Kraft durch Fußball

Das Buch "Stürmer für Hitler" befaßt sich mit dem Fußballspiel im Dritten Reich

Wenn demnächst der DFB sein hun-dertjähriges Bestehen feiert, dann werden vom Fußball im Dritten Reich geblieben sein: Schalke, Szepan und Kuzorra, der Schalker Kreisel und die erstaunliche Tatsache, daß Schalke zwischen 1934 und 1942 sechsmal Meister wurde. Und allenfalls, dem Osten zuliebe, der Dresdner SC.

Natürlich werden auf der schicken Gala in Frankfurt auch unsere drei "Ehrenspielführer" etwas reden müssen. Und sollte Fritz Walter tatsächlich von Kerner resp. Beckmann gefragt werden, wie das denn damals eigentlich war, im Krieg, dann wird er erzählen, sein Jagdgeschwader Graf sei am 8. Mai 1945 in amerikanische Gefangenschaft geraten, und dort, im Lager, habe man gegen eine Mannschaft der US-Army Fußball gespielt: "Nicht während des Spiels, aber hinterher habe ich mir oft überlegt, was wohl besser die Sinnlosigkeit eines Krieges hätte demonstrieren können als diese Situation? Sieger und Besiegte, Bewacher und Gefangene lassen sich von einem Spiel verzaubern, als gäbe es nichts Wichtigeres auf dieser Welt." Mehr werden Beckmann resp. Kerner bestimmt nicht wissen wollen, und die nächste Frage wird den "Chef" betreffen oder das Wunder von Bern.

Das eine ist das ewige dumme Gewäsch. 1943 war Hermann Graf mit 202 Abschüssen der erfolgreichste deutsche Jagdflieger, er trug das Ritterkreuz mit Brillanten und hielt sich eine Fußballmannschaft: die "Roten Jäger". Dem Liebling der Wehrmacht war es gelungen, anderen Kommandeuren einige "Nationalspieler" abzuschwatzen. (Auch das - man hatte es geahnt - ein Naziwort: Früher sprach man von "Internationalen".) Fritz Walter erinnert sich: "Fußball war für ihn ein Ausgleich, er hatte ihn so nötig wie das tägliche Brot." Die Spiele seiner "Jäger" waren "der große Lichtblick in seinem Jagdfliegerleben, das von Tag zu Tag härter wurde".

Das andere ist beispielsweise das "Todesspiel" von Kiew. Im August 1942 trat die Luftwaffenmannschaft "Adler", um ihre arische Überlegenheit zu beweisen, gegen eine ukrainische Auswahl an, zu der mehrere Spieler von Dynamo Kiew gehörten. Fatalerweise siegten die rassisch Minderwertigen mit 5:3 Toren. Tags darauf wurden alle Dynamo-Spieler unterm Vorwurf der Spionage verhaftet und ins KZ gesteckt. Drei von ihnen wurden später zusammen mit 17 weiteren Häftlingen erschossen, weil jemand dem Hund des Lagerkommandanten einen Tritt versetzt hatte. Ein vierter wurde wegen Widerstands gegen die Lagerleitung hingerichtet.

Der Staatsführung und namentlich dem Führer war am Fußball nicht sonderlich gelegen. Diese Sportart, behaupten die Autoren Gerhard Fischer und Ulrich Lindner, ließ sich im Gegensatz zu anderen für propagandistische Zwecke deshalb nur schwer mißbrauchen, weil der Fußball bekanntlich besonders rund sei. Der "erratische Charakter" dieses Spiels, findet auch die Neue Zürcher, mache es "unberechenbarer" als den Boxsport oder die Leichtathletik.

Vielleicht lag's aber ganz einfach daran, daß man einen Schmeling hatte und in allen möglichen Disziplinen zahllose Medaillen erringen konnte, während Dr. Nerz und in seiner Nachfolge der Reichssepp Herberger mit ihren Mannschaften durchweg erfolglos blieben. Das einzige Länderspiel, das Hitler besuchte, wurde ausgerechnet auf der Berliner Olympiade von 1936 ausgerechnet gegen Norwegen mit 0:2 verloren. Sowas nahm der Führer übel.

Vielleicht aber entsprach das staatliche Desinteresse am Fußball der Goebbelsschen Strategie, den Volksgenossen neben dem Kino einen weiteren halbwegs ideologiefreien Raum zu lassen, in dem sie Kraft und Freude tanken konnten für den Endsieg. Als 1942 die deutsche Mannschaft in Berlin der schwedischen mit 2:3 unterlag, erkannte Goebbels die demoralisierende Wirkung eines solchen Mißerfolgs: Nach der Devise "Niemand darf euch schlagen!" (Slobodan Magath) untersagte er derartige Veranstaltungen in der Reichshauptstadt.

Trotzdem ging's natürlich im Dritten Reich zu wie bei den Nazis. Der organisierte Massensport war seit Friedrich Ludwig Jahns Zeiten von deutschnationalem, kriegerischem und antisemitischem Geist geprägt. Im Frühjahr 1933 beeilten sich die Vereine, jüdische und kommunistische Mitglieder und Funktionäre auszuschließen und das Führerprinzip zu installieren. "Stürmer für Hitler" schildert die Geschichte der jüdischen Sportbewegung in Deutschland und Österreich und die Schicksale jüdischer Sportler. Die beiden einzigen jüdischen Fußballer, die je für eine deutsche Auswahlmannschaft gespielt hatten, und zwar zwischen 1911 und 1913, hießen Gottfried Fuchs und Julius Hirsch. Fuchs konnte 1937 nach Kanada fliehen, Hirsch, der den noch heute gültigen Rekord von zehn Toren in einem Länderspiel hielt, wurde in Auschwitz ermordet.

Die besten Sportler sollten auch die besten Soldaten Hitlers sein. Der Profisport war streng verboten, und ausgerechnet Herberger, der in seiner Jugend beim Wechsel von Waldhof zum VfR Mannheim den ersten Handgeld-Skandal in der deutschen Fußballgeschichte ausgelöst hatte, war ein rigoroser Verfechter des damals schon anachronistischen Amateurprinzips. Den "Verräter" Oskar Rohr, einen Internationalen des FC Bayern München, der nach 1933 als Profi in der Schweiz arbeitete, verfolgten die Nazis mit Langmut und aus dem einzigen Grund, er habe sich dem jüdischen Krämergeist ergeben und sein sportliches Talent zu Geld gemacht. 1940 wurde er in Marseille vom Vichy-Regime verhaftet und in ein deutsches KZ abgeschoben. (Noch in den sechziger Jahren übrigens verkündete unser Bundespräsident Heinrich Lübke, der Sport fördere in segensreicher Weise "die Treue zum deutschen Volk".)

Sozialdemokratische und kommunistische Sportvereine wurden selbstredend schon 1933 liquidiert. Ein interessantes Kapitel widmen Fischer und Lindner dem Verhältnis von unpolitischen proletarischen und "jüdischen", d.h. bürgerlichen Clubs. Zur ersten Sorte zählte der TSV 1860 München, dem die Gleichschaltung im nationalsozialistischen Sinne besonders leicht fiel, zur zweiten der FC Bayern, Tennis Borussia Berlin und Eintracht Frankfurt. Noch heute sollen bei Spielen des "Arbeitervereins" Kickers Offenbach nicht selten antisemitische Sprüche zu hören sein, und nach den Ergebnissen der Frankfurter erkundige man sich mit der Frage: "Wie haben denn die Juden gespielt?"

Den anhaltenden sportlichen Erfolg des FC Schalke 04 feierten die Nazis als "Sieg der Arbeiterklasse". Die Spieler der Meistermannschaften wurden ehrenhalber in die SA aufgenommen. Nach dem Anschluß Österreichs unterzeichnete Fritz Szepan, der Schalker Kapitän, anläßlich der "Wahlen" zum "Großdeutschen Reichstag" einen Aufruf zugunsten der NSDAP, und wenig später nahm er das "bisherige jüdische Kaufhaus Julius Rode & Co." in seine "arischen Hände". Wenn auch die Schalker Spieler sich nicht in auffälliger Weise für das Regime engagierten, so ließen sie sich doch gern benutzen, und sie profitierten dabei reichlich.

Im letzten Spiel der Nazizeit besiegte der FC Bayern am 22. April 1945 den TSV 1860 München mit 3:2. Das erste Spiel nach dem Dritten Reich bestritten im Juni 1945 der FC Bayern und Wacker München. Obwohl die Bayern diesmal mit 3:4 unterlagen, gab es auch im Fußballsport eine gewisse Kontinuität, die sich von Weltkriegen und politischen Umwälzungen nicht erschüttern ließ. Dafür sorgte schon das Personal. So war Carl Koppehel, bis 1945 Pressesprecher des Fußballverbandes, nach dem Krieg in offiziellem Auftrag zuständig für die Geschichte des DFB.

Daß die Legende vom unpolitischen Sport nicht mehr ist als die Lebenslüge des DFB und vieler seiner Mitglieder, haben Fischer und Lindner gründlich bewiesen. Ihr durchaus lobenswertes Buch ließe sich indes leichter lesen, könnte man nur einmal für fünf Minuten vergessen, daß die Autoren der gefürchteten "schreibenden Zunft" angehören. Hertha BSC, die Weddinger Schlampe, ist natürlich "die altehrwürdige Dame Hertha". Muß das denn immer sein? Und was soll eigentlich solch ein Satz: "Der Acht-Stunden-Arbeitstag wurde eingeführt, womit den Fußballbegeisterten, die zuvor zwei bis vier Stunden mehr malochen mußten, die Gelegenheit gegeben wurde, höchstselbst in der Freizeit gegen die Lederkugel zu treten"?

Gerhard Fischer, Ulrich Lindner: Stürmer für Hitler. Vom Zusammenspiel zwischen Fußball und Nationalsozialismus. Verlag Die Werkstatt, Göttingen 1999, 303 S., DM 34