Meldung schlägt Flaute

Message heißt eine neue Fachzeitschrift für Journalismus. Sie hat eine bemerkenswerte Message: Kritiker sollen so kritisieren, daß sie auch kritisiert werden können

Dieser Artikel soll mit folgendem Satz anfangen: "Wenige Journalisten beginnen ihre Tage hinter dem redaktionellen Computer mit der Absicht, den Nobelpreis für Literatur zu erschreiben. Das ist ein Fehler, der die Sprache in unseren Zeitungen verdirbt."

Das Zitat stammt aus Message, einer neuen Zeitschrift für internationalen Journalismus, genauer: Das Zitat stammt von E.A. Rauter, der in Message eine Sprachkolumne hat, die in Nummer eins die Überschrift "Vom Anfangen" trägt. In der Süddeutschen Zeitung wurde dieser E.A. Rauter von einem Gerold Büchner getadelt: "Schleierhaft bleibt auch, welchen praktischen Wert es haben soll, wenn ein selbsternannter Sprachpapst in einer Abhandlung über Textanfänge alles in einen Topf wirft und bedauert, daß so wenige Journalisten beim Schreiben ständig den Nobelpreis für Literatur anvisierten."

Ich bin Journalist, aber mit mir hat der Streit zwischen Rauter/Message und Büchner/Süddeutsche nichts zu tun. Ich beginne nicht, wie E.A. Rauter vermutet, meine Tage hinter einem Computer, sondern ich sitze davor. Dahinter krabbele ich bloß, wenn das Scheißteil mal wieder nicht tut, was es tun soll, wie heute morgen, als mit dem Faxmodem wieder mal etwas nicht stimmte. Dieses Hinter-den-Computer-Krabbeln sieht albern aus, und nie soll ein Leser dies sehen. Wie ich vor dem Computer sitze und schreibe, ist nicht albern, aber sehen möchte mich dabei wohl auch niemand, denn es gibt spannendere Anblicke.

Der Computer, vor dem ich sitze, ist kein redaktioneller, sondern meiner. Von mir gekauft, bezahlt und verflucht. Schreibende Journalisten sind nämlich nur zu einem Teil in Redaktionen beschäftigt. Dort wiederum sind sie meist eher als Redakteure tätig, also als Leute, die anderer Leute Texte redigieren. Die Vermutung des Sprachkritikers, journalistische Zeitungsproduktion - vulgo: Artikelschreiben - finde überwiegend in Redaktionen statt, hat mit der Realität wenig zu tun.

Wenn es Redakteure sind, die die Spalten füllen, dann sind es die diejenigen in den Agenturen. Die schreiben am meisten, am schnellsten und werden am häufigsten gedruckt.

Der Nobelpreis für Literatur ist gar nicht, wie der Sprachkritiker meint, "zu erschreiben". Der wird vergeben, wobei allerlei Rücksichtnahmen wirken: mal ein Afrikaner, mal wieder Lyrik, auch mal eine Frau, und nicht immer bloß das Lebenswerk.

Als Winston Churchill diese Auszeichnung 1953 erhielt, kommentierte Arno Schmidt im "Steinernen Herz": "Nobelpreis für Literatur?!: 'Ein Journalist ausgesprochenen Mittelmaßes: nicht mehr, Herr! Machen Sie sich doch von dem Vorurteil frei, daß jenes - unbestreitbar angelsächsisch-französisch orientierte - Gremium in Stockholm etwas von Dichtung verstünde! Iss doch klar: ein Ausländer kann grundsätzlich nur die gut übersetzbare fremde Literatur würdigen; die eigentlichen großen Sprachkünstler und fruchtbaren Experimentatoren sind ihnen unzugänglich; meist sogar unbekannt!'"

Der "Nobelpreis für Literatur" ist ein Sprachbild für schöne Sprache in guten Texten, es ist mithin ein Sprachbild für Texte, die nur dann gut sind, wenn sie ohne solche Sprachbilder auskommen. Den "Nobelpreis für Literatur" sollen meinetwegen die Autoren erhalten, die mit "flotter Schreibe" gleich "in medias res" gehen. Soweit meine Gründe, warum ich der festen Überzeugung bin, daß Texte, die den in dem Zitat formulierten Ansprüchen des Sprachkritikers E.A. Rauter genügen, schlecht sind.

Nur: Ich mag Gerold Büchner, dem Kritiker aus der Süddeutschen Zeitung, nicht recht geben. Der schrieb ja, ihm bleibe schleierhaft, "welchen praktischen Wert es haben soll", was Rauter da machte - und das zu schreiben ist Blödsinn. Zum ersten: Rauters Sprachkritik gibt sehr wohl alltäglich-praktische Hinweise, wie seines Erachtens Journalisten Artikel beginnen sollten, und, will man in der Aufforderung, möglichst allmorgendlich den Literaturnobelpreis zu ersehnen, ein kluges Argument erblicken, das nur durch holprige Formulierung nicht so augenfällig ist, dann doch dieses: Ein Autor sollte dem ersten Satz seines Textes besondere Aufmerksamkeit widmen.

Zum zweiten: Warum, wie von Büchner gefordert, soll Kritik "praktischen Wert" haben? Funktioniert das so: Ich lese einen Aufsatz über Artikelanfänge und fürderhin sind meine Artikelanfänge echt total viel besser als die von denen, die den Artikel über Artikelanfänge nicht gelesen haben? Und ich produziere nie mehr so ungelenke Sätze wie den vorstehenden? Schön wär's, aber es ist nicht so, und also muß Kritik nicht konstruktiv sein.

E.A. Rauter hat seinen Text in der Zeitschrift Message verfaßt, die sich vor allem an Journalisten richtet und anders als berufsständische Blätter wie M oder Der Journalist stärker auf Recherche- und Schreibaspekte achten möchte. Herausgeber ist Michael Haller, Professor für Journalistik und Verfasser etlicher Fachbücher. Diese Zeitschrift wollte ich rezensieren, bin aber beim Artikelanfang stehen geblieben. Selbstkritisch-Räsonierendes zum Kosovokrieg in den Medien fällt mir aber nicht ein, dabei ist dies naheliegenderweise das wichtigste Thema der ersten Ausgabe von Message.

Warum sollte ich da nicht den Leser-Check machen, der darin besteht, die ersten Sätze von Artikeln zu lesen und zu entscheiden, ob man die Texte zu Ende lesen, ob man das Heft kaufen oder gar abonnieren möchte?

Test 1, ein Beitrag über Globalisierung: "Eine brisante Meldung schlägt in die vorübergehende Flaute in der internationalen Redaktion des CNN-Headquarters in Atlanta ein." Ehe man erfährt, was die Meldung meldet, weiß man, daß sie brisant ist. Derweil grübelt man, ob eine Flaute nach dem Einschlag einer Meldung keine Flaute mehr ist. Und wen das nicht interessiert, der will vielleicht wissen, ob eine internationale Redaktion eine ist, die sich mit internationalen Themen beschäftigt, oder eine, in der Journalisten aus verschiedenen Ländern zusammenarbeiten.

Test 2, das Editorial: "Der Tod der stern-Reporter Gabriel Grüner und Volker Krämer am 13. Juni 1999 im Kosovo gibt uns Anlaß, in Message 1/99 die Arbeit der Frontreporterinnen und -reporter bei ihrer mitunter lebensgefährlichen Suche nach 'Authentizität' zu erläutern."

Da bleibt nur zu hoffen, daß wenigstens die Reporter anders arbeiten, daß sie nämlich nicht die "Echtheit, Zuverlässigkeit, Glaubwürdigkeit", wie der Fremdwörter-Duden Authentizität übersetzt, suchen, sondern berichten, was im Land passiert. Und schön wäre es auch, wenn sie wirklich recherchierten, statt, wie es das Selbstverständnis der Message-Redaktion anscheinend ist, etwas Kompliziertes schlicht "zu erläutern".

Test 3, ein Bericht der Belgrader Spiegel-Korrespondentin Renate Flottau: "Womit beginnt der Kriegsalltag? Im Radio wird von neuen Kämpfen, von Verhandlungen, von Massakern, Vertreibungen, von Gerüchten über Konzentrationslager berichtet. Ich versuche, so schnell wie möglich dorthin zu gelangen." Wohin will sie? Dort, wo sie zu Beginn des Kriegsalltages Radio hört, ins Hotelbett nämlich? Da ist sie schon. Will sie zu den Kämpfen oder zu den Verhandlungen, zu den Massakern oder zu den Vertreibungen, oder will sie so schnell wie möglich zu den Gerüchten?

Test 4 betrifft die Kolumne des Sprachkritikers E.A. Rauter. Er beginnt mit einem längeren Zitat aus der Zeit und erläutert dann: "Der Text, zu dem dieser Anfang gehört, handelt von der Todesstrafe in den USA und von den Unschuldigen, die die Justiz aus Hochmut umbringt." Wozu noch eine Recherche, wäre zu fragen, wo doch der Täter, "die Justiz" nämlich, genauso feststeht wie die Todesursache, "Hochmut"? Hochmut, weiß das Sprichwort, kommt vor dem Fall, der sich nicht nur mal als Genetiv und mal als Dativ geriert, sondern der ja auch schuld ist, daß sich unsereins ins Glashaus setzt, um mit Steinen zu werfen.

Message ist eine Zeitschrift, die mit zunächst 5 000 Exemplaren Auflage den deutschen und internationalen Journalismus zum Gegenstand ihres Interesses macht, indem sie Journalisten über ihre Arbeit schreiben läßt. Also sind sie, sowohl was ihre schreiberischen Fähigkeiten als auch, was ihre Recherchefähigkeiten anbelangt, zu Recht Kritik ausgesetzt. Es gehört, denke ich, zu den Mißverständnissen hiesiger Provenienz, wonach der Kritiker ein Papst sei, auf eine Kritik also keine Gegenkritik folgen dürfe.

Um dieses schreckliche Vorurteil sehr detailreich zu widerlegen - deshalb lobe ich Message -, ist das über 150 Seiten starke Heft erschienen. Deshalb erhielt E.A.Rauter seine sprachkritische Kolumne, und deshalb könnte auch ich derjenige sein, der hinter dem Computer arbeitet, der vom Literaturnobelpreis träumt, während er mit Meldungen auf Flauten einprügelt, Suchaktionen nach Authentizitäten erläutert und morgens zu Gerüchten reist. Dieses aber soll der letzte Satz meines Artikels gewesen sein.

Message erscheint vierteljährlich. Jahresabo für DM 96. Zu beziehen über: UVK Medien, Tel: 07531 - 90 53-0