Big Brother aus Garbsen

Ein niedersächsisches Unternehmen will sämtliche Gebäude in Deutschland fotografisch digitalisieren
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Wer schon einmal in Garbsen war, weiß, daß dies ein ausgesprochen öder Ort ist. Nur die nahe Autobahnraststätte verleiht dem niedersächsischen Städtchen ein wenig unverdienten Ruhm. Ansonsten kann man dort durch die Straßen schlurfen und sich Laternenpfähle angucken, oder - ähnlich spannend - die Wohnhäuser.

So könnten auch die ErfinderInnen des "CityServers" auf die Idee gekommen sein, mit der sie zur Zeit für Wirbel sorgen: Der Garbsener Tele-Info Verlag plant, eine CD-Rom herauszubringen, auf der sämtliche Gebäude Deutschlands im Bild verewigt sind - oder zumindest 80 Prozent davon. Mit sechs Kleinbussen fahren MitarbeiterInnen des Unternehmens schon seit einiger Zeit durch die Republik und lassen es dabei in allen Straßenzügen kräftig klicken. Neun Aufnahmen pro Haus machen die acht eingesetzten digitalen Kameras, insgesamt 12 Millionen Gebäude sollen den SpäherInnen vors Objektiv kommen. So entsteht von jeder Straßenseite ein Panoramabild mit Aufnahmen von jedem dritten Meter - und mit geschätzten 44 000 Gigabyte gespeicherten Informationen eine der größten Bilddatenbanken der Welt.

Als Abnehmer für dieses Monumentalwerk, das übrigens jährlich aktualisiert werden soll, hat Tele-Info vor allem Immobilienhändler, Kreditinstitute, Versicherungen, Adressenhändler, Redaktionen, Polizei, Feuerwehren, Rettungsdienste, Baubehörden und Finanzämter im Auge. Das Produkt paßt bestens in die Unternehmensphilosophie der Garbsener Firma: Die Produktpalette fängt beim "CityScope" an - einer CD-Rom mit Stadtplänen und Luftbildaufnahmen, die der BetrachterIn erlaubt, sich virtuell aus der Luft auf die Ebene real existierender Häuser oder Straßen zu zoomen. Selbst Radarstationen sollen erkennbar sein, wirbt das Unternehmen für sein Produkt. Und ebenfalls aus Garbsen kommt eine CD-Rom mit einem Telefon- und Faxnummernverzeichnis: Namen, Straßen, Berufe - alles abfragbar. Die Geschäfte scheinen gut zu laufen: Ende Mai erst hatten Tele-Info und die ebenfalls florierende Telefonauskunftsfirma Telegate ("Fußball, Omma, null Ahnung") eine enge Kooperation vereinbart.

Keine Angst: Daß das alles irgendwie nach Orwell zu riechen scheint, ist kein subjektiv-paranoides Symptom. Auch die Datenschutzbeauftragten sind nicht gut auf Tele-Info zu sprechen. Spätestens mit dem Projekt "CityServer" platzte ihnen der Kragen. Der Bundesbeauftragte für den Datenschutz, Joachim Jacob, wertet das Projekt in seinem gerade erschienenen 17. Tätigkeitsbericht unter der Rubrik "Big Brother im 21. Jahrhundert?" als Teil einer Entwicklung mit "gravierenden Auswirkungen". In einer Presseerklärung sprach er von den Gefahren einer "Datenmacht in privater Hand". Das Verfahren ermögliche "in Sekundenschnelle die Zuordnung von Namen, Anschriften und konkreter Wohnsituation". Dies stelle einen "schweren Einschnitt in die Privatsphäre des Einzelnen" dar - und sei deshalb, so die Schlußfolgerung Jacobs, juristisch "nicht zulässig".

Doch den nachfolgenden Gerichtsstreit gewann Tele-Info: Eine Unterlassungsverfügung des Verwaltungsgerichts Köln verbietet dem Datenschutzbeauftragten nun den Mund. Potentiellen KritikerInnen des "CityServers" droht Tele-Info seitdem präventiv mit der Justiz. Man werde sich gegen unsachliche Kritik und Boykottaufrufe "zukünftig in angemessener Form zur Wehr setzen", erklärt das Unternehmen trotzig.

Zumindest der schleswig-holsteinische Datenschutzbeauftragte, Helmut Bäumler, läßt sich davon nicht beeindrucken. Schließlich tangiere der Vorgang die Datenschutzrechte aller HausbewohnerInnen und -eigentümerInnen. Schutzwürdige Interessen würden verletzt, wenn ein Grundstück von Immobilienhändlern oder Banken ohne Zutun des Besitzers taxiert werde, oder wenn - beispielsweise wegen einer bestimmten Bewertung durch Adressenhändler - verstärkt Werbung zugestellt würde. Kriminelle könnten "lohnende Objekte" auskundschaften oder Behörden wegen bauwidriger Zustände anklopfen. Durch die eindeutige Zuordnung der Bilder zu Adressen und durch die mögliche Zuordnung der Adressen zu einzelnen Personen, z.B. über Telefon- oder Adreßbuch-Datenbanken oder über Eigentümerverzeichnisse, seien die Bilder "personenbezogene Daten" und deshalb unter den Maßgaben des Datenschutzes zu behandeln.

Bäumler hat nun unter (www.schleswig-holstein.datenschutz.de) ein Formblatt ins Internet gestellt, mit dem BewohnerInnen und EigentümerInnen von Häusern und Wohnungen bei Tele-Info Einspruch gegen die Veröffentlichung von Fotos in der Bilddatei einlegen können. Zumindest EigentümerInnen hat die Firma zugesichert, bei Antrag auf Sperrung bzw. Löschung eines Bildes diesem "Wunsch nach Möglichkeit nachzukommen".

Doch das ist Bäumler zuwenig: "Wer gegenüber dem Verlag der Erfassung seines Hauses widerspricht, muß aus der Datenbank genommen werden. Ansonsten riskiert der Verlag Unterlassungs- und Schadensersatzklagen." Bäumlers Stellvertreter Thilo Weichert erklärte gegenüber Jungle World, daß bei ihm bereits über 1 000 Anfragen von besorgten BürgerInnen eingegangen seien; in Niedersachsen hätten die Kollegen sogar über 4 000 Beschwerden erhalten.

Allerdings antworte Tele-Info bisher nicht auf die zahlreichen Widerspruchsbegehren. Weichert gab bekannt, daß seine Behörde nunmehr ein Schreiben an alle Kommunen verschickt habe, um diese aufzufordern, sich als Gemeinde zur Wehr zu setzen. Ob auf dieser Ebene rechtliche Schritte möglich sind, sei zwar ungewiß, zumindest aber könnten die Gemeinden die BürgerInnen über die Erfassung ihrer Gebäude und die möglichen Widerspruchsrechte informieren. Ein Dringlichkeitsantrag von SPD und Grünen im Kieler Landtag, der die Mißbilligung der Bilderfassung und eine Aufforderung an die Landesregierung zu Gegenmaßnahmen enthielt, wurde in der vergangenen Woche von der Opposition aus CDU, FDP und dem Südschleswigschen Wählerverband (SSW) als nicht dringlich zurückgestellt.