Beine in Stadtlandschaft

Sidney Lumets Remake des Cassavetes-Thrillers "Gloria"

Das Beste an "Gloria" ist eigentlich dann doch Sharon Stone. Dabei ging bereits ein Aufschrei durch die Filmkritik, als bekannt wurde, daß Sidney Lumet ein Remake von John Cassavetes' "Gloria" (1980) mit Stone in der Hauptrolle drehte.

In der Tat: Remakes sind eine höchst umstrittene Angelegenheit. Nicht alle sind schlecht, die meisten allerdings überflüssig, denkt man etwa an solch verzweifelt-zweifelhafte Unternehmungen aus der jüngsten Zeit wie Gus van Sants Verbeugung vor "Psycho", die selbst Wong-Kar-Wai-Kameramann Christopher Doyle nicht retten konnte, oder an "Payback", eine von Mel Gibson ins Komödiantische gewendete Version von John Boormans manieriertem Neo-Noir "Point Blank".

Auch wenn die kanon-sicheren Kritiker des Video-Zeitalters ihnen gerne etwas Schmuddeliges anhängen würden, sind Remakes nicht nur ein Sakrileg, sondern auch fester Bestandteil des Kinos seit dessen Anfängen als stumme Attraktionsmaschine: Nicht nur Hollywood amerikanisiert unbarmherzig jeden halbwegs kommerziell verwertbaren europäischen Stoff, im Hongkong-Kino verläuft der Transfer umgekehrt, vom Zentrum in die Peripherie - und das auch nicht immer mit überzeugenden Resultaten.

Selbst Cineasten fällt es schwer, sich zwischen Renoirs und Bu-uels Version von "Tagebuch einer Kammerzofe" zu entscheiden, noch schwerer ist es allerdings, zu erklären, warum Brian de Palmas "Scarface" oder "Blow-Out" großartige, eigenständige Filme sind.

Der amerikanische Kritiker Carlos Clarens stellte einmal fest: "Es gibt nur einen 'Der Blaue Engel', einen '39 Stufen', einen 'Eine Dame verschwindet'" - und empfahl seinen Lesern "Ten Great Originals". Das ist zwar nicht falsch, sagt aber wenig über die Gesetzmäßigkeiten des Kinos aus, die Tendenz zur Differenz und zur Wiederholung - eine Thematik, zu deren Analyse selbst die amerikanischen Film Studies, die sich verstärkt damit beschäftigt haben, bisher wenig Substantielles beigetragen konnten.

Sidney Lumet hat es eigentlich nicht nötig: Über 42 Filme hat der inzwischen 74jährige Regisseur inzwischen gedreht - weder muß er sich noch sonst irgendwem irgendwas beweisen. Die "Zwölf Geschworenen", "Der Mann in der Schlangenhaut", "Hundstage" und "Network" gehören in seine Filmographie - und ohne ihn hätten wir ganz sicher ein anderes Bild von Schauspielern wie Henry Fonda, Marlon Brando oder Al Pacino.

Als einer der wenigen auteurs der Post-Studio-Ära war er in den fünfziger Jahren einer der Propagandisten des Method-Acting, der vor Drehbeginn mit seinen Schauspielern wochenlang probte; später erwarb er sich einen Ruf als Meister des Gerichtsthrillers mit einem Hang zu einer Metaphysik der Wahrheit und einem besonderen Geschick, die Stadt als Drehort zu nutzen. Vom Courtroom als Bühne moralischer Wahrhaftigkeit abgesehen, läßt sich all das auch über John Cassavetes sagen - nur, daß der sein Interesse an der körperlichen Präsenz des Schauspiels und an den realen Locations im Rahmen eines unabhängig finanzierten, direkten Improvisationskinos verfolgte.

Auf Cassavetes' "Gloria" (1980) trifft das allerdings nur bedingt zu. Ursprünglich für einen anderen Regisseur geschrieben, willigte Cassavetes in MGMs Regie-Offerte nur ein, weil seine Frau Gena Rowlands im Film die Hauptrolle spielen konnte. Für Cassavetes ist der Thriller "Gloria" mit seinem Tempo und seiner Melodramatik ein relativ untypischer Film, auch wenn er mit "The Killing of a Chinese Bookie" bereits im Genreformat gearbeitet hat.

Wo andere Cassavetes-Filme quälend minutiös ein Porträt psychischer Extremzustände und familiärer Enge entwerfen, orientiert sich "Gloria" dramaturgisch an den Strukturen von Verfolgung und Jagd und ist damit eher ein klassisches Bewegungs- als ein modernistisches Zeitbild, wobei hier allerdings die Geschwindigkeits- und Trieb-gesteuerten Helden Hollywoods durch eine seltsam distanzierte Heroine ersetzt sind.

"Gloria" mag nicht der beste Cassavetes-Film sein - einer der ungewöhnlichsten Gangsterfilme ist er allemal. Selbst ein bekennender Handkamera-Fellow-Traveller und Improvisator wie Wong Kar-Wai erweist mit Brigitte Lin in "Chungking Express" Cassavetes' zumindest kommerziell erfolgreichstem Film in einer Sequenz seinen Respekt.

Als Lumets Version in den USA startete, gab es - wie bei Gus Van Sants "Psycho" - vorab keine Pressevorführungen. Das ist äußerst selten und verheißt gewöhnlich nichts Gutes. Trotz der unbestrittenen Affinität Lumets zu Cassavetes konnte man vielleicht aus grundsätzlichen Überlegungen geteilter Meinung über das Projekt sein, auch wenn man die Besetzung der Hauptrolle - anders als ein Chor sexistischer Spötter - noch nicht per se bedenklich fand oder sich gar von Stones Darstellung etwas erhoffte. Aber es kam schlimmer.

In Cassavetes' Original wird Gloria von Gena Rowlands verkörpert, nicht von einem Star, sondern von einer der besten amerikanischen Schauspielerinnen, die nicht für einen Typ oder ein Role-Model einsteht, sondern mit der physischen Arbeit von Körper, Gesicht und Stimme die Figur erschafft. In "Gloria" ist sie eine gealterte Gangsterbraut, die sich ein bescheidenes, unabhängiges Lebens aufgebaut hat, aber als Nachbarin einer puertorikanischen Buchhalterfamilie zufällig in mafiainterne Auseinandersetzung verwickelt wird. Bevor die komplette Familie ermordet wird, gelingt es dem Vater noch, seinen 17jährigen Sohn sowie ein belastendes Notizbuch bei Gloria zu verstecken. Mit Kindern kann und will sie nichts anfangen, befindet sich nun aber mit dem ständig Machosprüche von sich gebenden Balg auf der Flucht.

Rowlands spielt Gloria als souverän-selbstbewußte Frau, die von Gott und der Welt einfach nur in Ruhe gelassen werden will. Die Frage, die ihr Spiel zu verhandeln scheint, ist die nach den psychologischen Möglichkeiten der sich entwickelnden Intimität zweier Menschen, die nichts gemeinsam haben, außer, daß sie zur selben Zeit am selben Ort waren.

Mit der Bedeutung von Mutterschaft hatte das nichts zu tun - genausowenig, wie man sich vorstellen konnte, daß Rowlands auch nur einen Moment zögern würde, den Revolver in ihrer Hand auch zu gebrauchen.

Sidney Lumets Version hält sich eng an das alte Drehbuch, übernimmt sogar einige Dialoge. Sharon Stone spielt Gloria in Fortsetzung ihrer Rolle in "Casino" und befindet sich immer am Rande des Nervenzusammbruchs, aber ihre mit allem Glam inszenierte blonde Lockenmähne soll ständig daran erinnern: Hier spielt kein um Selbstbestimmung ringender Mensch, sondern eine Frau, eine jener berühmten "zerbrechlichen" wohlgemerkt.

"Harte Schale, weicher Kern" ist im Presseheft über Stone zu lesen, als wäre Hysterie die Strafe dafür, daß Stone als Femme fatale in "Basic Instinct" ein Mainstream-Publikum mit der aggressiven Seite der weiblichen Sexualität konfrontierte und sich das Publikum nach ihrer trotzigen Demontage der Mechanismen der Glamourindustrie nun damit abfinden muß, daß sie zudem sogar eine ziemlich passable Schauspielerin ist.

Sieht man einmal davon ab, daß statt des Notizbuchs bei Lumet eine Diskette versteckt wird, sind die vorgenommenen Drehbuchänderungen allesamt bezeichnend für die Neuinterpretation der Protagonistin.

Lumet führt Gloria ein, indem er sie aus einem Knast in Florida kommen läßt, um mit jedem weiteren Schritt ihr Angewiesensein auf Männer und ihren Körper als Fetisch stärker herauszustellen - bis von Rowlands Unabhängigkeit (und auch: Mut zum Alter) nichts mehr zu spüren ist. Stones Gloria gerät folglich auch nicht per Zufall an den Jungen, sondern entreißt ihn ihrem kriminellen Liebhaber, um dem Kleinen das Leben zu retten und ihrem Ex eins auszuwischen.

Im Laufe ihrer Odyssee durch ein hübsch abfotografiertes New York werden wir Zeuge, wie sich Stone von der Schlampe zur Mutter entwickelt, Lumet ihr aber nicht einmal die Würde läßt, diese Entscheidung selbst zu treffen. Wo Cassavetes den Film in einer Traumsequenz auf einem Friedhof enden läßt, liegt bei Lumet Glorias Leben am Ende in der Hand eines Mafia-Dons, der sie in einem Akt gönnerhaften Paternalismus in das Kleinfamilienglück ziehen läßt.

Verhandeln sonst eher Frauenzeitschriften das Problem von Karriere und Kind, hat sich Lumet nun - obwohl sein Film schnurzlangweilig ist - endgültig im Pantheon des amerikanischen Kinos direkt neben Hitchcock plaziert: als Blondinenquäler. Vielleicht muß er diesen Platz in ein paar Wochen wieder räumen - wenn Amos Kolleks "Fiona" anläuft.

"Gloria". USA 1998. R: Sidney Lumet. Start: 5. August