Ab durch die Mitte

Zuerst lieferten die Kosovo-Albaner die Legitimation für den Nato-Einsatz, jetzt sollen die Flüchtlinge so schnell wie möglich zurück

Gerade einmal zwei Monate sind sie hier - und schon müssen die ersten Flüchtlinge aus dem Kosovo Deutschland wieder verlassen. Ihre Aufenthaltsgenehmigung läuft Ende des Monats aus - zumindest für die Kosovo-Albanerinnen und -Albaner, die schon Anfang April in die Bundesrepublik geflogen wurden.

Nur über das Tempo, das dabei eingelegt werden soll, streiten die Innenminister noch. Den einen kann es dabei gar nicht schnell genug gehen. Der Startschuß für die Eilrückkehr kam aus der Hauptstadt: Berlins Innensenator Eckart Werthebach (CDU) gab als erster die Zeitmarge für die schnelle Rückführung vor. Die militärischen Vereinbarungen zwischen den jugoslawischen und den Nato-Generälen war noch nicht unterschrieben, da äußerte Werthebach bereits seine Genugtuung darüber, daß die Kontingentflüchtlinge nur eine dreimonatige Aufenthaltsbefugnis erhalten hätten. Auch Bayerns Innenminister Günther Beckstein (CSU) wollte von einer Verlängerung der Fristen nichts wissen.

10 000 Kosovo-Albaner, das hatte die Bundesregierung den anderen EU-Staaten zu Beginn der Nato-Angriffe auf Jugoslawien versprochen, sollten in der Bundesrepublik Aufnahme finden. Doch als die Bombardements letzte Woche eingestellt wurden, war das Anfang Mai von Innenminister Otto Schily (SPD) auf 15 000 erhöhte Kontingent noch nicht ausgeschöpft worden: Gerade einmal 13 766 Flüchtlinge ließ Bonn ins Land.

Nicht ganz so eilig wie Werthebach und Beckstein haben es die meisten der von SPD oder rot-grünen Koalitionen regierten Länder. Einigkeit besteht aber trotzdem, wie der thüringische Innenminister Richard Dewes (SPD) der taz bestätigte: "Oberstes Ziel muß sein, den Flüchtlingen so schnell wie möglich ihre Rückkehr zu ermöglichen."

Dafür, daß der Wunsch der Kontingentflüchtlinge, ihren Aufenthalt hier zu verlängern, nicht allzu groß wird, sorgen schon die deutschen Behörden. Und auch hier heißt das Vorbild Berlin: Die rund 250 Kosovo-Albaner, die nach dem Länderschlüssel in die Hauptstadt verteilt wurden, haben lediglich Anspruch auf die gekürzten Zahlungen des Asylbewerberleistungsgesetzes.

Rechtlich schlechter gestellt als die Kontingentflüchtlinge sind eigentlich nur noch die Kosovo-Albanerinnen, die auf eigene Faust oder mit Hilfe von Verwandten nach Deutschland geflohen sind. Eigeninitiativen von seit Jahren in Deutschland lebenden Kosovo-Albanern, die ihre Verwandten aus der Region holen wollen, läßt das Schily-Ministerium nicht zu - wie ein Rundschreiben von Anfang April belegt. Die Lösung für die illegal Eingereisten präsentierte letzte Woche die Innenministerkonferenz: Wie Asylbewerber werden sie nun auf Lager in den Ländern verteilt.

So groß also sind die Differenzen zwischen SPD- und unionsgeführten Ländern nicht: Erst Ende April hatten sie gemeinsam mit Schily festgelegt, daß nur in einzelnen - von den Ausländerbehörden zu überprüfenden Härtefällen - eine Aufnahme außerhalb des Kontingents möglich sein könnte: "Das Kriterium Familiennachzug alleine reicht nicht aus", schränkte eine Sprecherin des Innenministeriums die vermeintlich unbürokratische Geste ein: Die Kriterien bestimmen künftig die Länder.

Einvernehmen darüber, wie diese aussehen sollen, herrscht in den Staatskanzleien von München bis Kiel: Die unerwünschten Flüchtlinge sollen am besten gar nicht erst nach Deutschland hereinkommen. Informationen über "regelrechte Menschenjagden" durch den Bundesgrenzschutz (BGS) im Grenzgebiet zu Österreich und Tschechien hat der Bayerische Flüchtlingsrat gesammelt. Vom BGS oder der Polizei aufgegriffen Flüchtlinge wurden gleich wieder abgeschoben.

Doch nicht nur an den Grenzen werden die Flüchtlinge behandelt, wie man ungebetene Gäste eben behandelt. Für Gudrun G. aus Berlin etwa sind die Erlasse aus dem Innenministerium längst zum Alptraum geworden. Kontakt mit der Polizei hatte sie bisher zwar nur bei Verkehrskontrollen. Doch seit Ende April fühlt sich die seit zweieinhalb Jahren mit einem Kosovo-Albaner verheiratete Hauspflegerin wie eine "Schwerverbrecherin". Das Ehepaar hatte die Kinder ihres Ehemannes Nazim G. mit seiner geschiedenen Ehefrau und zwei weitere Kinder sowie ihren Bruder nach Deutschland gebracht: "Wir sind mit dem Auto nach Mailand gefahren und haben sie dort abgeholt. Da hatten sie gerade noch eine Tasche und ein Papier von den italienischen Behörden, das sie innerhalb von 14 Tagen zur Ausreise aus Italien aufforderte," beschreibt Gudrun G. die Flucht aus Italien.

In Albanien hatte die Familie einem kommerziellen Fluchthelfer rund 3 500 Mark für die Überfahrt nach Italien bezahlt. "Als der Anruf kam, daß die Kinder und die Mutter in Italien angekommen sind, waren wir natürlich erleichtert und sind sofort runtergefahren, um sie abzuholen."

Doch als sie auf einer Autobahnraststätte bei Bad Tölz in eine Polizeikontrolle gerieten, war die Flucht auch schon zu Ende. "Die Beamten haben von meinem Mann und mir Fingerabdrücke genommen und Fotos gemacht. Die Kinder mußten fünf Stunden lang in einem Extraraum warten und haben noch nicht einmal Wasser angeboten bekommen." Obwohl die vorgelegten Ausweise die Verwandtschaftsverhältnisse belegten, ließen die Polizisten die Familie nicht nach Berlin weiterreisen.

Einen Antrag auf Duldung konnten sie so nicht stellen, und auch den Verweis auf die Herzkrankheit eines der Kinder ignorierte die Polizei. Statt dessen eröffneten die Beamten dem Ehepaar, daß sie sich der "Beihilfe zum illegalen Grenzübertritt" schuldig und damit strafbar gemacht hätten. "Da kommt noch was nach, haben mir die Polizisten gesagt" erzählt Gudrun G. - für das Delikt droht ihr eine Geld- oder eine Haftstrafe bis zu fünf Jahren. Nazim G.s geschiedene Ehefrau, ihr Bruder und die vier Kinder wurden noch am selben Tag in ein Flüchtlingsheim in München gefahren. Gewechselt hat seitdem nur das Lager: Inzwischen sitzen sie in Bayreuth ein.

Kein Einzelfall - schon gar nicht in Bayern, wo der Regierung "eine Rückübernahme in den Nachbarstaat" als erstes Ziel gilt: So fern illegal eingereiste Personen aufgegriffen würden, "gelten die allgemeinen Vorschriften des Ausländerrechts." Auch für Heiko Kauffmann, den Bundessprecher von Pro Asyl, ist die Geschichte von Gudrun G. und ihrer Familie exemplarisch. "Wir sind täglich mit Menschen konfrontiert, die versucht haben, für ihre kosovo-albanischen Angehörigen Einreisegenehmigungen und ein Visum zu erhalten", sagt er. "Die Leute werden sowohl von den Ausländerämtern in Deutschland als auch von den deutschen Auslandsvertretungen mit dem Hinweis auf den Erlaß des Innenministeriums abgewiesen. Selbst wenn sie eine Garantieerklärung abgeben, daß sie für den Unterhalt ihrer Verwandten finanziell aufkommen, hilft ihnen das gar nichts."

Doch auch dafür hat die bayerische Regierung eine Erklärung parat. Michael Ziegler, Pressesprecher des bayerischen Innenministeriums, begründet den Schily-Erlaß mit den "schlechten Erfahrungen", für die die Bosnien-Flüchtlinge gesorgt hätten: "Da wurden von Verwandten haufenweise Verpflichtungserklärungen unterschrieben, und nachher konnten die Leute den Unterhalt für ihre Verwandten doch nicht mehr aufbringen, weil der Aufenthalt in Deutschland viel länger als erwartet war."

Ziegler scheint sich auszukennen auf dem Balkan: "Wenn die alle ihre Verwandten nachholen würden, wäre bald der gesamte Kosovo hier." Einquartiert in Flüchtlingslagern wie die Verwandten von Gudrun und Nazim G: Die Wohnung von Freunden, in der sie hätten wohnen können, bleibt erst einmal leer.