Naumanns Rohrkrepierer

Autoritäten aus Estland, Litauen und Polen eilen den Vertriebenenverbänden zu Hilfe

Wenn alle Stricke reißen, dann bleibt Lennart Meri. Der Staatspräsident Estlands, die "Autorität an der Ostsee" (FAZ), protestierte vor wenigen Tagen in einem Schreiben an Bundeskanzler Gerhard Schröder. Es ging um das Konzept zur Änderung der Kulturförderung nach dem Bundesvertriebenengesetz, das aus dem Hause des Kulturministers Michael Naumann stammt. Mit dem gleichen Anliegen wandten sich auch der litauische Staatspräsident Valdas Adamkus und Wladyslaw Bartoszewski, ehemaliger polnischer Außenminister, in separaten Schreiben an den Kanzler und seinen Kulturbeauftragten. Das Münchener Magazin Focus wiederum vergaß nicht, die Botschaft dem deutschen Volke zu unterbreiten: keine Kürzungen bei den Bundesmitteln für die Vertriebenen - das sei einhellige Meinung im In- und Ausland.

Stein des Anstoßes war ein bereits am 20. Mai vorgelegtes, 15seitiges Konzeptpapier zur Kulturförderung nach Paragraph 96 des Bundesvertriebenengesetzes (BVFG). Dieser Paragraph besagt, daß das "Kulturgut der Vertreibungsgebiete" im "Bewußtsein der Vertriebenen und Flüchtlinge, des gesamten deutschen Volkes und des Auslandes" erhalten werden solle. Die zu diesem hehren Zweck arbeitenden Einrichtungen werden von der Bundesregierung alimentiert.

Das im Mai von Staatsminister Naumann vorgelegte Konzept stellt nun den zaghaften Versuch dar, diese Förderung in einigen wenigen Punkten umzustrukturieren. Die vorgeschlagenen Zusammenlegungen und finanziellen Mittelkürzungen, betont Naumann, hätten dabei weder ideologische Gründe, noch seien sie fiskalisch motiviert - die Kulturarbeit müsse vielmehr der "veränderten historischen Lage seit der Zeitenwende in Osteuropa" angepaßt werden. Im wesentlichen sieht Naumanns Plan die Zusammenfassung einiger kleinerer Einrichtungen vor. Im Gegenzug soll eine neue "zentrale Kultureinrichtung" für das östliche Europa geschaffen werden.

Zwar werden institutionelle Fusionspläne, wie etwa der zur Zusammenführung des Ostpreußischen Landesmuseums (Lüneburg) und des historisch-geographisch damit verbundenen Westpreußischen Landesmuseums (Münster), aus pragmatischen Gründen befürwortet; allerdings würde diese Verbindung der Museumsstandorte Investitionen für einen Museumsneubau in Lüneburg erfordern, die "nicht finanzierbar" seien, wie es in dem Papier heißt. Deshalb bleiben beide Einrichtungen, die eine aus dem Vorfeld der Landsmannschaft Ostpreußen, die andere aus dem der Landsmannschaft Westpreußen, auch weiterhin bestehen.

Ähnlich verhält es sich auch in anderen Bereichen der Kulturpolitik der Vertriebenenverbände. So soll etwa die institutionelle Förderung der Stiftung Ostdeutscher Kulturrat (OKR) und die der Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen "zum frühestmöglichen Zeitpunkt eingestellt" werden. Denn die Kernaufgaben dieser zentralen Institutionen im System des kulturellen Kampfes der Vertriebenenverbände sollen eben von der neuzuschaffenden zentralen Kultureinrichtung für das östliche Europa wahrgenommen werden. Die aber existiert bislang nur auf dem Papier.

Da das Naumann-Papier bereits den Ansturm der Kritik von "Fachleuten und politischer Seite" voraussah - losgetreten in der FAZ durch einen Artikel des Geschäftsführers des Adalbert-Stifter-Vereins, Peter Becher, und ausgebaut bis zu den aktuellen Schreiben aus Estland, Litauen und Polen -, war der Entwurf sogar noch eingeschränkt worden. Die "skizzierte Verdichtung der institutionellen Vielfalt und die politische Neudefinition der Aufgabenschwerpunkte" seien zwar grundsätzlich erforderlich, heißt es in der abschließenden Passage des Entwurfs. Da jedoch einige Probleme für die potentiell betroffenen Einrichtungen zu erwarten seien (Aufgabe des Rechtsstatus, Kündigung von Mitarbeitern, Miete etc.), könne sich das Umstrukturierungsprogramm über einen langen Zeitraum hinziehen.

Das heißt im Klartext: Der "frühestmögliche Zeitpunkt" zur Förderungseinstellung für einige Einrichtungen, die im Gesamtrahmen der Institutionen nur einen kleinen Teil ausmachen, könnte sich einige Jahre hinauszögern - also auch über die aktuelle Legislaturperiode und damit möglicherweise über das Bestehen der rot-grünen Koalition hinaus.

Doch wird weiter Druck gemacht. Die Stiftung Ostdeutscher Kulturrat - 1997 noch mit einem Eigenvermögen von über 5,3 Millionen Mark ausgestattet - müsse wegen des Konzeptpapiers von Naumann, das im übrigen nur eine Diskussionsgrundlage seiner Abteilung ohne jede Entscheidungs- und Handlungskompetenz seitens der Bundesregierung ist, deshalb in Bälde "ihre Existenz und Arbeit" beenden. So heißt es im OKR-Organ Kulturpolitische Korrespondenz.

Ähnlicher Nonsens war auch vom Göttinger Arbeitskreis zu vernehmen, der 1946 als Arbeitsgemeinschaft von Wissenschaftlern aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten gegründet wurde. Dessen Präsident Boris Meissner, ein alter SA-Recke und Offiziersanwärter im Armeeoberkommando 18 der Wehrmacht, sprach gar von der "Enthauptung" der Baltikumforschung, sollten die Bundesmittel für den Göttinger Arbeitskreis gestutzt werden.

Genau um diesen Verein macht sich auch der estländische Staatspräsident Meri seine Sorgen. Meri, den der Bund der Vertriebenen im Herbst beim 50. Tag der Heimat mit seiner höchsten Auszeichnung, der "Plakette für Verdienste um den deutschen Osten und das Selbstbestimmungsrecht" auszeichnen wird, protestierte explizit gegen einen möglichen Fördermittelentzug für den Göttinger Arbeitskreis.

Grund zu der Befürchtung für die Vertriebenenverbände, es könnte sich an der Förderpraxis durch die Bundesregierung tatsächlich etwas Substantielles ändern, besteht jedoch nicht. Naumanns Kürzungsvorschläge sind nicht besonders weitreichend - und dann ist da schließlich noch Otto Schily, der seit Anfang des Jahres den Schutzpatron der Vertriebenen mimt.