Euch die Arbeit - uns das Land

Auf seiner "Tour der Chancen" tingelte US-Präsident Clinton durch Reservate und andere Armutsregionen

Es war ausgerechnet der sture Teil des "alten Amerikas der Legenden und verschwommenen Erinnerungen, das kein Vertrauen in die Weisheit der Geschichte und keine Hoffnung auf die trügerischen Versprechungen der Zukunft setzt" (Steve Erickson, Amnesiascope), den Präsident William Clinton auf seiner "Tour der Chancen" besucht hat. Die Route berührte die Hinterwälder der Appalachen, East St. Louis am Missouri, das Oglala-Lakota-Reservat Pine Ridge in Süddakota, Clarksville im Mississippidelta, die Latino-Gemeinde von South Phoenix in Arizona und die ewige schwarze Problemzone Watts in Los Angeles.

In all diesen bislang vom Jobwunder verschont gebliebenen inner cities und ländlichen Armutsregionen der USA wollte Clinton Flagge zeigen und den sie bewohnenden marginalisierten Minderheiten mit einer sogenannten Initiative Neue Märkte doch noch das Vertrauen in die Zukunft einreden. Unternehmen, so lautet das Rezept, sollen dazu gebracht werden, diese Gebiete als unerschlossene Märkte zu betrachten und in sie - ähnlich wie in die Entwicklungsländer der Dritten Welt - zu investieren. Der Rest bleibt dann der dadurch ermunterten Privatinitiative überlassen.

Abgesehen von versprochenen Erleichterungen bei der Aufnahme von Hypotheken zum Hausbau, hatte Clinton auch für das kürzlich von einem Tornado verwüstete, nahe den badlands von Dakota gelegene Reservat von Pine Ridge kaum mehr als aufmunternde Worte im Gepäck. Clintons Vertrauen in die Weisheit der Geschichte ist eben noch unerschüttert - in eine Geschichte, die, wie er sagte, gezeigt hat, daß die Chancen an solchen Orten nicht von Regierung und Industrie allein, sondern nur in Zusammenarbeit mit dem privaten Sektor erarbeitet werden können.

Dieser Sektor ist im Reservat allerdings nicht vorhanden: Es gibt keine nennenswerte Infrastruktur, keine Handwerksbetriebe, Müllentsorgung etc. Jobs gibt es höchstens bei der Verwaltung des eigenen Elends, beispielsweise bei der Stammespolizei. Der Kongreß hat zwar schon im Januar ein paar Millionen Dollar bewilligt, die in einem Zeitraum von zehn Jahren nach Pine Ridge gepumpt werden sollen, um zumindest zu einer touristischen Erschließung des Reservats beizutragen. Doch mehr, als die Lakota oder die armen neighborhoods in den Staaten zu ökonomischer Selbstbestimmung zu befähigen, ist wohl mit solchen Initiativen beabsichtigt, nun endlich auch in den bislang als Arbeitskraftreservoirs brachliegenden Zonen der USA vom welfare-System zu dem des workfare überzugehen.

Die patriotische Rede von der arbeitsreichen Zukunft, deretwegen nicht mehr länger auf die wenig rühmliche Vergangenheit in den Beziehungen zwischen den USA und den Lakota geschaut werden sollte, half Clinton auch, das heikle Thema der Landrechte zu umschiffen. "Euch die (potentielle) Arbeit - uns das Land", lautete schließlich die ausdrückliche Devise schon zu Zeiten, da schottische Bauern zum Frommen der kapitalistischen Entwicklung von ihrem Land vertrieben wurden.

Kein Wunder, daß indianische Traditionalisten bei den Lakota weniger die unbestrittene Armut zum Thema machen - 66 Prozent der Lakota leben weit unterhalb der in den USA auf 7 470 Dollar Jahreseinkommen bezifferten Armutsgrenze -, sondern vielmehr über die gebrochenen Verträge aus den historischen Indianerkriegen reden wollten. Von der Besetzung Wounded Knees 1973 über den Kampf gegen die Erschließung der Black Hills bis hin zu den heutigen Aktionen in Whiteclay und Laframboise ist der souveräne Anspruch der Lakota auf das ihnen damals vertraglich zugesicherte Land weiterhin ungeschmälert. Es übersteigt die Größe ihrer jetzigen Reservate und dazu die Bundesstaatsgrenzen bei weitem. In den siebziger Jahren starben über sechzig indianische Aktivisten bei bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzungen zwischen Traditionalisten, die sich gegen einen Landverkauf zur Wehr setzten, und "progressiven" Lakota, die sich unter den Augen des FBI in Todesschwadronen organisiert hatten.

Heute geht es - neben der geforderten Rückgabe der Black Hills, in die ausgerechnet Kevin Costner ("Der mit dem Wolf tanzt") einen Hotelkomplex stellen will - um die Verhinderung eines anstehenden Transfers von 800 Quadratkilometer Vertragsland entlang des Missouri und um die Schließung von Alkoholverkaufsstellen in dem ebenfalls von den Sioux beanspruchten Ort Whiteclay in Nebraska. Vor und nach dem Reservatbesuch Clintons demonstrierten dort Tausende von Indianern auf drei Märschen gegen rassistisch motivierte Morde an ihren Landsleuten, die in unmittelbarer Nähe dieses Ortes geschehen sind. Viele Lakota fahren zur Deckung ihres Alkoholbedarfs über die Grenze nach Nebraska, wo die Inhaber von vier Läden jährlich allein drei Millionen Dollar aus dem Verkauf von Bier an die Indianer verdienen. Die alkoholbedingte Todesrate in Pine Ridge ist neunmal so hoch wie im Landesdurchschnitt.

Auf Probleme dieser Art ging Clinton während seines Besuchs genausowenig ein wie auf den Souveränitätsanspruch der Lakota, die im Umgang mit den USA auf ihrer Gleichberechtigung bestehen. Immerhin ließen sich der Gouverneur von Nebraska, Mike Johanns, und einige Bundesbeamte, die als Vertreter der US-Regierung auftraten, eine Woche nach Clintons Tournee auf ein erstes Vorgespräch mit den Indianern ein. Es fand in einem Zeltlager, dem Camp Justice, statt. Das wurde vom American Indian Movement (AIM) am Schauplatz der jüngsten Morde, denen die Reservatsbewohner Wally Black Elk und Ron Hard Heart zum Opfer fielen, errichtet.

Auf diesem historischen Grund, der früher einmal Standort einer Indianeragentur gewesen ist, hatten bereits vor hundert Jahren Häuptling Red Clouds Leute die Wintermonate verbracht. Johanns hörte sich dort den Forderungskatalog der Oglala und des AIM an. Das Camp und die wöchentlichen Protestmärsche nach Whiteclay werden laut ihren Initiatoren solange andauern, bis auf die Mordfälle, den Alkoholverkauf und die Vertragsbrüche von amtlicher Seite eine entsprechende Antwort erfolgt.

Wer eine solche etwa von William Clinton erwartet, darf sich auf eine längere Wartezeit gefaßt machen. Bei seiner Stippvisite in Pine Ridge verzog dieser beispielsweise bei der Frage einer Zwischenruferin, warum er eigentlich Leonard Peltier nicht endlich begnadige, keine Miene.