»Schindlers Liste« ohne Schindler

Benigni-Debatte: »Das Leben ist schön« als Passionsspiel

Roberto Benignis "Das Leben ist schön" nimmt die Figur des deutschen Retters zurück, die Steven Spielbergs "Schindlers Liste" in Szene gesetzt hat: der deutsche Arzt, der im Konzentrationslager als möglicher Retter für Guido und seinen Sohn ins Spiel kommt, entpuppt sich plötzlich als jemand, der über jede persönliche Beziehung hinweg der Logik der Vernichtung treu bleibt. Vor dem Hintergrund von "Schindlers Liste" und auch dank der Darstellung von Horst Buchholz erscheint dieser Moment als die beste Szene des Films, da sie eine Erwartungshaltung enttäuscht.

Aber die Sequenz ist nur ein Wermutstropfen in einem Film, der im übrigen - ganz nach dem "Geschmack" des deutschen und österreichischen Publikums - alle Erwartungen erfüllt, die Erwartung vor allem, daß es Guido bis zuletzt gelingt, seinem Sohn das Märchen, es handle sich um ein Spiel, glaubhaft vorzumachen. Es wäre ein anderer, vermutlich besserer Film geworden, hätte er es gewagt zu zeigen, daß Guido sofort bei seiner ersten parodistischen Aktion - wenn er den SS-Mann komisch übersetzt - getötet werden würde. (Adorno fand übrigens, daß Chaplins "Great Dictator" in Szenen frevle wie jener, "wo ein jüdisches Mädchen SA-Männern der Reihe nach eine Pfanne auf den Kopf haut, ohne daß es in Stücke zerrissen würde". Und Chaplin selbst hat sich bekanntlich von der Komik seines Films distanziert, als er von den Tatsachen der Vernichtung in den Lagern erfuhr.)

Die Replik auf Tobias Ofenbauers Kritik (von Carmen Dehnert und Lars Quadfasel in Jungle World Nr.18/1999), die sich ausgerechnet auf Adorno und Chaplin beruft, hat wie alle lobenden Besprechungen des Benigni-Films einen beschwörenden Ton: Nein, der Film versöhne nicht, nein, er ermögliche keine bruchlose Identifikation. Kaum aber findet sich ein Argument, ein Hinweis darauf, worin der genußvolle emotionale Nachvollzug in Frage gestellt werden würde (und das Medium des Films bietet dazu an sich reichliche Möglichkeiten) - so daß Distanz einbricht zu dem, was dargestellt wird, der Erzählende den Ort, von dem aus gesprochen wird, reflektiert. Oder soll man sich daran halten, daß der Film immerhin zeige, daß es im KZ nicht so lustig zugeht wie außerhalb? Und Sentimentalität - der süße Schmerz - die Komik einfärbt?

Und dabei genügt die Lektüre eines Comics, um das Versöhnliche und Verharmlosende dieses Films bewußt zu machen: In Art Spiegelmans "Maus" sind die jüdischen Opfer als Mäuse gezeichnet. Nur in der Negation erscheint noch das Humane: Der Rassismus wird so ernst genommen, wie er aus der Perspektive seiner möglichen Opfer genommen werden muß - und jede noch so komische Situation ist davon betroffen. Die Sehnsucht eines nicht-jüdischen Publikums nach Versöhnung wird konterkariert - ein jüdisches Publikum davor gewarnt.

Die primitiv gezeichneten, maskenhaften Tierköpfe drücken im Gegensatz zu den rührenden Großaufnahmen Benignis das Leid aus. Ein Nachgeborener gestaltet hier die Vergangenheit, indem er die unüberwindbare Distanz und zugleich die unausweichliche Nähe zum Vater und zu dem, was dieser Überlebende von Auschwitz berichtet, bewußt werden läßt. Zwischen den Leichenbergen der Vernichtungslager an seinem Zeichenpult sitzend, wird der Autor, der sich selbst als Maus zeichnet, von Journalisten gefragt: "Viele junge Deutsche haben Holocaust-Stories bis HIER. Das ist doch alles lange vor ihrer Geburt passiert. Warum sollen DIE sich schuldig fühlen?" Und die Mausegestalt des Autors antwortet: "Woher soll ich das wissen? - Aber eine Menge Firmen, die unter den Nazis floriert haben, sind heute reicher denn je. Ich weiß nicht -"

Benignis Film aber will keine Verfremdung und schon gar nicht solche Fragen, sondern totale Einfühlung. Ein weiteres Mal erzählt er die Legende vom "geretteten Kind" (Hanno Loewy), die seit Bruno Apitzs "Nackt unter Wölfen" und der Dramatisierung des "Tagebuchs der Anne Frank" durch die Kulturindustrie geistert. "Nur noch für seinen Sohn stellt Guido ein Subjekt dar" (Dehnert/ Quadfasel) - eben darum braucht der Film das Kind: Laßet die Kindlein zu mir kommen, denn ihrer ist das Himmelreich.

Anders als Spielbergs opera seria, die Schindler wie einen griechischen Gott präsentiert oder wie einen aufgeklärten Despoten, der den Geschäftserfolg mit der Toleranz zu verbinden weiß, hat Benigni in seiner opera buffa ein Passionsspiel verpackt. Denn es ist der christliche Opferkult, der hier als Verarbeitung- und Bewältigungsform angeboten wird: Seht das Opfer, das eure Sünden auf sich genommen hat und für euch gestorben ist. Darum auch darf Guido erst am Ende getötet werden. Er stirbt, damit die andern leben, damit es den andern gut geht, damit das Leben schön ist. So lautet die geheime frohe Botschaft, die Roberto Benigni bei der Oscar-Verleihung auch noch ausgeplaudert hat, als er den Opfern dankte.