Deutsche Dominanz

Polnische Eltern kämpfen in Bierawa gegen die Schließung einer Schule und die Übermacht der Deutschen

Jozef Herda ist verzweifelt: "Ich will nicht, daß mein Kind aus der Schule kommt und mich (auf deutsch) 'Vater' nennt", erklärte er jüngst dem polnischen Nachrichtenmagazin Polityka. Herda protestiert zusammen mit anderen Polen gegen die Auflösung einer Schule in dem polnischen Dorf Kotlarnia.

Doch nicht die Sorge um länger werdende Schulwege oder schlechte Busfahrzeiten ist der Grund für den Protest von Herda und anderen Eltern gegen "die Arroganz der Selbstverwaltung". Vielmehr befürchten sie eine Dominanz des Deutschtums.

Die Mehrheit der Bevölkerung in der Gemeinde Bierawa im südöstlichen Einzugsbereich von Kozle gilt als "autochthon". Zu dieser Gemeinde zählt auch die Ortschaft Kotlarnia. Die als "autochthon" titulierten Bürger berufen sich auf eine deutsche Herkunft und dürfen seit dem Zusammenbruch der nominalsozialistischen Staaten des Ostblocks wieder ihre vermeintlichen kulturellen und sprachlichen Wurzeln pflegen. Anders gesagt: dem Deutschtum huldigen.

Im Gegensatz zu den Polen verfügt die "deutsche Minderheit" mehrheitlich über zwei Pässe: Der Großteil der in Polen lebenden "deutschen Minderheit" hat seit der deutschen Einheit die deutsche Staatsbürgerschaft beantragt und auch bekommen. Auf ihren polnischen Paß mußten sie nicht verzichten. Nach aktuellen Schätzungen leben knapp 200 000 Menschen in Polen, die beide Pässe besitzen.

Der Doppelpaß bietet seinen Besitzern einige Vorteile: Wer auch im Besitz der deutschen Staatsbürgerschaft ist, kann problemlos in Deutschland arbeiten. Und sich als "deutsche Minderheit" in Polen in deutscher Sprache unterrichten lassen.

Bereits im deutsch-polnischen Nachbarschaftsvertrag von 1991 waren "Minderheiten" als "natürliche Brücken" definiert worden, die ihre "ethnische, kulturelle, sprachliche und religiöse Identität frei zum Ausdruck" bringen dürfen. Auch materielle Unterstützung wurde der "deutschen Minderheit" von bundesdeutscher Seite zuteil: Von 1990 bis 1997 wurde ihre Arbeit mit mehr als 175 Millionen Mark vom deutschen Bundesinnenministerium finanziert, das Geld wurde vor allem für die Förderung der deutschen Sprache aufgewandt.

Unter den Dörfern der Gemeinde Bierawa besteht lediglich in Kotlarnia die Mehrzahl der rund 900 Einwohner aus Menschen, die sich nicht als Deutsche definieren. Die anstehende Schließung der Dorfschule wird von einem Großteil der Eltern als gleichbedeutend mit einer Germanisierung begriffen. Denn diese Schule ist die einzige der Gemeinde, in der die deutsche Sprache nicht als Muttersprache angeboten wird. Wenn Deutsch als erste Sprache unterrichtet würde und nicht mehr als Fremdsprache, fürchten die Eltern, werde man ihre Kinder auch als Deutsche ansehen und nicht mehr als Polen.

Beim Gemeinderat stoßen die Eltern mit ihren Bedenken auf taube Ohren: 15 der 20 Ratsmitglieder gehören dem Verband der deutschen Sozial-Kulturellen Gesellschaften (VdG) an, einer Organisation des Deutschtums in Polen. Auch im Wahlbezirk Opole, zu dem die Gemeinde gehört, ist die Lage aus polnischer Sicht nicht besser: Seit den Regionalwahlen im Herbst des letzten Jahres nehmen VdG-Vertreter im Kreistag der Wojwodschaft Opole gut die Häfte der Sitze ein.

Landesweites Aufsehen erregten allerdings nicht diese deutschen Kontroll- und Machtinstitutionen, sondern die Absicht der Verteidiger der Schule von Kotlarnia, einen Verein der polnischen Minderheit zu gründen: "Wir fühlen uns wie Fremde im eigenen Land", erklärte einer ihrer Sprecher. Weiter hieß es: "Wenn wir als Minderheit anerkannt werden, bekommen wir die gleichen Rechte wie die deutsche Minderheit." Der zuständige Verwaltungschef in Opole fürchtet hingegen, daß die Region durch die Schaffung eines Verbands der polnischen Minderheit in Polen lächerlich gemacht würde.

Als selbstverständlich hingegen wurde in Opole angesehen, daß Anfang Mai, zum 78. Jahrestag des Dritten polnischen Aufstandes von 1921 am Gora Sw. Anny bei Strzelce Opolskie, neben Vertretern polnischer Behörden auch VdG-Mitglieder Blumen niederlegen durften. Damit nahmen erstmals an einer Gedenkfeier zum Ausbruch der deutsch-polnischen Kämpfe um das ehemalige Oberschlesien auch Vertreter des Deutschtums teil. "Eine polnische Mutter beweint ihre gefallenen Söhne genauso wie eine deutsche Mutter", äußerte selbstbewußt der Vorsitzende der Sozial-Kulturellen Gesellschaft der Deutschen (SKGD), Henryk Kroll, gegenüber der polnischen Nachrichtenagentur PAP.

Strzelce Opolskie ist einer der Landkreise in Opole, in denen mit der SKGD eine VdG-Untergliederung bei den Regionalwahlen im Herbst 1998 ihre größten Erfolge erzielt hatte.