Soysal und die Menschenrechte

Fischers Fakten

Das Außenministerium von Joseph Fischer bemüht sich derzeit, die von seinem Chef geübte Menschenrechtsrhetorik am Modellfall Türkei mit Substantiellem zu unterfüttern. Die von Flüchtlings- und Asylgruppen seit langem geforderte Änderung der außenministeriellen Lageberichte - hin zu einem ungeschminkten Bild der Situation in den Verfolgerstaaten - soll mit der kurzfristigen Herausgabe eines Türkeiberichtes realisiert werden; im unmittelbaren Vorfeld fanden Gespräche mit Vertretern von ai, Pro Asyl und UNHCR statt.

Dies zeigt zwar gegenüber der Vorgängerregierung einen neuen Umgang mit der Menschenrechtssituation in der Türkei und anderen Ländern. Ob damit allerdings eine Änderung der Asylpolitik erreicht wird, muß bezweifelt werden. Nach Angaben eines Sprechers will das Außenministerium künftig nur "Fakten liefern" und die Wertung "den Behörden und Gerichten" überlassen. Dadurch wird deren Entscheidungsmacht gestärkt und Verantwortung verschoben - und was von deutschen Behörden und Gerichten zu erwarten ist, dürfte bekannt sein.

Auch ein Wechsel des asylpolitischen Kurses des Innenministeriums soll mit der Änderung der Lageberichte keineswegs verbunden werden. Schon gar nicht zu erwarten ist eine Änderung der Abschottungspolitik oder die Wiederherstellung des alten Asylrechts. Innenminister Schily und die rotgrüne Regierung werden auch weiterhin der Ausgrenzungswut der panischen Warensubjekte des Globalkapitalismus, die völkisch zur deutschen Standortgemeinschaft zusammengeschweißt sind, populistisch entgegenkommen.

Im Fall des vom türkischen Geheimdienstes MIT aus Moldawien verschleppten und anschließend - quasi unter den Augen des zeitgleich in Ankara weilenden Außenministers Fischer - schwer gefolterten Cevat Soysal ist es dennoch dringend erforderlich, politischen Druck auf die BRD-Regierung auszuüben, sich stärker für den in Deutschland als politischer Flüchtling anerkannten Soysal einzusetzen. Es genügt nicht, wenn Fischer lediglich einen Brief an seinen türkischen Kollegen Ismail Cem schreibt, in dem Untersuchung der Foltervorwürfe, medizinische Versorgung und Zugang eines Vertreters der deutschen Botschaft zu Soysal gefordert werden, und ansonsten behauptet, daß Soysals Status in Deutschland keine weiteren Handlungsmöglichkeiten begründe.

Soysals Weg ist exemplarisch für die seit dem Militärputsch von 1980 aktive Generation linker kurdischer Nationalisten in der Türkei. Bereits in den Jahren direkt nach dem Putsch mußte er Folter und schlimmste Haftbedingungen im berüchtigten Knast von Diyarbakir erleiden. Danach war Soysal zunächst für die prokurdische Partei DEP und den Menschenrechtsverein IHD aktiv. Nach einem Anschlag türkischer Todesschwadronen floh er schließlich nach Deutschland. Hier erlangte er Asyl und nahm dann diplomatische Aktivitäten für die PKK-Frontorganisation ERNK auf.

Er kombinierte somit den Versuch legaler prokurdischer und Menschenrechtspolitik in der Türkei mit der Arbeit für den diplomatisch orientierten Flügel der nationalen Befreiungsbewegung um die PKK. Es steht zu befürchten, daß es genau diese Kombination ist, welche den türkischen Staat zur offen praktizierten Menschenrechtsverletzung an Soysal und seiner Stilisierung zur "Nr. zwei der PKK" veranlaßt haben. Schlimme Signale für jeden Versuch einer politisch-integrativen Lösung des Kurdenkonflikts in der Türkei.

Soysals Frau hat in einem Offenen Brief an die deutsche und die türkische Regierung die Rettung ihres Mannes gefordert. Diese Forderung ist nachhaltig zu unterstützen. Von Fischer eine entschiedenere Intervention für Soysal zu verlangen, kommt ohne jeden Anschluß an den volksgruppenmäßig ethnisierten Menschenrechtsdiskurs der rot-grünen Regierung aus.

Im Gegenteil muß sich diese Forderung auf den einstmals emanzipatorischen Kern des in der Aufklärung entwickelten Menschenrechtsbegriffes beziehen: das unveräußerliche Recht des Individuums auf körperliche und seelische Unversehrtheit, unabhängig von dessen politischen Überzeugungen und Aktivitäten. Gegen die im Namen einer disziplinierenden Staatsräson begangene Barbarei des Einsperrens, Quälens und Mordens einzelner zu intervenieren, ist vielleicht die einzige Form, in der sich auch kritische Linke noch auf Menschenrechte beziehen können, ohne daß ihnen wegen des begangenen Selbstbetrugs die Schamesröte ins Gesicht steigen müßte.