Erfolgreiche Ruhigstellung

Nachdem BGS-Beamte einen Sudanesen so lange niederdrückten, bis er tot war, will Innenminister Schily nun auf Abschiebeflüge verzichten, bei denen die Behörden vorher mit Widerstand rechnen

"Während der Dauer des Fluges, mit welchem die Außerlandesbringung rückzuführender Ausländer vollzogen wird, finden jedoch keine Fesselungsmaßnahmen statt, sondern allenfalls Fixierungen mittels Klettband."

Was die alte Bundesregierung ihren Bundesgrenzschutzbeamten schon 1995 als zulässige Knebelmethode bei Abschiebeflügen empfohlen hatte, war letzten Freitag gar nicht mehr nötig: Die Lufthansa-Maschine LH 558 hob gerade vom Frankfurter Rhein-Main-Flughafen ab, als Aamir Omer Mohamed Ahmed Ageeb auch schon tot war. Kein Knebel, nicht einmal Klebeband war nötig, um den Widerstand des Mannes zu brechen. Ein Motorradhelm und drei BGS-Männer reichten aus.

Den Helm hatten die Beamten Ageeb übergestreift, weil er, wie es im "Pressebericht der Staatsanwaltschaft beim Landgericht Landshut zum Ableben des 30jährigen abzuschiebenden sudanesischen Staatsbürgers Ageeb, Aamir" heißt, "als gewalttätig galt". Und, so die Staatsanwaltschaft weiter, "zum eigenen Schutz". Nachdem der Helm an seinem Platz war, hätten die Grenzschützer den Sudanesen gefesselt und seinen Kopf beim Start des Flugzeugs heruntergedrückt. Als sie Ageeb nach dem Abheben wieder aufrichten wollten, "wurde festgestellt, daß er leblos war", wie die Staatsanwaltschaft zielsicher feststellte.

Genauere Erklärungen für das, was die Grenzschützer der Gewerkschaft der Polizei am Frankfurter Flughafen Stunden später bedauerten, fanden sich in den Meldungen von Associated Press und dpa: "In Sicherheitskreisen", so die Nachrichtenagenturen, sei es durchaus erlaubt, gewaltbereite Abschiebehäftlinge an Händen und Füßen zu fesseln und ihnen einen Helm überzuziehen. Die Begründung: Nicht zum Schutz der eigenen Beamten, "sondern auch für den Ausländer, der sich so nicht am Kopf verletzen könne", habe man zum Helm gegriffen - die Tötung Ageebs als humanitäre Intervention.

Die war bei dem Sudanesen wohl bitter nötig. Wegen Nötigung, Diebstahls, Hausfriedensbruch, gefährlicher Körperverletzung und Beleidigung auf sexueller Basis soll er vorbestraft gewesen sein, behaupten "die Sicherheitskreise"; daß er "als gewalttätig galt", wußte die Landshuter Staatsanwaltschaft schon Stunden nach dem Tod. Nicht zu vergessen das Delikt, das den Ausschlag für die Abschiebung gab: Wegen illegalen Aufenthalts hatte das Regierungspräsidium in Karlsruhe die Abschiebeverfügung verhängt. Termin: 28. Mai.

An diesem Tage soll sich Ageeb bereits auf der Fahrt vom Abschiebegefängnis zum Flughafen heftig gewehrt haben, im Flugzeug selbst setzte er seinen Widerstand gegen die polizeilichen Zwangsmaßnahmen fort. Geholfen hat es ihm nichts mehr - und schaden dürfte der Tod durch den Helm auch den drei beteiligten BGS-Beamten nicht: Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) kündigte zwar eine Untersuchung des jüngsten Todesfalls auf bundesdeutschen Abschiebeflügen an, Konsequenzen wolle er jedoch nur ziehen, falls "sich Hinweise auf fahrlässiges Verhalten der Beamten" ergäben.

Doch wo die Fahrlässigkeit beim BGS beginnt und wo sie aufhört, entscheidet in diesem Fall - wie in früheren Fällen auch - der BGS. Bzw. das Bundesinnenministerium. Und was von der "Überprüfung aller Verfahren" zu halten ist, wie sie Schily nach dem Tod eines nigerianischen Asylbewerbers auf einem Abschiebeflug aus Österreich vor nicht einmal vier Wochen schon einmal angekündigt hatte, dürfte der Fall Ageeb ebenfalls gezeigt haben: wenig.

Den in den Abschiebegefängnissen Wartenden nützt es da wenig, wenn Schily nun auf Abschiebungen per Flugzeug in Fällen verzichten will, wo die Behörden schon im Vorfeld mit Widerstand der Abzuschiebenden rechnen: Gewesen sein will es am Ende schließlich wieder keiner. So gehört das Mitgefühl, das die Polizeigewerkschaft am Samstag auch den beteiligten Kollegen aussprach, die den Tod Ageebs nun "voller Entsetzen und Sprachlosigkeit" gegenüberstünden, zur bundesdeutschen Abschiebepraxis dazu. Bei Schily wie bei Kanther: Vier Tote allein in der letzten Legislaturperiode, das zeigt die Statistik der Abschiebungen von bundesdeutschen Flughäfen, konnten den CDU-Vorgänger Schilys im Innenministerium nicht kippen.

Exemplarisch für die sogenannten juristischen und politischen Maßnahmen dürfte dabei der Fall des 30jährigen Kola Bankole sein. Der Nigerianer, der sich bereits fünf Mal erfolgreich gegen Abschiebungen zur Wehr gesetzt hatte, widersetzte sich auch am 30. August 1994 dem Vorhaben der BGS-Beamten am Frankfurter Flughafen - woraufhin die Grenzschützer ihn fesselten und knebelten und einen Arzt heranzogen.

Ohne Bankole zu untersuchen, spritzte dieser dem 30jährigen dann ein Beruhigungsmittel durch die Kleidung hindurch - und es trat für immer Ruhe ein. Statt mit der Wiederbelebung zu beginnen, rief der Arzt nur einen Notfallwagen. Die Konsequenzen: 5 000 Mark mußte der Flughafenarzt fast drei Jahre nach dem Vorfall an amnesty international bezahlen, damit das Verfahren eingestellt werden konnte. Schließlich, so die Richterin, habe der Arzt eingesehen, daß er einen Fehler begangen habe. Die Er-mittlungen gegen die beteiligten Beamten hatte die Staatsanwaltschaft schon ein halbes Jahr nach der tödlich zu Ende gegangenen Abschiebung eingestellt. Eine Beschwerde dagegen lehnte der Generalstaatsanwalt kurz darauf ab.

Auch juristisch also dürften sich Ageebs Reisebegleiter nach der Tötung sicher fühlen.Daß jedoch selbst der sicherste Reisebegleiter zu knacken ist und die Mitreisenden nicht per se dazu verdammt sind, "sehr verstört und erschreckt" aus der Kabine zu steigen, wie es ihnen Helmut Leipold vom Münchener Flughafen-Sozialdienst attestierte, beweist ein Fall aus der Schweiz: Nachdem Beamte der Zürcher Kantonspolizei Anfang Mai einen 23jährigen Kongolesen vor dem Abflug an den Händen gefesselt und ihm den Mund verklebt hatten, entfernten sie beim Erreichen der Flughöhe das Pflaster wieder. Der Mann nutzte die Gelegenheit und fing an zu schreien.

Die Mitreisenden begriffen: Bei der Zwischenlandung in Kamerun stürzten sich die an Bord gebliebenen 20 bis 30 Passagiere auf die Beamten. Obwohl die Crew die Polizisten unterstützte, mußten sie dem Kongolesen die Fesseln wieder abnehmen. Und weiterfliegen durfe die Maschine erst, als den örtlichen Behörden zugesichert wurde, daß der Mann zurück in die Schweiz darf: Weil die maximale Abschiebehaft bereits abgelaufen war - eine Grenze, die es in Deutschland nicht gibt -, lebt er dort nun auf freiem Fuß.