Held für eine Saison

Tot˜ Schillaci, der Torschützenkönig der WM 1990, nimmt seinen Abschied

Was ist eigentlich aus Salvatore alias Tot˜ Schillaci geworden? Diesem italienischen Fußballspieler, der bei der Fußball-Weltmeisterschaft 1990 in Italien plötzlich auf der Bildfläche erschienen ist, zum Helden der italienischen Mannschaft wurde und dann ebenso plötzlich auch wieder aus den Schlagzeilen verschwunden ist?

Die Spur des heute 35jährigen verliert sich in Japan. Um ihn herum Japaner im Kirschblütentaumel, doch der Sizilianer träumt von Spaghetti alle vongole und der Sonne Palermos. Ein bißchen einsam ist es für den Spieler dort schon. Er kann nur drei Worte in der Landessprache sprechen und wird deshalb auf Schritt und Tritt von einem Dolmetscher begleitet. Doch der darf nicht als zwölfter Mann mit auf das Feld, wodurch sämtliche Zurufe des Trainers während des Spiels von Tot˜ unverstanden bleiben, wie Schillaci 1994 in einem Interview mit der italienischen Sportzeitung Gazzetta dello Sport erklärte.

Doch er wußte sich zu trösten: "Mein Leben, das ist der Fußballplatz, ganz gleich, ob in Mailand, Palermo oder Tokio." Die Entscheidung zum Aufbruch nach - ausgerechnet - Japan fiel, als nach der für ihn persönlich so erfolgreichen Fußballweltmeisterschaft 1990 in Italien seine Glückssträhne plötzlich abzureißen schien und die Tore nicht mehr mit der gewohnten Leichtigkeit fallen wollten.

Da kam das lukrative Angebot des japanischen Erstligisten Jubilo Iwata in Höhe von umgerechnet fünf Millionen Mark gerade recht. Die Clubs der japanischen Profi-Fußball-Liga kauften damals mit Vorliebe ausländische Berühmtheiten, wie z.B. den Deutschen Pierre Littbarski, ein, Geld spielte dabei kaum eine Rolle. Zum einen galt es bei Konzernen als chic, sich eine eigene Fußballmannschaft zu leisten, zum anderen waren die jungen Japaner von dem Sport einfach begeistert, so daß man von den erfolgreichen europäischen Kickern lernen wollte, um künftig auch selbst über eine erfolgreiche Nationalmannschaft zu verfügen.

Für Tot˜ Schillaci spielte das alles aber weniger eine Rolle, er wollte damals einfach nur weg. Je weiter weg, desto besser. Und Japan schien von Italien für seine Belange weit genug entfernt zu sein. Denn dort würde er wohl nicht auf Schritt und Tritt an Ehefrau Rita erinnert werden, die sich mit Schillacis Kollegen Gianluigi Lentini vom Acker gemacht hatte. Und vielleicht würde es im fernen Japan dann auch mit dem Toreschießen endlich wieder klappen.

Der Umzug des italienischen Fußballspielers nach Japan war so ziemlich das letzte, was von ihm zu hören war. 1996 war noch die Meldung von der gerichtlichen Scheidung von Rita in den italienischen Zeitungen, und ab dann herrschte endgültig Stille um den früher so gefeierten Kicker. Doch jetzt ist Tot˜ Schillaci zurück in Europa. Am Sonntag betrat der legendäre sizilianische "Bomber", der wohl zu den beliebtesten Fußballern in Italien gehört, zum letzten Mal offiziell den Fußballrasen. Bei seinem großen Abschiedsspiel in Palermo hat der Mittelstürmer noch einmal die große Kunst der sicheren Ballplazierung zwischen den Pfosten zum besten gegeben. Ihm zu Ehren sind nicht nur italienische Stars aufgelaufen. Im gegnerischen Team, das Udo Lattek trainiert, versammelten sich ebenfalls eine Menge international bekannter Kicker, unter anderem war Lothar Matthäus dabei.

Dieses Spiel hat Erinnerungen geweckt an jene Fußball-Saison des Jahres 1989/90, die Schillaci zu einer Legende machte: Mit dem damals neuerworbenen Spieler gewann der Traditionsclub Juventus Turin erst den italienischen Ligapokal, dann den Uefa-Cup. Der bisher unbekannte Kicker Tot˜ Schillaci wurde daraufhin für die Nationalmannschaft zur WM 1990 nominiert. Zu Anfang war es für ihn dort allerdings hart, denn die norditalienischen Mitspieler und Fans verlachten den einzigen Süditaliener in der nationalen Elf zunächst als "Erdfresser". Doch dann zeigte Tot˜, was er damals noch am besten konnte: Toreschießen. Prompt erkickte sich die Neuentdeckung mit sechs Treffern den Titel des Torschützenkönigs der Weltmeisterschaft, Italien schaffte es dank seiner Spielkunst bis ins Halbfinale.

Trotz des riesengroßen Schönheitsfehlers, daß Italien eben nicht Fußball-Weltmeister wurde, wurde Tot˜ Schillaci durch seinen persönlichen Erfolg bei der WM im eigenen Land zum Fußball-Helden jenes Sommers. Besonders die Süditaliener waren stolz auf ihren Tot˜, endlich einmal hatte der Mezzogiorno seinen eigenen Fußball-Star. Das Jahr 1990 wurde zum Höhepunkt seiner Karriere. Der Publikumsliebling landete sogar gleich nach Lothar Matthäus auf dem zweiten Rang bei der Wahl des Goldenen Fußballs. Fotos aus jener glücklichen Zeit - auch Rita war damals noch an seiner Seite - zeigen ihn mit dem goldenen Turnschuh.

Doch der schnelle Ruhm ist dem sizilianischen Aufsteiger nicht bekommen: Nach der WM sank die Trefferquote sehr bald, und der vormalige Held Tot˜ Schillaci mußte immer häufiger einfach auf der Reservebank von Juventus sitzenbleiben. Auch der Wechsel zum italienischen Renommierverein Inter Mailand konnte seinen fußballerischen Fall nicht aufhalten, zu allem Übel hatte er dort auch noch mit der Konkurrenz zu Sosa zu kämpfen. Da half es auch nichts, daß er in den Köpfen der Fans längst zu einer Art Mythos geworden war: Für die war er der Tot˜ mit dem durchdringenden, fast besessenen Blick, der in Interviews zwar hauptsächlich Sizilianisch und nur sehr rudimentär Italienisch spricht, aber blitzschnell mit dem Ball ist.

Tot˜ steht für sie bis heute für einen ehrlichen und niemals arroganten Fußball, dem immer etwas vom Leben auf den staubigen Straßen in den Elendsvierteln Palermos anhaftet. Dort ist er immerhin auch großgeworden. 1964 in Cep, einem der ärmsten Teile der sizilianischen Hauptstadt geboren, wuchs Tot˜ Schillaci mit pane e pallone, Brot und (Straßen-)Fußball auf. Schon bald zeigte sich: Der Junge hat Talent. Nur mit einem kleinen Koffer in der Hand, kam er als Siebzehnjähriger nach Messina, wo er seinen ersten semi-professionellen Vertrag abschloß.

Ehrgeizig kickte er sich und seinen Verein nach oben: aus der italienischen C2-Liga 1983 in die C1-Liga; drei Jahre später sorgten die elf Tore, die er in 31 Spielen für den Verein erzielte, für den Aufstieg Messinas in die B-Liga. Schließlich etablierte sich Schillaci endgültig

als Spitzenspieler, als er in der Saison 1988/89, immer noch bei Messina, in 35 Spielen 23 Tore schoß. Damals wurde er das erste Mal Torschützenkönig. Nach sieben Jahren professionellem Fußball war es dann soweit: Juventus Turin klopfte an und übernahm den Vierundzwanzigjährigen, der damit in die Seria A, die erste Liga, aufstieg. Der Rest ist Geschichte.