Mehrzahl der bisherigen BasisGrün-Anhänger ist nach wie vor Mitglied von Bündnis 90/Die Grünen.