Erdrutschsieg in Venezuela

Militär-Messias

Das Chamäleon zeigt wieder seine Zunge - Venezuelas Präsident Hugo Ch‡vez, der Populist mit dem großen Herzen für die Armen. Am vergangenen Wochenende hat er ein weiteres Etappenziel erreicht: Bei der Wahl zur Verfassunggebenden Versammlung landeten seine Anhänger einen Erdrutschsieg über die Opposition und errangen die überwältigende Mehrheit von 126 der 131 Sitze.

Bei seiner Vereidigung am 2. Februar hatte der Sohn eines armen Lehrers das Establishment brüskiert, seinen Amtseid eigenmächtig abgewandelt und auf eine "todgeweihte" Verfassung geschworen. Ch‡vez hatte nie verhehlt, daß er die Verfassung für überholt halte und sie einer neuen Platz machen müsse. Die neugewählten Delegierten haben nun sechs Monate Zeit, um die neue Verfassung auszuarbeiten, die dann 30 Tage später in einem Referendum mit einfacher Mehrheit angenommen werden muß.

Für den 45jährigen Präsidenten ist die Verfassunggebende Versammlung das Herzstück einer "friedlichen Revolution", an deren Spitze er sich sieht. Eine "Revolution", die das weltweit drittgrößte Erdölexportland von Korruption und Vetternwirtschaft befreien und die Verschlankung des exorbitant großen Staatsapparats ermöglichen soll, so Ch‡vez. Die Aufbruchstimmung, die Ch‡vez im Wahlkampf verbreitete, hat immerhin die Mehrheit der Bevölkerung angesteckt, auch wenn gerade einmal 53 Prozent der Wahlberechtigten von ihrem Stimmrecht Gebrauch machten.

Für den gescheiterten Ex-Putschisten von 1992, der von seinen Anhängern als eine Art neuer Messias gefeiert wird, ist der Wahlsieg seiner - von der eigenen Ehefrau angeführten - Kandidaten ein patriotischer Sieg, der ihm weitere Vollmachten bringen wird. Wenn es nach ihm geht, wird die Verfassunggebende Versammlung gleich das Parlament und das Oberste Gericht absetzen, auch wenn die Verfassungsrichter dies für nicht verfassungskonform erklärt haben.

Im Kongreß hat der Präsident nämlich nicht die gewünschte Mehrheit der Stimmen. Auf gerade 23 Prozent kommen seine Anhänger. Zuwenig, um alle gewünschten Sondervollmachten durchzusetzen - weshalb Ch‡vez dem Kongreß im April mit dem Einsatz von Panzern drohte, sollte dieser sich seiner "friedlichen Revolution" in den Weg stellen. Dies hat ihm von seiten der Opposition den Vorwurf eingebracht, auf eine Militärdiktatur hinzusteuern, und auch im Ausland werden die markigen Worte Ch‡vez' mit Skepsis quittiert.

Dieser rechtfertigt seine Attacken damit, daß die Mehrheit der Abgeordneten aus den etablierten Parteien stammen - der sozialdemokratischen Acci-n Democr‡tica und der christdemokratischen Copei, die sich in den letzten 40 Jahren die meiste Zeit die Macht geteilt hatten. Diese seien für Filz und Mißmanagement verantwortlich und bangten nun um ihre Pfründe.

Ein nicht von der Hand zu weisender Vorwurf, werden diese Parteien doch von mächtigen Cliquen beherrscht. Die schwammen einige Dekaden auf dem Ölboom und konnten sich mit den daraus resultierenden Einnahmen Loyalitäten schaffen; andere Industriezweige jenseits des ölproduzierenden Sektors wurden nicht aufgebaut.

Nun, da der Ölpreis im Vergleich zu den siebziger Jahren um die Hälfte niedriger liegt, ist das Modell an seine Grenzen gestoßen. Bereits 1989 hatte sich dies abgezeichnet. Damals kam es zu Riots, als infolge von IWF-Auflagen die Lebensmittelpreise drastisch erhöht werden sollten. Mittlerweile leben vier Fünftel der Bevölkerung an oder unter der Armutsgrenze.

Doch unklar ist bisher, wie Ch‡vez seine Versprechen an die Bevölkerungsmehrheit realisieren will. "Ein neues Venezuela, in dem es mehr soziale Sicherheit geben wird und alle Venezolaner das Recht auf Wohnung, Erziehung und Gesundheit haben", will er schaffen. Programme und Konzepte, wie dieses Kunststück zu realisieren sein soll, hat er bisher nicht vorgelegt.

Immerhin fließt mit dem derzeit steigenden Erdölpreis wieder mehr Geld in die leeren Staatskassen. Doch damit kann es schnell vorbei sein. Im wichtigsten Abnahmeland für das schwarze Gold, den USA, haben Erdölfirmen eine Anti-Dumping-Vorlage eingereicht. Demnach drohen Venezuela Zölle von 177 Prozent - was die venezolanischen Staatseinnahmen drastisch reduzieren würde und den Präsidenten in die Bredouille bringen könnte. Unstrittig ist nämlich, daß auch Ch‡vez künftig an der Einhaltung seiner Versprechen gemessen werden wird.