Machtkampf im Iran

Freunde und Feinde

Wer in internationalen Tageszeitungen zur Zeit nur die Überschriften der Artikel und Kommentare zum Iran liest, entdeckt plötzlich eine nie gekannte Vielfalt politischer Akteure und politischer Widersprüche im Gottesstaat: "Verhaftungen" folgen "Freilassungen", Staatspräsident Khatami wird "unter Druck gesetzt", dann "verteidigt", schließlich "unterstützt".

Der Machtkampf innerhalb des iranischen Regimes scheint demnach voll entbrannt zu sein: 24 Kommandeure aus den Reihen der Revolutionswächter blaffen in einem Brief Staatspräsident Khatami an: "Wir erklären Ihnen in voller Achtung und Zuneigung, daß unsere Geduld erschöpft ist, und daß wir uns (...) nicht weiter durch Gleichmut auszeichnen können." Der höchste Revolutionswächter, Generalmajor Rahim Safawi, fällt seinen Untergebenen jedoch nur wenige Tage später in den Rücken und erklärt, alle Revolutionswächter seien "Freunde Khatamis".

Mehr als zehn Journalisten, zuletzt der Chefreakteur einer Khatami-nahen Tageszeitung wegen "Verunglimpfung des Islams", werden verhaftet, während die Freilassung von mehreren Hundert Studenten aus den Gefängnissen angekündigt wird. Die meisten Demonstranten würden an den Vorfällen keine Schuld tragen, da sie aus dem Ausland ferngesteuert worden seinen.

Zwei der Beteiligten an den Protesten werden zu Anführern stilisiert und gestehen öffentlich, von "zionistischen Elementen" finanziert worden zu sein. Das staatliche Fernsehen und die amtliche iranische Nachrichtenagentur Irna legen nach und präsentieren Zeugen, die über Verschwörungen von Exil-Iranern und US-Kreisen berichten. Indes dürfen sich iranische Studenten seit Donnerstag wieder in der Teheraner Universität treffen, um dort - ganz offiziell - über ihr weiteres Vorgehen zu beraten.

All diese Widersprüche weisen auf unterschiedliche Krisen des Mullahstaates hin: eine ideologische, eine ökonomische und eine strukturelle. Ideologisch ist schon länger umstritten, ob der islamische Gottesstaat allein als Identifikationsangebot an die Massen ausreicht, schließlich will sich bei vielen Iranern und noch mehr bei Iranerinnen Faszination schon seit Jahren nicht so recht einstellen. Braucht man nicht auch noch ein bißchen normalen Nationalismus, vielleicht sogar Versatzstücke der persischen Reichsidee? Dem aber steht die ungebrochene Herrschaft der religiösen Geistlichkeit und das Prinzip der Velayat-e Faqih, der Herrschaft der Rechtsgelehrten, die alles, was man so zum Herrschen braucht, aus dem Koran ableitet, entgegen.

Gestritten wird auch schon länger über den richtigen ökonomischen Kurs. Wie weit darf, wie weit muß sich der Iran gegenüber dem westlichen Kapital öffnen? Reichen ein paar Freihandelszonen und Joint-Ventures aus? Oder muß nicht doch die Zusammenarbeit mit IWF und Weltbank, wie es Khatami fordert, verstärkt werden - inklusive der bekannten unerwünschten Nebenwirkungen wie der Privatisierung von Staatsbetrieben und den somit zu erwartenden neuen sozialen Unruhen?

Durch diese beiden Krisen wird auch die politische Machtstruktur immer stärker beeinflußt. In einem System, in dem ohnehin religiöse und republikanische Institutionen verschachtelt und zum Teil widersprüchlich angeordnet sind, scheint nach den Protesten niemand mehr so recht zu wissen, wer wo steht und wer wo hingehört.

So läßt sich der Brief der 24 Offiziere auf drei Arten lesen: Als einfache Drohung ("Wir könnten, wenn wir wollten - jegliche Unruhe hat künftig zu unterbleiben, sonst ..."); als Zeichen von Unsicherheit ("Wir wollen ja, können aber nicht, weil wir nicht wissen, wer im Ernstfall mitzieht"); als indirekte Unterstützung für Khatami, der sich bei Teilen seiner Wählerschaft durch seinen Aufruf, an den Demonstrationen für das Regime teilzunehmen, unbeliebt gemacht hat.

Die Drohung von Teilen der Revolutionsgarden, von rechts zu putschen, führt vielen Menschen wieder vor Augen, welche Wahl sie eigentlich haben: Sich entweder mit dem widersprüchlichen Wirken des autoritären Dream-Teams Khatami / Khamenei zu arrangieren oder sich auf eine militärgestützte Theokratiediktatur einzustellen, die nach ein paar Monaten oder Jahren zusammenbricht. Da fällt die Wahl leicht - auch für Generalmajor Safawi und die anderen "Freunde Khatamis".