Mein Herz macht Knarz

Im Sat.1-Teletext müssen Zuschauer ihre Soaps jetzt selber schreiben

Nicht nur beim Fernsehprogramm kämpfen die Sender täglich um Einschaltquoten. Auch im Bereich des Teletextes (das Wort "Videotext" haben sich ARD und ZDF schützen lassen) wird schon längst um Zuschauer gerangelt, obwohl dort seit Jahren die Öffentlich-Rechtlichen den Spitzenplatz einnehmen.

Die privaten Anbieter hatten sich zunächst schwer getan, das Fernsehen zum Lesen einzuführen. Nicht nur, weil die dahinterstehenden Verlage um den Absatz der von ihnen herausgegebenen Programmzeitschriften fürchteten, sondern auch, weil zunächst gar nicht klar war, ob sich das teure Zusatzangebot überhaupt rentiert. "Wir warten erst einmal ab", erklärte ein RTL-Verantwortlicher vor einigen Jahren, nachdem die Konkurrenz den Sat.1-Text eingeführt hatte und damit richtungsweisend für die meisten anderen privaten Teletext-Dienste wurde.

Während die Öffentlich-Rechtlichen in ihrem Videotext immer größeren Wert auf rasche Nachrichtenübermittlung legten - mit dem Beginn des ersten Golfkrieges wurde dort der Videotext nicht mehr gegen ein Uhr nachts abgeschaltet, sondern rund um die Uhr aktualisiert -, installierte Sat.1 eine Art bunte Illustrierte auf dem Fernsehschirm. Da dieses Angebot von den Zuschauern wie von den Werbekunden gleichermaßen positiv aufgenommen wurde, zogen die anderen Privatsender nach.

Mittlerweile verfügen alle Sender über ein eigenes Teletext-Programm, wenn es auch bei manchen, wie Vox und Arte, nur auf bloße Programminformationen beschränkt ist. Alle stehen jedoch gleichermaßen vor dem Problem der Leser-Sender-Bindung, deswegen wird ausführlich mit der Kundschaft kommuniziert. Die Texte von Arte, Viva und Premiere haben eigene Leserbriefseiten, bei RTL und Pro 7 gibt es auf zahllosen Seiten Gewinnspiele, TM3 installierte als erster Sender Wellness-Tips.

Sat.1, Marktführer unter den privaten Teletextern, führt nun eine Neuerung ein: Die erste von den Lesern geschriebene Fortsetzungs-Soap. Das dafür vorgegebene "Personal": Carla von Knarz, eine um ihr Erbe betrogene, gleichwohl mit ihrem 27jährigen Lover Ralf Raffke in einer Villa mit Rattanmöbeln wohnende 32jährige Frau. Ihr Halbbruder Kasimir, 33 und "abgefeimt", lebt dank des Betruges nun auf dem ihr zustehenden "protzigen Familiensitz", gemeinsam mit seiner Freundin Doris Drall, 23 und - irgendwie ahnte man es - "extrem blond".

Das würde für eine völlig runde Geschichte schon reichen, zumal die Sat.1-Textredakteure pro Fortsetzung nur "sechs Seiten ˆ 15 Zeilen und 35 Anschläge vorgesehen haben. Aber ein paar Nebenfiguren wollen auch beschäftigt sein: "Christian Drall, Doris' Bruder, 19, zu doof, um schlecht zu sein", und der vornamenlose "Dr. Sonntag, 61, Carlas Anwalt". Damit ist die "nette, spannende Story" according to Sat.1 schon so gut wie geschrieben: Carla heiratet Dr. Sonntag, pfeift auf den protzigen Familiensitz und Lover Raffke und sieht mit der Gelassenheit einer Anfangdreißigerin zu, wie die exorbitant hohen Unterhaltskosten Kasimir zu Grunde richten. Aber so einfach geht das nicht, denn da ist noch "Susanne Sonntag, 27, Dr. Sonntags Frau, zu jung, um treu zu sein". Mmmh. Das ist nun ganz schlecht.

Vielleicht geht es so: Susanne und Ralf verlieben sich ineinander, Dr. Sonntag läßt sich scheiden, heiratet Carla von Knarz, zieht in ihre Villa, und von dort aus sehen beide gemeinsam gelassen zu, wie die exorbitant hohen Kosten für den ergaunerten Besitz den abgefeimten Kasimir in den Ruin treiben? Nein. Denn vorkommen müssen neben "Dr. Fieseley, 33, Kasimirs Anwalt, unterste Schublade", auch noch "Rosenholz, Nobelrestaurant, kleine Portionen", die "Lackaffendisco Thunderbeat", wo Modern Talking läuft, und der "Spuckschlecht", eine "In-Kneipe, Jim Beam, bis der Arzt kommt". Sowie die Büros der Doktoren Sonntag ("Holztäfelung") und Fieseley ("VEB-Plaste"). Das ist alles sehr verwirrend.

Wer gehört nun wohin? Carla und Dr. Sonntag in das Nobelrestaurant "Rosenholz", so viel ist klar, zumal Carla durch den Kummer wegen des Erbbetrugs eh kaum noch etwas herunterkriegt. Das macht schon mal zwei Personen und einen Schauplatz weniger. Doris Drall und Kasimir von Knarz gehören eindeutig in die Lackaffendisco, so daß für Susanne Sonntag und Ralf Raffke nur der "Spuckschlecht" übrig bleibt. Christian Drall und Dr. Fieseley könnten dann entweder in Carlas Villa oder in Sonntags holzgetäfeltes Büro ziehen oder sich gemeinsam mit Jim Beam im "Spuckschlecht" besaufen und Susanne und Ralf die Rattanmöbelbude überlassen.

Einfacher wäre es natürlich, die ganze Bande durch einen gemieteten Killer umbringen zu lassen und eine schöne Kriminalgeschichte daraus zu machen, aber davor hatte der Sat.1-Text vorher eindringlich gewarnt: "Tip: Das Personal sollte nicht vorzeitig durch Blutbäder dezimiert werden. Sonst sind Ihrer Kreativität keine Grenzen gesetzt." Dabei könnte es den Textredakteuren doch nun wirklich völlig egal sein, was die Leser mit dem verfügbaren Personal anstellen. Neue Figuren für eine weitere Geschichte sind schließlich schnell erfunden, und soll das alles doch nur ein lustiger Zeitvertreib sein, oder?

Vielleicht aber auch nicht. Denn wenige Tage nach der Annoncierung des Soap-Starts konnte man nicht nur die erste Fortsetzung lesen, sondern auch im Ton schon deutlich strengere Direktiven der Verantwortlichen. Neben: "Lassen Sie sich etwas Nettes, Spannendes einfallen" standen dort Anweisungen wie: "Zur guten Lesbarkeit sollte der Text im Präsens gehalten sein" und die Forderung nach einer "Mischung aus Beschreibung und Dialog". Geht man so mit seinen Lesern um?

Immerhin, die werden nur eine Rollseite weiter gelobt. "Riesig", heißt es da über Menge und Qualität der eingesandten Beiträge, "alle Erwartungen wurden übertroffen." Und zwar durch Einfälle wie diesen: "Die Sonne erhebt sich langsam über dem Herrensitz derer von Knarz." Kasimir steht derweil auf seiner Terrasse, von wo aus er einen "wunderbaren Blick" über seinen Besitz hat. Doris zieht ihn aber nur kurz darauf wieder ins Bett. "Zur gleichen Zeit: Carla ist bei Dr. Sonntag. Es herrscht betretenes Schweigen. 'Es tut mir ehrlich leid, Carla, aber wir können nichts mehr machen.'"

Das Gericht hat nämlich den von Kasimir gefälschten Brief der verstorbenen Mutter, worin der Sohn zum Universalerben erklärt wird, als "echt anerkannt". In der Sat.1-Teletext-Welt kann ein Brief juristisch durchaus einem Testament gleichgestellt sein. Daß Carla und Dr. Sonntag zusammengehören, hat der Laienautor, für dessen Geschichte man sich "unter vielen guten Soaps" entschieden hat, auch gemerkt: "Ihre Haare trägt sie in einem modernen Pagenschnitt, für einen Blick in ihre haselnußbraunen Augen würde er alles tun."

Denn immerhin ist Carla zwar "jenseits der 30, hat aber immer noch Topmodel-Figur." Und so breitet sich nun alle paar Tage auf ziemlich trägen Rollseiten eine Soap aus, mit der Sat.1, das zeigt sich schon bald, nicht nur die Leser beschäftigen will. "Wichtig" sei, erklärt man der Klientel in großen roten Buchstaben: "Mit der Einsendung räumen Sie dem Verlag die ausschließlichen inhaltlichen, zeitlich und räumlich uneingeschränkten Rechte ein, Ihre eingesandten Beiträge in allen bekannten Medien zu nutzen. Dies gilt insbesondere für Veröffentlichung im Rundfunk, Internet, in Zeitungen und Zeitschriften".

Deswegen war es wohl auch verboten, Carla und Co. gleich abzuschlachten. Denn Sat.1 hat mit der Zuschauer-Soap en passant eine kostengünstige Möglichkeit erfunden, an Ideen für neue Serien zu kommen. Wahrscheinlich wird der Stoff in spätestens einem Jahr unter dem Titel: "Knarz macht mein Herz" oder "Aufruhr auf Schloß Knarz" verfilmt, in 52 Fortsetzungen. - Wenn es gelingt, das Problem des beschränkten Doris-Bruders Christian Drall zu lösen, für den es keinen Platz in der Geschichte gibt. Aber vielleicht bringt ja wenigstens den bald wer um.