Baraks rote Linie

Israels Ministerpräsident präsentiert sich als Motor des Friedensprozesses, definiert aber zugleich dessen Grenzen

Während Israels Ministerpräsident Ehud Barak auf diplomatischem Parkett einen glänzenden Einstieg erlebt, hat er in der heimischen Knesset weniger Glück. Das israelische Parlament, in dem Baraks Regierungskoalition beinahe über eine Zweidrittel-Mehrheit verfügt, hat zuerst gegen den Willen des Regierungschefs Avraham Burg zu seinem Sprecher gewählt. Vergangene Woche nun wurde die von Barak gewünschte Erweiterung der Regierung um sechs Ministerien und eine Reihe von Vizeministern erst einmal vertagt.

In den ersten Wochen von Baraks Amtszeit wurde so oder so deutlich, daß der Ministerpräsident, der gleichzeitig Verteidigungsminister ist, die wichtigen Entscheidungen selbst treffen möchte. Insbesondere Fragen der Außen- und Sicherheitspolitik, also nach dem Verhältnis zu den Nachbarstaaten und zu den Palästinensern, sind Chefsache.

Barak hat sich sein Kabinett so zusammengestellt, daß er im Gegensatz zu seinem Vorgänger Benjamin Netanyahu nicht erst jede Entscheidung innerhalb der Regierung austarieren muß. Ist eine der Koalitionsparteien nicht einverstanden, so kann sie einfach überstimmt werden, zur Not sogar mit Hilfe der Parteien, die nicht in der Regierung vertreten sind, deren Politik aber unterstützen. Hierfür stehen vor allem die radikal-säkulare Partei Shinui und die drei arabischen Parteien zur Verfügung.

Wenngleich Barak es in den letzten Wochen verstanden hat, sich als Motor des Friedensprozesses zu präsentieren, so ist er es auch, der seine Grenzen definiert. Im Hinblick auf die Endstatus-Verhandlungen formulierte er gleich nach der Regierungsübernahme seine persönliche "rote Linie" - Positionen, die er als nicht verhandelbar begreift. Erstens werde es mit ihm keinen Rückzug auf die Grenzen von 1967 geben. Zweitens werde Jerusalem ungeteilt und unter der vollen Souveränität Israels bleiben. Drittens werde es keine Verhandlungen über die Rückkehr der palästinensischen Flüchtlinge geben. Und viertens schließlich sollen die meisten Siedlungen bestehen bleiben.

In allen diesen Punkten wird die israelische Position noch deutlich an Flexibilität gewinnen müssen, soll es zu einer endgültigen Einigung kommen. Tatsächlich unterscheiden sich die Forderungen kaum von der Haltung Netanyahus in diesen Fragen. Die strikte Ablehnung einer palästinensischen Präsenz in Jerusalem etwa ist eine rein ideologische Position, die durch keinerlei sicherheitspolitische Erwägung begründet ist.

Vor allem aber laufen die Garantien, die Barak den Siedlern zu geben bereit ist, dem Friedensprozeß zuwider. Die Gelegenheit, das Siedlungsprojekt als ganzes abzublasen, ist nach den Wahlen so günstig wie nie zuvor. Nicht nur, daß die Siedler keine wirkliche Lobby mehr in der Regierung haben. Israels Wähler haben sich zudem in großer Mehrheit gegen die Siedlungspolitik ausgesprochen, und deren politische Repräsentation schrumpfte zu einer unbedeutenden Splittergruppe. Seit dem Massaker Baruch Goldsteins in Hebron besaß die Siedlungspolitik nie so wenig Rückhalt in der Bevölkerung wie heute.

Dennoch sind es gerade die Siedlungen, die Barak dazu bringen, sich für eine Modifikation der Vereinbarungen von Wye einzusetzen. Die dritte Phase des dort vereinbarten Rückzuges soll nach den Vorstellungen Baraks ausgesetzt und in die Endstatus-Verhandlungen integriert werden. Dadurch soll das Schicksal einzelner Siedlungen, die nach den bisherigen Übereinkünften inmitten palästinensischen Gebietes liegen würden, wieder offen gestaltet werden.

Die palästinensische Seite hat diese Vorstöße bislang grundsätzlich abgelehnt und besteht auf einer getreuen Umsetzung des Wye-Abkommens. Barak hat dazu immer wieder erklärt - zuletzt anläßlich seines Treffens mit dem ägyptischen Präsidenten Hosni Mubarak am vergangenen Donnerstag -, daß er zur vollständigen Erfüllung der Zusagen aus dem Wye-Memorandum bereit ist, sollten die Palästinenser einer Modifikation nicht zustimmen.

Gleichzeitig arbeitet er jedoch zielstrebig an einer Delegitimierung dieses Abkommens. Unermüdlich betont Barak, daß eine Verschiebung des Rückzuges die Voraussetzungen für die Endstatus-Verhandlungen verbessern würde. Dieses Argument gilt jedoch nur für die kleine Minderheit der Siedler, die sich von einem palästinensischen Staat bedroht fühlen. Indem sich Barak deren Sichtweise zu eigen macht, so die Befürchtungen der israelischen Friedensbewegung, vergibt er die historische Chance, die Blockade des Friedensprozesses durch die Siedlungen zu überwinden.

Ein weit geringeres Problem als die Siedlungen in der West Bank scheinen diejenigen im Golan zu sein. An deren Zukunft glaubt in Israel niemand mehr, nicht einmal die Siedler selbst, auch wenn einzelne verzweifelte PR-Aktionen gestartet werden. Der einstige parlamentarische Arm der Golan-Siedler, die Partei Dritter Weg, hat es nicht mehr in die Knesset geschafft. Die Meinungsverschiedenheiten zwischen Israel und Syrien, die bislang die Aufnahme direkter Verhandlungen blockieren, beziehen sich einerseits auf die Frage der anzustrebenden Grenzziehung. Syrien besteht auf der Grenzlinie des 4. Juni 1967, also vor dem Sechs-Tage-Krieg. Die israelische Tageszeitung Ha'aretz berichtete am vergangenen Freitag, daß die israelische Regierung nach jordanischen Informationen bereit sei, diese Bedingung weitgehend zu akzeptieren, lediglich minimale Grenzkorrekturen seien gewünscht.

Darüber hinaus ist die Frage strittig, an welchem Punkt die Verhandlungen zwischen Israel und Syrien abgebrochen wurden, nachdem Netanyahu 1996 die Regierung übernommen hatte. An diesem Punkt sollen die Verhandlungen nämlich wiederaufgenommen werden. Syrien beruft sich hierfür auf ein US-amerikanisches Dokument, wonach sich Rabin zwar nicht auf einen Rückzug auf die Grenzen vom 4. Juni 1967 verpflichtet, wohl aber seine Bereitschaft dazu bekundet hat. Die israelische Regierung hält sich in diesem Punkt noch bedeckt. Zunächst sollen möglichst detaillierte Informationen über den damaligen Stand der Verhandlungen eingeholt werden.

Syriens Präsident Hafis el-Assad macht bislang eine grundsätzliche Zusage über den israelischen Rückzug aus dem Golan zur Bedingung für direkte Verhandlungen. Eine Einladung des jordanischen Königs Abdullah zu einer Gipfelkonferenz in Amman, an der außerdem Barak, Yassir Arafat und der ägyptische Präsident Mubarak teilnehmen sollten, hat Assad deshalb abgelehnt.

Dabei steht Barak hinsichtlich einer Einigung mit Syrien unter enormem innenpolitischem Druck. Nicht allein, daß er im Wahlkampf versprochen hat, die israelischen Truppen binnen eines Jahres aus dem Libanon abzuziehen. Die israelische Präsenz im Südlibanon ist in Israel derart unpopulär, daß selbst Netanyahu im Wahlkampf den Rückzug versprochen hat. Die Mehrheit der israelischen Bevölkerung ist nicht bereit, auch nur einen weiteren toten Soldaten im Libanon hinzunehmen. Dafür muß Barak die Einigung mit Syrien vorantreiben, wodurch jeglichen anti-israelischen Aktivitäten von libanesischem Boden aus die Grundlage entzogen wäre.

Demgegenüber bleibt der Protest gegen die Besatzungspolitik eine Sache der israelischen Linken. Die Zerstörung von angeblich illegal errichteten palästinensischen Häusern und die Enteignung von Land zur Erweiterung von Siedlungen hat auch unter Barak nicht aufgehört. Dennoch ist man auch hier bereit, dem neuen Ministerpräsidenten einen gewissen Vertrauensvorschuß einzuräumen. Erwartet wird jedoch, daß Barak nicht die alten Mythen von "nicht-verhandelbaren Positionen" und einer "roten Linie" fortführt, sondern daß er der israelischen Öffentlichkeit vermittelt, daß ein Frieden mit den notwendigen Zugeständnissen ohne eine ernsthafte Beeinträchtigung der Sicherheit Israels möglich ist.