Keine Reise nach Den Haag

Die kroatische Regierung weigert sich beharrlich, zwei mutmaßliche Kriegsverbrecher an das Haager Tribunal auszuliefern

Bevor die Chefanklägerin des Internationalen Gerichtshofes für die Kriegsverbrechen im ehemaligen Jugoslawien, Louise Arbour, im September ihren Job wechselt und Richterin am kanadischen höchsten Gericht wird, geht die ehrgeizige Juristin noch einmal ans strafrechtliche Großreinemachen. Bei ihrem Besuch letzte Woche in Zagreb wurden auch die kroatischen Behörden von den juristischen Begehrlichkeiten Louise Arbours nicht verschont. Abermals forderte die Richterin, zwei bosnische Kroaten an das Gericht in Den Haag auszuliefern: Vinko Martinovic-Stela (35) und Mladen Naletilic-Tuta (52) werden vom Kriegsverbrechertribunal beschuldigt, während ihrer Zeit als Söldner für die kroatische Sache in Mostar und während der Rückeroberung der Krajina durch kroatische Truppen im Jahr 1995 Massenhinrichtungen angeordnet zu haben.

Doch Louise Arbour mußte ohne die beiden Delinquenten abreisen. Der kroatische Justizminister Zvonimir Separovic meinte zu Arbour: "Martinovic und Naletilic werden nicht nach Den Haag kommen." Schließlich gebe es eine kroatische Justiz. Tatsächlich: Die beiden mutmaßlichen Kriegsverbrecher sitzen in einem Zagreber Gefängnis und warten auf ihren Prozeß.

Die kroatische Taktik, die beiden Männer nicht auszuliefern, bringt das Land nun in eine außenpolitische Bredouille: Louise Arbour drohte dem kroatischen Justizminister, wegen der Nicht-Auslieferung den Sicherheitsrat der Uno anzurufen. Im schlimmsten Fall würden Kroatien Sanktionen der Uno drohen.

In Zagreb gibt man sich über die Schärfe der Reaktion von Louise Arbour verwundert: Man habe, so Separovic, vollständig mit dem Tribunal in Den Haag kooperiert. Schließlich habe man sogar die Gesetze zur Auslieferung kroatischer Staatsbürger zugunsten des Haager Gerichtshofes geändert und Den Haag insgesamt 171 Dokumente über eventuelle Kriegsverbrechen übergeben.

Insbesondere die Rückeroberung der Krajina durch kroatische Truppen im Jahre 1995 wird zum Streitpunkt zwischen der sogenannten internationalen Gemeinschaft und Kroatien. Zagreb pocht darauf, die Operation "Sturm" sei lediglich eine völlig rechtmäßige Rückeroberung eigentlich kroatischen Staatsgebietes gewesen; daher habe das Kriegsverbrechertribunal in Den Haag auch kein Recht auf Einmischung.

Auch Arbour bestreitet nicht, daß diese Rückeroberung möglicherweise legitim war, doch daraus zu schließen, daß Kriegsverbrechen nicht von Den Haag geahndet werden könnten, sei "ohne jegliche juristische Grundlage". Arbour: "Die Legitimität der Operation steht hier nicht zur Debatte. Aber selbst in einem Krieg oder in einer vollständig legitimierten militärischen Operation müssen die internationalen Gesetze beachtet werden."

Dabei ist die Verweigerungshaltung Zagrebs mit einigem nationalen Brimborium vermengt: Gerade in diesen Tagen begeht die Krajina-Hauptstadt Knin den fünften Jahrestag der "Befreiung" von der serbischen Knechtschaft. Da möchte man sich die Feierlaune durch das Insistieren der Chefanklägerin nicht verderben lassen.

Aber nicht nur das runde Jubiläum läßt die kroatische Justiz auf ihrem Standpunkt verharren. Befürchtet wird in Zagreb durch die Auslieferung von Martinovic und Naletilic auch ein Präzedenzfall, der weitaus prominentere Kroaten in Schwierigkeiten bringen könnte. Nachdem die US-amerikanische Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch alljährlich daran erinnert, daß insbesondere die Vertreibung der Serben aus der Krajina nach der Rückeroberung nicht ohne schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen organisiert wurde, reagiert nun auch das Gericht darauf: In Zagreber Regierungskreisen befürchtet man die baldige Anklage von mindestens sechs hochrangigen Offizieren der kroatischen Armee, die im Gegensatz zu Martinovic und Naletilic nicht im Knast sitzen, sondern nach wie vor in Diensten der Armee stehen.

Auch die Anklage gegen Slobodan Milosevic wird in Zagreb als Präzedenzfall betrachtet: Erstmals beschränkt man sich in Den Haag bei der Ausstellung von Haftbefehlen nicht auf diverse Pistoleros mehr oder minder hoher Ränge, sondern geht auch gegen bisher strafrechtlich immune Staatsmänner vor. Terry Gill, Professor für internationales Recht an der Universität von Utrecht, meint: "Wenn man sich den Krajina-Feldzug ansieht, so muß Den Haag eigentlich zwangsläufig Anklage gegen die politische und militärische Führung Kroatiens erheben."

Der juristische Schlagabtausch zwischen Arbour und ihrem kroatischen Konterpart Separovic trifft Kroatien in einer ungünstigen Zeit: Solche Zwistigkeiten kommen dem Land ungelegen, weil sie indirekt auch Auswirkungen auf die erwartete wirtschaftliche Hilfe im Rahmen des angepeilten Stabilitätspaktes haben könnten.

Torpediert werden wegen des Streits um die beiden Häftlinge auch die in letzter Zeit intensivierten Bemühungen Zagrebs um eine Integration in die Europäische Union: Während Louise Arbour und Zvominir Separovic in Zagreb miteinander zankten, befanden sich die kroatischen Vizepremiers Mate Granic und Ljerka Mintas-Hodak in Brüssel. Dort plauderten sie mit dem finnischen Außenminister Tari Halonen über eine Intensivierung der Beziehungen zwischen EU und Kroatien. Halonen meinte unter Bezugnahme auf die Zerwürfnisse mit dem Kriegsverbrechertribunal: "Das Tor ist offen. Wir warten nur auf die andere Seite." Dabei erwartet die kroatische Regierung - optimistisch wie immer - den Beginn von ersten Gesprächen für einen EU-Beitritt noch in diesem Jahr.

Die Fürsorge Kroatiens für seine mutmaßlichen Kriegsverbrecher hat noch eine weitere internationale Dimension: Sowohl Vinko Martinovic-Stela als auch Mladen Naletilic-Tuta sind bosnische Kroaten und als solche eigentlich der Gerichtsbarkeit Bosnien-Herzegowinas unterworfen, zumal sie auch in Mostar wirkten. Doch derartige Feinheiten kümmern Franjo Tudjman wenig. Er hat es noch immer nicht aufgegeben, zumindest den kroatischen Teil Bosnien-Herzegowinas als eigentlich kroatisches Staatsgebiet zu betrachten.