Alternative Lebensformen

Leben lernen

Es gibt eine Art des Vor-Durst-nicht-mehr-Wissen-wohin, wenn die einen ereilt, muß man in die letzte Kneipe. Achim und ich mußten am Dienstag in diese letzte Kneipe, denn wir hatten woanders schon genug gehabt. Jetzt ging es um das große Mehr. Diese Kneipe in Prenzlauer Berg ist tatsächlich die letzte: In ihr finden alle eine Heimat, die nirgendwo mehr unterkommen. Daß sie überhaupt irgendwann schließt, liegt daran, daß es ab Mittag der Gestrandeten zu wenig werden.

Nun, Achim und ich tauchten in der Kneipe unter. Die Preise dort sind rabiat angenehm, der Suff drängt sich geradezu auf. Achim und ich stürzten rasch in die Keller des menschlichen Verstandes. Bald blieb uns nichts als unsere Körper. Und Augen. Ich sah eine Zeitlang einem Schwerstbetrunkenen zu, wie er vor dem Zugang zu den Toiletten Stühle stapelte, ohne von den Barkräften im geringsten aufgehalten zu werden - an diesem Ort geht es wirklich nur um Durst. Achim hingegen hatte sich schon geraume Zeit auf einen Blickflirt mit einer reichlich angeschlagenen, aber lebensfroh bunt gekleideten Frau eingelassen, deren Gegenüber in unsere Richtung böse Blicke warf.

"Sag ich's nich", lallte Achim zu mir hin, "hier kriegt man immer eine ab." Und stöhnte dann, denn er ist Protestant: "Mein Gott, immer." Ich nickte und verschüttete mein Getränk. Inzwischen wurde es auf der Toilette unruhig. Ein zum Inventar gehörender Gast beschimpfte den Stühlestapler und zerstörte sein Werk. Achim sah zu mir: "Der ist echt aggressiv. Wollte mich schon mal kastrieren. Sagste besser nix." Ich hielt mich an Achim und sah nicht hin. Weil, öhm, kastrieren, öhm ... Alle anderen schwiegen auch.

Achim schlug sich derweil im Flirt ganz wacker. Plötzlich rief er durch den Raum: "Komma, Puppäh", was sie mit einem "Gleich" kokett zurückgab. Ihr Partner oder Wäregernpartner jedoch reagierte sofort. Er erhob sich, schwankte uns entgegen und war mächtig schlechter Laune. Achim wurde kleinlaut, ich wurde kleiner. Aber der Typ ging an uns vorbei. Der Betrunkene neben mir hingegen, ein unschuldig dahinstierender Mann, erntete eine Kopfnuß und sank verständnisfrei zu Boden. "Die blöde Sau hab ich", versicherte der Schläger, grinste uns zu und torkelte Richtung Toilette.

Achim grinste mir zu, ging auf die bunte Frau zu und führte sie hinaus. Ich sah zu Toilette. Ich bestellte noch einen Drink. Doch der Typ kam nicht zurück, jedenfalls nicht in der nächsten halben Stunde. Der vom Schlag Niedergesunkene jedoch richtete sich irgendwann auf, schüttelte sich und bestellte noch ein Bier.

Über Berlin, dämmerte mir da, muß ich noch viel lernen.