Das IGH-Urteil

Eile und Weile

Den Richtern des Internationalen Gerichtshofes (IGH) war bei ihrem Urteil selbst nicht sonderlich wohl zumute. Darin hatten sie eine "prima facie" - die Zuständigkeit des obersten Rechtsprechungsorgans der Uno - verneint und waren somit dem Eilantrag Jugoslawiens nicht gefolgt.

Die IGH-Juristen formulieren sonst auch in großen Fällen ihr Unzuständigkeits-Votum kurz und bündig; diesmal entschlossen sie sich, in ihr Urteil einen deutlichen Hinweis auf ihre Sichtweise des kriegerischen Konflikts hineinzuschreiben: "Das Gericht ist tief besorgt über die menschliche Tragödie und das enorme Leiden im Kosovo, das den Hintergrund dieser Verhandlung ausmacht, und es äußert seine tiefe Besorgnis über den anhaltenden Verlust von Menschenleben und das menschliche Leiden in allen Teilen Jugoslawiens. Der Gebrauch von Gewalt in Jugoslawien sorgt das Gericht erheblich, da er unter den gegenwärtigen Umständen grundlegende Probleme des internationalen Rechts aufwirft. Das Gericht hält es für nötig zu betonen, daß alle Parteien, die vor seine Schranken treten, entsprechend ihren Verpflichtungen aus der Charta der Vereinten Nationen und anderen Regeln des Völkerrechts, auch des internationalen Humanitären Rechts, handeln müssen."

Noch deutlicher sind einzelne Richter geworden. Zwar sahen sie ebenfalls keine rechtliche Möglichkeit, die von Jugoslawien beantragte Einstweilige Anordnung zum Stopp der Bombenangriffe zu erlassen. Doch gaben sie sich mit dieser formaljuristischen Beschränkung nicht zufrieden und verfaßten eigene Voten.

Richter Vladlen Vereshchetin kritisierte beispielsweise, daß der Gerichtshof angesichts des Krieges nicht unmittelbar nach der Klageerhebung Jugoslawiens mit einer Erklärung an die Weltöffentlichkeit getreten sei: "Das Gericht hätte wenigstens sofort die Parteien auffordern müssen, sich gemäß der Anforderungen, die sich aus der Charta der Vereinten Nationen ergeben, zu handeln. (...) Ein von der Autorität des Weltgerichts getragener Appell hätte auch einen ernüchternden Effekt auf die Parteien in diesem militärischen Konflikt haben können, der in der europäischen Geschichte seit dem Zweiten Weltkrieg ohne Beispiel ist."

Das Verhalten der Richter in dem wohl bisher spektakulärsten Verfahren in der Geschichte des IGH hat die Grenzen des Gerichts deutlich gemacht. Auch wurde die Frage aufgeworfen, welchen Sinn eine internationale Gerichtsbarkeit hat, die dermaßen vom goodwill der verklagten Staaten abhängt.

Somit ist ein Weg beschritten, der die Kompetenzen des IGH künftig wohl schmälern wird: Schon heute haben andere internationale Gerichte - die Spruchkammer der WTO oder der Internationale See-Gerichtshof - weitaus größere Kompetenzen, weil sich die Staaten ihrer Gerichtsbarkeit nicht entziehen können.

Der künftige Internationale Strafgerichtshof soll - anders als das Kriegsverbrechertribunal - eine Zwischenstellung einnehmen: Einerseits sollen alle Unterzeichnerstaaten ihre Staatsbürger seiner Rechtsprechung überantworten. Andererseits sollen die Staaten des Sicherheitsrates ein Veto-Recht gegen Anklagen zugesprochen bekommen.

Das Verfahren vor dem IGH gegen die Nato-Staaten, außer den USA und Spanien, wird jetzt, nach dem Scheitern des Eilverfahrens, in der Hauptsache verhandelt. Dabei wird es weiterhin vor allem um die Zuständigkeitsfrage gehen. Prozesse vor dem IGH können sich über Jahre hinziehen.