Tausche Erdbeeren gegen Flüchtlinge

Startschuß für die Freihandelszone rund ums Mittelmeer: Die EU und Ägypten haben einen Assoziierungsvertrag unterzeichnet

Erdbeeren sind lecker, und besonders fein schmecken sie mit Sahne und Zucker oben drauf. Und wer's nicht lassen kann, hat Grund zur Freude: Nachschub gibt es jetzt das ganze Jahr über.

Denn nach der Unterzeichnung des Assoziierungsvertrags zwischen der Europäischen Union und Ägypten kann das Land am Nil nun einen Teil seiner Produkte zollermäßigt exportieren; im Gegenzug wurden Exportquoten für EU-Produkte festgelegt. Doch das Abkommen geht weit über die üblichen Handelsvereinbarungen hinaus. Denn der Vertrag legt nicht nur fest, wieviel französischen Käse Ägypten importieren muß, sondern auch, daß es abgewiesene Asylsuchende aus Europa wieder aufzunehmen hat.

Das aktuelle Abkommen, das unmittelbar nach dem Kölner Weltwirtschaftsgipfel unterzeichnet wurde, ist dabei nur vorläufiger Höhepunkt einer ganzen Reihen von bilateralen Handelsvereinbarungen. Zug um Zug werden die Staaten Nordafrikas und des Nahen Ostens mit der Europäischen Union assoziiert. Als erste Länder unterschrieben 1995 Tunesien und Israel Verträge mit der EU. Etwas später folgte Marokko, 1997 die Palästinensischen Gebiete und Jordanien. Auf der Liste stehen noch Verträge mit dem Libanon, Syrien und Algerien. Lediglich Libyen, das schwarze Schaf, bleibt erstmal noch außen vor.

Diese neuen Assoziierungsverträge bieten den südlichen Mittelmeer-Anrainern nicht mehr nur - wie früher - intensivere Handelsbeziehungen, sondern auch einen "offenen Dialog und dauerhafte Partnerschaft" mit Europa sowie finanzielle Unterstützungsleistungen. Aus einem besonderen Finanztopf der EU, dem "Meda"-Programm, erhalten sie für den Zeitraum von 1995 bis 1999 finanzielle Hilfe in Höhe von 4,7 Milliarden Euro. Der größte Anteil entfällt mit 750 Millionen Euro auf Ägypten.

Aber die EU gibt nicht nur, sie stellt auch Bedingungen. Hinter dem blumigen Titel "Partnerschaft Europa-Mittelmeer" verbirgt sich eine ganz besondere Strategie: Europa kümmert sich um seine Vorhöfe im Osten und im südlichen Mittelmeerraum, um sich Probleme wie Flüchtlinge, illegale Einwanderung, Drogenhandel und islamischen Fundamentalismus vom Hals zu halten.

Wie ein Schutzring liegen die Staaten Mittel- und Osteuropas, des Nahen Ostens und Nordafrikas um die "Festung" Europa. Während Polen oder Ungarn als sichere EU-Beitrittskandidaten gelten, erhalten die anderen Staaten Assoziierungsverträge und werden schrittweise in ein Schengen-ähnliches System der Visa-, Grenzkontroll- und Rücknahmepolitik eingebunden

Schon seit einigen Jahren werden fast alle Länder des Mittelmeerraums als "sichere Herkunftsländer" eingestuft. Wer als Flüchtling aus einem dieser Länder nach Europa kommt, hat hier keinen Anspruch auf Asyl. Aber abgewiesene Asylsuchende werden von ihren Herkunftsländern zum Ärger der EU-Staaten nicht immer zurückgenommen. Und das soll künftig anders werden: In der schönsten Bürokratensprache wurde dem Handelsvertrag mit Ägypten eine sogenannte Rückübernahmeklausel beigefügt.

Demnach wird das Land am Nil auch dazu verpflichtet, abgewiesene Asylbewerber, sogenannte "Illegale", sowie auch staatenlose palästinensische MigrantInnen aus Europa "zurückzunehmen". Nach dem Motto: Ihr erhaltet Geld und Zollermäßigungen für eure Exportprodukte (sofern ihr damit unseren Bauern keine Konkurrenz macht), dafür nehmt ihr neben europäischem Käse auch Menschen zurück, die wir nicht mehr haben wollen.

In den Mitgliedsstaaten der EU war die Klausel zunächst noch umstritten. Seit 1994 hatte Ägypten mit der EU über den Vertrag beraten. Im Mai dieses Jahres meldete der Nachrichtendienst Agence Europe, die Verhandlungen stünden unmittelbar vor ihrem Abschluß. Die Frage nach der Rückübernahme von unerwünschten Flüchtlingen sei jedoch noch umstritten. Einigen EU-Staaten war die Vorstellung unangenehm, neben Einfuhrkontingenten für Erdbeeren und grüne Bohnen auch Zahlen über "rückzuführende Personen" in das Abkommen aufzunehmen. Mehrere Verhandlungsteilnehmer plädierten dafür, diese pikanten Regelungen lieber in einem unauffälligen Anhang zu verstecken, oder aber eine gesonderte "Deklaration" zu verfassen.

Einen Monat später konnte Agence Europe aber schon den erfolgreichen Abschluß des Assoziierungsabkommens melden und die Quoten für Ägyptens Ausfuhrprodukte benennen. Das Land darf nun mehr Bohnen, Erdbeeren, Frühkartoffeln und Orangen als bisher in die EU exportieren. Teilweise sogar zu einem ermäßigten Vorzugseintrittspreis, und jedes Jahr ein bißchen mehr. Dafür führt Ägypten mehr Käse- und Sahne-Erzeugnisse aus Europa ein.

Das langfristige Ziel der Verhandlungen mit den Maghreb-Staaten ist die Schaffung einer euro-mediterranen Freihandelszone, die bis 2010 entstehen soll; ein Binnenmarkt mit bis zu einer Milliarde Konsumenten in 30 bis 40 Ländern. Ägypten spielt dabei eine zentrale Rolle. Dessen Handelsvolumen betrug allein mit der Bundesrepublik Deutschland im vergangenen Jahr über 3,5 Milliarden Mark. Seine Bevölkerung wächst stark, und Ägyptens Regierung plant ehrgeizige Infrastruktur- und Bewässerungsprojekte. All das macht das Land am Nil zu einem interessanten und ökonomisch profitablen "Partner".

Europa spricht zwar mit seinen "Partnern" im südlichen Mittelmeerraum gerne über "intensiven Dialog, Menschenrechte und die wichtige Rolle der Zivilgesellschaft". Aber die Mittelmeer-Anrainer wissen, daß diese Rhetorik schnell kleinlaut wird, wenn es um Handel geht oder um die Sicherheitsinteressen der Union. So wurde Marokko 1996 assoziiert, obwohl es die Westsahara völkerrechtswidrig besetzt hielt, die ursprüngliche Bevölkerung des Gebietes vertrieben hatte und sich bis heute weigert, die Sahrauis über ihre Zukunft - Unabhängigkeit oder Zugehörigkeit zu Marokko - frei abstimmen zu lassen.

Ägypten seinerseits verabschiedete kürzlich einen Gesetzeskatalog, der die Arbeit der von der EU so hochgeschätzten Zivilgesellschaft erschwert und staatlich kontrolliert. Unter anderem müssen sich Menschenrechts- und andere nicht-staatliche Organisationen beim Sozialministerium registrieren lassen. Dieses ist befugt, Beschlüsse der Organisationen rückgängig zu machen und ihre ausländischen Finanzquellen zu sperren. Die Cairo Times beklagte kürzlich, die ohnehin sehr geringen Handlungsmöglichkeiten der zivilgesellschaftlichen Organisationen in Ägypten würden durch das neue Gesetzespaket gravierend weiter eingeschränkt.

Angesichts dieser Entwicklungen ist es bizarr, wenn die EU unaufhörlich ihre "Partnerschaft" mit dem Mittelmeerraum und ihr "menschenrechtliches Engagement" preist. So sollen in Marokko nach dem Willen des EU-Mitglieds Spanien demnächst TV-Spots ausgestrahlt werden, um Flüchtlinge vor einer Überfahrt in Richtung Europa abzuschrecken. Und für den Fall, daß dennoch welche kommen: Die Rücknahme regeln neue Handelsabkommen.