Theater: Biljana Srbljanovics "Belgrader Trilogie"

Der Kreislauf der Koffer

Kommen Sie ins Stükke-Theater, solange es noch da ist. Und besuchen Sie Europa, solange es noch steht. Dem einen fehlen rund 4 000 DM. Denn wenn nicht durch ein Wunder die öffentliche Zuwendung nachgebessert wird, muß das kleine Theater - nach fünfzehn Jahren, vier Uraufführungen und zwölf deutschsprachigen Erstaufführungen - voraussichtlich im Dezember schließen. Einfach, weil's in der Kulturverwaltung des Herrn Radunski vor lauter Hau-Ruck-Politik mit Sparwahn und PseudoReformen so angeordnet wurde.

Dem Kontinent wiederum fehlt gewiß beträchtlich mehr, und was das sein könnte, wird dann zumindest im Stükke-Theater nicht mehr diskutiert werden. Derzeit bestimmen die deprimierenden Aussichten nicht nur die Atmosphäre, sondern auch den Spielplan der freien Gruppe. Die aktuelle Produktion "Belgrader Trilogie" sollte eigentlich wieder eine deutschsprachige Erstaufführung werden. Aber kein Verlag vergibt ein solches Privileg an ein Haus auf wackeligen Fundamenten, weshalb der Zuschlag nach Essen ging, so Theaterleiterin Stefanie Kuch-Steudemann. Der Ruch von Insolvenz wirkt auch in der Kulturbranche ruinös.

Die "Belgrader Trilogie" (1995) ist das erste Stück von Biljana Srbljanovic, die 1970 in Belgrad geboren wurde und nach wie vor meistens dort lebt. Zentrales Thema ist die Emigration. Das Wort "Krieg" braucht kein einziges Mal zu fallen, weil es in jedem mitschwingt. Aus Belgrad sind zwei Brüder auf der Flucht vor der Zwangsmobilisierung nach Prag geraten, zwei Ehepaare mit der Hoffnung auf ein besseres Leben nach Sydney.

Über zwei in Los Angeles gestrandete Künstler sagte die Autorin in einem Interview, daß diese "Figuren fliehen, weil sie die Mentalität, den herrschenden Geist nicht aushalten - und er holt sie doch ein, unabhängig davon, wie weit sie fliehen". Flüchtige Bekanntschaften noch aus der jugoslawischen Hauptstadt werden in der Fremde notgedrungen vertieft, doch die Animositäten, Ängste, Abhängigkeiten der exilierten Notgemeinschaft löst der Ortswechsel nicht von selbst auf.

Das Stück spielt in den drei Städten ausgerechnet zu Silvester, wodurch sich der ohnedies vorhandene Emotionsüberdruck bei den Auswanderern noch verstärkt. In der Inszenierung von Gabriele Jakobi sind alle, winterlich vermummt, schon zu Beginn in einem Winkel aneinander gekauert. Sie hocken auf ihren Koffern, schauen auf die Wanduhr, geraten beim Klang einer Schiffssirene in Hektik. Die Erde ist hier eine gekippte Scheibe, die wie eine plattgewalzte Weltkarte aussieht (Ausstattung: Lilli Engel). Die Emigranten dürfen sie nur betreten, um zu spielen. Danach ziehen sie sich in ihre Schlupfwinkel außerhalb der hellen Kreisfläche zurück. Sehr nüchtern und sehr direkt läßt Jakobi die Darsteller ein todtrauriges Endspiel aufführen. Schauspielerisch fällt das leider nur mäßig überzeugend aus, als großes Ganzes aber erreicht die Aufführung beklemmende Eindringlichkeit.

Das Stück lief in Belgrad über zwei Jahre vor ausverkauftem Haus, ehe es beim erneuten Kriegsausbruch verboten wurde. Hierzulande ist das nicht nötig. Man braucht, ganz Sachzwang und ohne jede böse Absicht, einem Theater doch bloß den Geldhahn abzudrehen.

Biljana Srbljanovic: "Belgrader Trilogie". Regie: Gabriele Jakobi. Darsteller: Marin Caktas, Christian Fischer, Michaela Hinnenthal , Patricia Schäfer. Stükke, Berlin, Hasenheide 54. Bis 18. Juli