Wettlauf zum Cono Sur

Konkurrenz im US-Hinterhof: Die EU wirbt um den lateinamerikanischen Markt

Gipfel folgt auf Gipfel - wirtschaftlich soll es schließlich mit der Europäischen Union aufwärts gehen. Nach den regulären Spitzentreffen der EU und der G 8-Staaten in Köln kam es am Montag und Dienstag in Rio de Janeiro zu einem Novum: Zum ersten Mal trafen die gesammelten Staats- und Regierungschefs aus der EU mit denen aus Lateinamerika und der Karibik zusammen - insgesamt 48 an der Zahl. Alle wurden eingeladen, denn keiner sollte sich ausgeschlossen fühlen, zumindest nicht formell.

Schließlich hat die EU mit fast allen Staaten in Lateinamerika und der Karibik bereits Kooperationsabkommen geschlossen - nur mit Kuba nicht. Insgesamt konzentrieren sich aber die wirtschaftlichen Aktivitäten der EU wie der USA bisher auf wenige Regionen wie den gemeinsamen Markt des Cono Sur (Mercosur) und auf Mexiko. Der transatlantische Konkurrenzkampf um den privilegierten Zugang zu diesen Märkten mit ihrem enormen Potential an Ressourcen und KonsumentInnen ist voll entbrannt. Nachdem EU und USA den Subkontinent in der verlorenen Dekade der achtziger Jahre weitgehend vernachlässigten und die USA danach den besseren Start erwischten, will die EU in Lateinamerika nun zur Aufholjagd ansetzen. Seit Mitte der neunziger Jahre gibt es zwischen beiden eine Art Wettlauf um die Bildung einer Freihandelszone mit Lateinamerika.

Spätestens am 1. Juli 2001 solle eine Kommission mit den Verhandlungen über einen Abbau von Zöllen und eine Liberalisierung des Dientsleistungssektors beraten, hieß es bereits vor dem Gipfeltreffen, auf dem eine gemeinsame politische Erklärung und ein Aktionsplan verabschiedet werden sollten. Die Europäer haben sich schließlich ein hohes Ziel gesetzt: Der Euro solle zumindestens in den Mercosur-Staaten den US-Dollar als Einflußwährung ersetzten, skizzierte Mariano Marin, Übergangspräsident der EU-Kommission bis zur Amtsübernahme Romano Prodis, gegenüber der spanischen Tageszeitung El Pa's die Planungen.

Der "Hinterhof" der Vereinigten Staaten hatte für die US-Unternehmen in den achtziger Jahren wegen der Verschuldungskrise als Produktionsstandort weitgehend ausgedient. Erst mit der beginnenden ökonomischen Erholung und vor dem Hintergrund der entstehenden Wirtschaftsblöcke in Europa und Asien wandten sich die USA wieder gen Süden.

Bereits im Juni 1990 kündigte der damalige Präsident George Bush seine Initiative "Enterprise for the Americas" an. Das erklärte Ziel: eine Freihandelszone von Alaska bis Feuerland. Als erster Schritt in diese Richtung leitete Bush mit Kanada und Mexiko Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen ein. Sein Nachfolger William Clinton überzeugte im November 1993 sogar den zunächst widerwilligen US-Kongreß, den Vertrag zum North American Free Trade Agreement (Nafta) mit Kanada und Mexiko zu ratifizieren. Auch die kontinentale Freihandelszone verlor Clinton nicht aus den Augen. Auf dem "Gipfel der Amerikas" in Miami Ende 1994 bot er den anwesenden Staats- und Regierungschefs aus 33 Ländern eine "Partnerschaft für den Wohlstand" an. Der Gipfel endete mit der Unterzeichnung einer Erklärung und eines Aktionsplans. Bis zum Jahr 2005 sollen die Verhandlungen über eine die gesamte Weltgegend umfassende Freihandelszone, die Free Trade of the Americas (FTAA), abgeschlossen werden.

Dieses Ergebnis unterstützt das Hauptziel der US-Außenpolitik unter Clinton: Absatzmärkte für US-amerikanische Waren zu finden. Indem man die Märkte im Ausland öffne, so der Staatssekretär im US-Handelsministerium Stuart Eizenstat, werden Jobs für US-Amerikaner im Inland geschaffen. Dementsprechend sei es eine außenpolitische Priorität, die Führungsrolle der USA bei der Durchsetzung einer freien Welthandelsordnung zu sichern. Washington ist mit dem Versuch, die Handelsbeziehungen zu Lateinamerika auszubauen und vertraglich abzusichern, aber längst nicht allein: Die EU mischt eifrig mit.

Lateinamerika spielte zwar für die EU lange weder entwicklungs- noch handelspolitisch eine große Rolle. Mehr als symbolische Sympathiebekundungen gab es nicht. Aber nach den Versuchen der USA, die lateinamerikanischen Ökonomien stärker an sich zu binden, ist auch das europäische Interesse erwacht. Im Blickpunkt der EU steht insbesondere der 1991 von Brasilien, Argentinien, Uruguay und Paraguay gegründete Mercosur. Zwischen 1990 und 1994 konnte die EU ihre Exporte in die Mercosur-Staaten mehr als verdoppeln, während die Einfuhren nur leicht anstiegen. Vor allem Brasilien, das zwischen 1990 und 1995 seine Außenzölle von durchschnittlich 52 Prozent auf 14 Prozent senkte, avancierte zum begehrten Absatzmarkt.

Über die Hälfte des Handelsvolumens der EU mit Lateinamerika entfällt inzwischen auf den Mercosur - mit weiterhin steigender Tendenz. Seit der Gründung der Handelszone verfolgt die EU das Ziel, diesen Absatzmarkt vertraglich abzusichern. Vorläufiger Höhepunkt war das im Dezember 1995 auf dem EU-Gipfel in Madrid abgeschlossene Rahmenabkommen, das die Voraussetzungen für eine gemeinsame Freihandelszone schaffen soll. Mit Chile, das dem Mercosur assoziiert ist, wurde 1996 ein ähnliches Abkommen vereinbart.

Während die EU bei Geschäften mit den Mercosur-Staaten bereits die Nase vorn hat, sind in ganz Lateinamerika die USA immer noch der führende Handelspartner - wegen ihres intensiven Handels mit Mexiko.

Deswegen ist Mexiko wichtigster Ansatzpunkt in der Lateinamerika-Strategie der EU. Das Land bietet seit Gründung der Nafta einen nahezu uneingeschränkten Zugang zum US-amerikanischen Markt. Das mit Mexiko im Dezember 1997 unterzeichnete Abkommen über wirtschaftliche Partnerschaft, politische Koordination und Zusammenarbeit ist bisher jedoch nicht ratifiziert.

Dieses Freihandelsabkommen enthält zwar eine Demokratie- und Menschenrechtsklausel, aber Bügerinitiativen in Mexiko und Europa verlangen darüber hinaus genauere Bestimmungen, wie die Einhaltung dieser Forderungen überprüft werden kann. Die EU-Größen halten aber eine Standardklausel für ausreichend und hoffen auf eine Ratifizierung des Freihandelsabkommens noch in diesem Jahr.

Schließlich scheint die Gelegenheit günstig, im Rennen um die Vorherrschaft auf dem lateinamerikanischen Markt an den USA vorbeizuziehen. Clinton verließ den letzten Gipfel der Amerikas im April vergangenen Jahres in Santiago de Chile erfolglos: Es wurde nur das Festhalten an den Erklärungen von 1994 bestätigt, weitere Ergebnisse gab es nicht. Denn der konservativ dominierte US-Kongreß verwehrt Clinton die sogenannte Fast-Track-Autorität, die ihm ein autonomes Verhandlungsmandat sichern würde - der Kongreß könnte dem Verhandlungsergebnis dann nur noch als Ganzem zustimmen oder es ablehnen. Ohne Fast-Track wollen aber die lateinamerikanischen Staaten nicht weiter verhandeln.

Auch an die EU formulieren die südamerikanischen Staaten klare Ansprüche für den Rio-Gipfel. So forderte der uruguayische Präsident Julio Maria Sanguinetti Ende Mai bei einem Vorbereitungstreffen für den Gipfel zu Beginn dieser Woche von den Europäern, ihre "protektionistischen Reflexe" abzulegen und "im Prozeß der Liberalisierung fortzuschreiten." Doch zwischen Lissabon und Berlin wird dies gar nicht gern gehört. Die EU-Agrarlobby - vor allem in Frankreich, Italien und Irland - wollte den Beginn der Verhandlungen mit den Staaten Lateinamerikas und der Karibik möglichst weit nach hinten verschieben.

Erst in der Woche vor dem Gipfel einigte man sich in Brüssel auf das Jahr 2001. Deutschland hingegen wollte sogar schon ein Jahr früher über den Euro-Angriff im "US-Hinterhof" beraten.