Frankreich: Neo-Sklaverei

Eine ehrenwerte Familie

Vincent Bardet (52) gilt als honoriger Mann. Er ist beim linkskatholischen Verlagshaus ƒditions du Seuil tätig, das sein Vater unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg gründete. Ein Haus mit einem lauteren Ruf: In der Vergangenheit hatte sich der Verlag u.a. gegen den Kolonialkrieg in Algerien engagiert. Der Junior hat von seinem Vater das Geschäft samt seiner Reputation geerbt: Er hält heute rund sechs Prozent Kapitalanteile an der florierenden Gesellschaft, wenngleich seine verlegerische Rolle eher unbedeutend ist - Bardet leitet eine kleine Taschenbuchreihe mit spirituellen Texten.

Am vergangenen Donnerstag sind Bardet und seine aus Mauretanien kommende Gattin Aminata (42) von einem Pariser Strafgericht zu einem Jahr Haft verurteilt worden, davon fünf ohne und sieben Monate mit Bewährung. Hinzu kommt eine Geldstrafe von 100 000 Francs und der Entzug der bürgerlichen Ehrenrechte für drei Jahre. Das "Kollektiv gegen moderne Sklaverei" hatte gegen das Ehepaar geklagt - und vor Gericht Recht erhalten.

Verurteilt wurde das Ehepaar Bardet wegen der Bedingungen, zu denen sie ihr Hausmädchen, eine junge aus Togo stammende Frau, beschäftigten. Henriette (der Familienname blieb unbekannt) arbeitete fast vier Jahre lang bei den Bardets, nachdem eine Freundin von Aminata Bardet Anfang 1995 das damals 16jährige Mädchen an die Familie vermittelt hatte. Henriette wollte in der französischen Metropole ihre Sprachkenntnisse verbessern und eine Ausbildung beginnen.

Statt dessen arbeitete sie bis zum Sommer 1998 bei den Bardets, sieben Tage in der Woche, von früh morgens bis spät abends, ohne Ruhepause. Henriette übernahm die Betreuung der Kinder, mußte kochen, putzen und nachts auf dem Boden im Kinderzimmer schlafen. Bezahlt wurde sie dafür nie, freie Tage waren ebenfalls nicht vorgesehen.

Anfänglich begleitete sie noch die Familie zur Messe, doch nach der Besetzung und späteren Räumung der Kirche durch 300 "illegale" Immigranten waren die Bardets der Ansicht, daß selbst der Kirchgang zu gefährlich sei: "In der Kirche warten Polizisten auf dich." Denn über gültige Aufenthaltspapiere verfügte Henriette nicht - die Bardets hatten nie welche für sie beantragt. Im Spätsommer 1998 informierte schließlich eine Nachbarin, der sich Henriette anvertraut hatte, das "Kollektiv gegen moderne Sklaverei", das daraufhin Anzeige erstattete.

Das Ehepaar konnte auch während des Prozesses nichts Verwerfliches an seinem Vorgehen entdecken. Keine Ruhezeiten, keine freien Tage? Dies sei doch normal gewesen, da Henriette als Familienmitglied an den häuslichen Abläufen teilzunehmen hatte. Kein Geld? Angeblich sollte die junge Frau den gesamten Lohn kurz vor ihrer Abreise erhalten. Ein Sparkonto hatten die Bardets zu diesem Zweck freilich nicht angelegt, sie behalfen sich mit Ausflüchten. "Die Afrikaner sind doch froh, wenn sie in die modernen Länder kommen und dort ein bißchen Erfahrung sammeln können", formulierte Vincent Bardet vor laufender Kamera seine Sicht der Dinge.

Der aufsehenerregende Prozeß gegen die Bardets ist in diesem Jahr der zweite, der sich mit "moderner Sklaverei" beschäftigt. Bereits im Februar wurde eine madagassische Staatsbürgerin verurteilt, die ein Dienstmädchen gleicher Herkunft in sklavenähnlichen Verhältnissen beschäftigt hatte. Viele Hausangestellte im vornehmen 16. Pariser Bezirk leben unter vergleichbaren Bedingungen.