Elektronisch gefesselt

Mit dem Pieper auf Du

Das System ist umfangreich und funktioniert trotzdem ganz einfach. Seit der Gedanke der Resozialisierung dem der Rache den Rang abgelaufen hat, seit also, wer die bestehenden Gesetze nicht respektiert, ganz protestantisch seine Schuld erkennen und auf den richtigen Weg gebracht werden soll, ist die Welt hinter Gittern anders geworden. Was vorher jenseits von wie auch immer formuliertem Recht stattfand, differenziert sich seither in eine komplexe Struktur von Strafvollzug aus. Das repressive Pendant zur großen Welt außerhalb der kleinen Gitter: Wer bereit ist, reumütig mit dem System der Strafe zu kooperieren, dem stehen (fast) alle Türen offen. Der hat Freigang, Sportprogramm, Fernsehabend. Wer Ärger macht, etwa die Billigstlohn-Arbeit ablehnt oder sich den Anweisungen der Schließer verweigert, den trifft die ganze Härte des Vollzugsrechts: Terror, Kontaktverbot, Bunkerhaft.

Diesen Mechanismus der Selektion haben die Justizminister der Länder letzte Woche um einen Aspekt erweitert. Freilich aus humanitären Gründen - darunter macht's ja heute keiner mehr - und zunächst als Modellversuch in Baden-Württemberg, Hamburg und Berlin soll nun die "elektronische Fußfessel" eingeführt werden. Das Prinzip: Der Verurteilte muß sei-ne Strafe nicht im Knast, sondern zu Hause absitzen und wird nicht aus dem sozialen Umfeld herausgerissen. Vorausgesetzt, er hat überhaupt ein soziales Umfeld und ein Zuhause. Mit einem Minisender, der ans Bein ge-bunden wird, können die Strafverfolger sofort feststellen, ob sich ihr De-linquent etwa unrechtmäßig von der Wohnung entfernt und auf ein Bierchen in die nächste Kneipe geht oder ins Bett der Freundin hüpft. Die vom Knast ins individuelle Bewußtsein vorgelagerte Kontrolle wird funktionieren. Und wenn das schlechte Gewissen doch nicht ausreicht, muß eben, ganz amtlich, doch wieder der Antrittsbescheid für den Knast her. Martin Luther wäre begeistert.

Natürlich zielt der elektronisch kontrollierte Hausarrest nicht nur, wie Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin (SPD) sagt, auf jene, die "wegen kleinerer Vergehen zu Geldstrafen verurteilt wurden, die aber nicht zahlen können". Der nächste Schritt, zum Beispiel die "fußfesselüberwachte Bewährungsstrafe", ist vorhersehbar. Zunächst aber wird eine Einführung des Kontroll-Piepers anderen Quasi-Delinquenten das Le-ben schwer machen: Flüchtlingen. Denen dürfte die elektronische Fußfessel bald so sicher sein wie jetzt die gentechnische Überprüfung, mit der man einst angeblich Vergewaltigern auf die Spur kommen wollte. Die Fessel wird auch im Bewußtsein der Asylsuchenden ihre repressive Wirkung nicht verfehlen: Schließlich dürfen sie qua Gesetz die ihnen zugeordnete Region nicht verlassen.