Doppelter Doppeladler

Saubermann mit Dreck am Stecken: Endlich hat auch Bayerns krisenfester Ministerpräsident Stoiber eine Affäre

Wissen Sie, was ein Bayerischer Doppeladler ist? Wenn zwei gestandene Mannsbilder auf dem Heimweg vom Wirtshaus gleichzeitig ein handfestes menschliches Bedürfnis überkommt, dann schlägt derjenige, der vielleicht das eine oder andere Maßerl weniger intus hat, vor, das Geschäft Rücken an Rücken zu erledigen, der besseren Balance wegen. Wenn er dann sein Gewicht geschickt nach hinten verlagert, hat er die Chance, dem anderen in die Hose zu scheißen.

Franz Josef Strauß war ein Meister in dieser Kunst, und als Strategie zum Machterhalt erfreut sich der Doppeladler an der Isar nach wie vor außerordentlicher Beliebtheit. Wenn ein bayerischer Ministerpräsident mit ausgestrecktem Zeigefinger auf seinen amtierenden Justizminister zeigt, dann ist es also sehr wahrscheinlich, daß der Scheiß, der dem am Bein klebt, nicht von ihm selber stammt.

Der Scheiß, das sind in diesem Fall 367 Millionen Miese (188 Millionen Euro), die die halbstaatliche Landeswohnungs- und Städtebaugesellschaft (LWS) in den letzten acht Jahre erwirtschaftet hat. Stoibers CSU-Parteifreund Alfred Sauter, der heute dem Justizressort vorsteht, war während eines Teils dieser Zeit Aufsichtsratsvorsitzender der LWS. Als Mitte Juli eine Expertise des Landesrechnungshofes über die volle Höhe des Defizits aufklärte, reagierte Stoiber umgehend: Eine Sonderprüfung sollte Sauter mürbe machen und außerdem die Rolle von Peter Gauweiler klären. Der Rechtsanwalt, frühere Münchener CSU-Vorsitzende und Intimfeind von Stoiber war während der fraglichen Zeit ebenfalls Vorsitzender des LWS-Aufsichtsrats. Als die LWS während Gauweilers Amtszeit 1993 in Chemnitz Immobilien im Wert von 53 Millionen Mark verkaufte, erhielt den Zuschlag ein Gauweiler-Mandant, dessen Gebot knapp über demjenigen der Versicherung Colonia-Nordstern lag. Die Sonderprüfung sollte vor allem klären, ob und wie der Gauweiler-Mandant von dem vorherigen Angebot der Versicherung erfahren hatte.

Doch bald schon stellte sich heraus, daß Stoiber seine Unschuldsmiene zu Unrecht trug: Entgegen dem Rat seines Finanzministers Georg von Waldenfels hatte Stoiber, der zu dieser Zeit noch bayerischer Innenminister war, selbst den Verbleib der LWS im verlustträchtigen "operativen Geschäft" erzwungen. Obwohl Sauter ihn ständig über die wachsenden Verluste der LWS auf dem laufenden hielt, bestand Stoiber darauf, den defizitären Geschäftsbereich Bauträgerschaft beizubehalten.

Als 1998 klar war, daß der Trend bei der LWS immer noch weiter abwärts ging, gab es nur zwei Möglichkeiten: Sanierung durch Subventionen oder Verkauf. Stoiber hätte es vorgezogen, das marode Staatsunternehmen mit Bundesmitteln noch einmal gesundzuspritzen. Doch er hatte das Pech, daß in Bonn mit Finanzminister Theo Waigel und Bauminister Eduard Oswald zwei CSU-Parteifreunde zuständig waren, die nicht nur eifersüchtig über ihre Geldtruhen wachten, sondern auch keinerlei Interesse hatten, in den Ruch des Nepotismus zu geraten - die Bundestagswahlen standen vor der Tür.

Blieb also nur der Verkauf. Als einziger Bieter für ein Paket von 25,08 Prozent der LWS-Anteile, die sich im Bundesbesitz befanden, trat die Bayerische Landesbank auf, die bis dahin schon 16,42 Prozent der LWS-Anteile gehalten hatte. Die Süddeutsche Zeitung rechnete vor, daß dieser Anteil an dem Unternehmen, das 21 000 Sozialwohnungen mit einer durchschnittlichen Größe von 50 Quadratmetern besitzt, rund 325 Millionen Mark (166 Millionen Euro) wert gewesen wäre, also fast soviel wie die aufgelaufenen LWS-Verluste der vergangenen acht Jahre.

Auf Druck mehrerer Landesbank-Vertreter, die damals LWS-Aufsichtsratsmitglieder waren, wurde die Bilanz des Vorjahres nach unten gestaltet, bis sie ein Minus von 147,3 Millionen Mark (75,3 Millionen Euro) auswies. Da die Ertragslage üblicherweise in die Wertermittlung einfließt, sank der Kaufpreis für einen Anteil, der rund 5 300 Sozialwohnungen entspricht, auf ganze 15 Millionen Mark (7,7 Millionen Euro). 2830 Mark oder rund ein Drittel der Jahresmiete für eine 50-Quadratmeter-Wohnung in Bayern - dafür hätten sich wohl auch die Mieter den Kauf überlegt. Wie die SZ berichtet, brachte der Preis auch die Landesbank-Vertreter im Aufsichtsrat "zum Schmunzeln".

Nicht lachen konnte dagegen über die ganze Angelegenheit Stoiber. Der hoffnungsvolle Aspirant auf die Kanzlerkandidatenschaft der Union im Jahr 2002 hätte die Verantwortung für die finanziellen Verluste gerne auf die Mitglieder des Aufsichtsrats abgewälzt, insbesondere auf Sauter. Der bot bereits vor zwei Wochen beleidigt seinen Rücktritt als Landesfinanzminister an - nicht wegen der LWS-Verluste, sondern aus Ärger über die "Vorverdächtigung". Schließlich resultierte das Defizit großenteils aus dem Bauträgergeschäft, für das sich Stoiber gegen den Rat von Sauter und Waldenfels immer stark gemacht hatte.

Als der Ministerpräsident letzte Woche die Gefahr erkannte, daß Sauter und Waldenfels, die die Geschichte vom Bayerischen Doppeladler ebenfalls kennen, den Schriftwechsel mit ihm öffentlich machen könnten, trat er die Flucht nach vorne an: Er wies seine Staatskanzlei an, dem Landtag den Briefwechsel vorzulegen, der belegt, daß er selbst den operativen Bereich auch noch halten wollte, als klar war, daß dieser nur weitere Verluste bringen würde. Jetzt hat Stoiber wieder die verschissenen Hosen an: Nach der Sommerpause soll ein Untersuchungsausschuß klären, inwieweit er für die Verlustgeschäfte mitverantwortlich ist.