Türkei und Menschenrechte

Positives Klima

"Unser Lackmustest für die Glaubwürdigkeit in der Menschenrechtsfrage" sei der Besuch von Außenminister Joseph Fischer in Ankara, ließ die grüne Bundestagsabgeordnete Claudia Roth wissen. Das Ergebnis: Ein Farbwechsel ist nicht zu erkennen.

Die Auskünfte des Auswärtigen Amtes zur Lage der Menschenrechte in der Türkei und dem Einsatz deutscher Waffen gegen die KurdInnen haben sich sowenig geändert wie die Abschiebepraxis. Kurdische Flüchtlinge werden weiterhin in die Hände türkischer Sicherheitskräfte abgeschoben, obwohl mehrere Fälle schlimmster Mißhandlungen aus der jüngsten Zeit wohldokumentiert sind. Und nur, weil der stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Gernot Erler die von der deutschen Rüstungsindustrie geplanten Panzerlieferungen an den Bosporus für in der Fraktion "nicht zustimmungsfähig" hält, sind die Pläne noch lange nicht vom Tisch.

Aber hat Fischer nicht gerade das freundschaftliche Verhältnis zur Türkei neu begründet, indem er zwar den deutschen Einsatz für den EU-Kandidatenstatus versprach, aber gleichzeitig die "zentrale Rolle" der Menschenrechte betonte und zudem der kulturalistischen Ausgrenzung der "islamischen" Türkei aus Europa eine klare Absage erteilte, wie von Tagesschau bis taz verkündet wurde?

Gewiß, der Außenminister hat noch vor die offiziellen Gespräche in Ankara einen Besuch beim Menschenrechtsverein IHD gesetzt, was seinem Vorgänger Klaus Kinkel nie eingefallen wäre. Eine Forderung, etwa nach der Haftentlassung des durch ein Attentat gesundheitlich schwer geschädigten ehemaligen IHD-Vorsitzenden Akin Birdal, folgte daraus aber nicht. Er mochte wohl durch die Erwähnung solch unangenehmer Themen das "neue positive Klima" nicht gefährden. Aus demselben Grund ging er auch nicht auf den Affront ein, mit dem ihm türkische Sicherheitskräfte kurz vor seiner Ankunft konfrontierten: die Verhaftung des ERNK-Funktionärs Cevat Soysal.

Angesichts dieser substantiellen Kontinuität deutscher Türkeipolitik können Fischers Menschenrechtsgesten eben nicht statt einer "Alibiveranstaltung für die grüne Seele" eine "klare Botschaft an Ankara" darstellen, wie Eberhard Seidel in der taz halluziniert und sogleich mit Fischers "Herz für Muslime" im Kosovo-Krieg verbunden hat. Tatsächlich verweist der Krieg gegen Jugoslawien auf eine andere neue Qualität deutscher Außenpolitik: Die Menschenrechte, im konkreten Fall die der "muslimischen Kosovaren", werden zu einem volksgruppenpolitischen "Recht auf Heimat" umdefiniert, das mit militärischen Mitteln durchzusetzen ist.

Wenn Claudia Roth nun die Forderung nach Demokratisierung ganz im Duktus kurdischer Nationalisten mit der Forderung nach "Anerkennung der kurdischen Realität und Identität" verbindet, erscheint das vor dem Hintergrund der fischergrünen Kriegspolitik eher als Verbindung universeller Menschenrechts- und Demokratierhetorik der "europäischen Wertegemeinschaft" mit einer volksgruppenpolitischen Option denn als konsequentes Eintreten für Meinungsfreiheit in der Türkei. Auf nichts anderes als Volksgruppenpolitik könnte nach den Kosovo-Erfahrungen eine rot-grüne Verteidigung des "Menschenrechts" auf "kurdische Identität" gegenüber dem türkischen Regime hinauslaufen, wenn diese Verteidigung von der bloßen Alibifloskel zur Realpolitik werden würde.

Der offene Brief von Azadi, des Rechtshilfevereins für Kurdinnen und Kurden in Deutschland, an Fischer in Sachen Cevat Soysal verzichtet zwar auf solche identitätspolitischen Beschwörungsformeln. Doch er versucht, den Außenminister bei den menschenrechtspolitischen Forderungen der Oppositionsgrünen gegen die Kohl-Regierung zu packen. Azadi appelliert gleichzeitig, "Deutschland" müsse menschenrechtlich "seiner Verantwortung nachkommen". Auch über das Wie hat der Verein klare Vorstellungen: Fischer möge sich "bitte im gleichen Maße für die Menschenrechte" der KurdInnen einsetzen, "wie Sie dies sehr leidenschaftlich und emotional im Falle der Kosovo-Albaner getan haben". Also Bomben auf Ankara?

Schröder hat gerade im Kosovo vor der Bundeswehr deren Verantwortung für die Menschenrechte auch jenseits deutscher Grenzen bekräftigt. Wer von links an diese Rhetorik der Verantwortung anzuschließen versucht, fordert nichts anderes als den gerechten und glaubwürdigen deutschen Menschenrechtsimperialismus anstelle des ungerechten und verlogenen.