Tudjmans Kursverfall

Louise Arbour bereitet sich darauf vor, auch dem kroatischen Staatschef ein One-Way-Ticket nach Den Haag zu besorgen

Für den kroatischen Präsidenten Franjo Tudjman wird es eng. Wie eng, das merkten in der vergangenen Woche die Mitarbeiter der Regionalbüros von OSZE und Uno in der Krajina-Hauptstadt Knin: Nachts brachen Agenten des kroatischen Geheimdienstes in die Büros ein und ließen Laptops und Disketten mitgehen. Allerdings waren die Schlapphüte weniger daran interessiert, die Computer anschließend wieder zu verkaufen.

Vielmehr bekamen sie wohl von ihren Chefs den Auftrag, die Festplatten und Disketten auf mögliches belastendes Material über ehemalige kroatische Armee-Offiziere und die Staatsspitze wegen deren Beteiligung an Kriegsverbrechen während des Krajina-Feldzuges im Jahr 1995 zu untersuchen. Nach Angaben eines Uno-Sprechers aber lohnte sich der Einbruch nicht wirklich: Sensible Daten seien nicht auf dem Diebesgut gespeichert gewesen.

Mit allen Mitteln versucht momentan die kroatische Staatsspitze, die Anstrengungen des Uno-Kriegsverbrechertribunals in Den Haag zu sabotieren. Denn seit Chefanklägerin Louise Arbour sich nicht nur um serbische Kriegsverbrechen kümmert und offenbar bestrebt ist, das Serbenfresser-Image ihrer Behörde zu beseitigen, finden auch allerlei Untersuchungen zur kroatischen Vergangenheit statt.

Vor zwei Wochen weigerte sich der kroatische Justizminister Zvonimir Separovic, dem Haager Tribunal die beiden mutmaßlichen Kriegsverbrecher Vinko Martinovic-Stela (35) und Mladen Naletilic-Tuta (52) auszuliefern (Jungle World, Nr. 31/99). Zwar nützt das den beiden nicht viel, denn sie sitzen im auch nicht gerade gemütlichen Zentralgefängnis von Zagreb. Doch der kroatische Staat profitiert in jedem Fall: Martinovic und Naletilic werden beschuldigt, während ihres Einsatzes im Krajina-Feldzug und im herzegowinischen Mostar Massenhinrichtungen organisiert zu haben.

Weil die beiden zwar Killer, aber nicht unbedingt Strategen sind, wäre es möglich, daß sie während einer Gerichtsverhandlung in Den Haag ungünstige Informationen über die Leitung der militärischen Operationen preisgeben. Mindestens sechs kroatische Generäle könnten dann, so die Mutmaßungen in Zagreb, ebenfalls von Louise Arbour vorgeladen werden.

Die Verweigerungshaltung der Kroaten macht zwar das Leben der militärischen Führung komfortabler, für den Staat aber könnte sie unangenehme Konsequenzen haben: Am vergangenen Mittwoch berichtete Arbour dem UN-Sicherheitsrat über die mangelnde Kooperation Zagrebs. "Kroatiens Position im Falle des Krajina-Feldzuges ist die gleiche wie die Jugoslawiens in Sachen Kosovo. Beide Staaten müssen kooperieren", so Arbour nach ihren Beratungen mit dem Sicherheitsrat.

Die kroatische Justiz leitete angesichts der bevorstehenden diplomatischen Verwicklungen auch gleich eine Charme-Offensive ein. Justizminister Separovic beeilte sich, dem Haager Gerichtshof die Übergabe einiger Dokumente zu versprechen: "Noch heute oder morgen werden wir alle verlangten Dokumente herausgeben - bis auf jene, die unsere nationale Sicherheit betreffen", erklärte der Minister. Doch gerade diese Dokumente zur "nationalen Sicherheit" sind für den Haager Gerichtshof interessant.

Immerhin versucht Louise Arbour gerade, der Staatsspitze in Zagreb strafrechtliche Probleme zu bereiten. Verstärkt wurde dieses Ansinnen der Haager Chefanklägerin in der vergangenen Woche vom ehemaligen General der bosnisch-kroatischen Armee, Tihomir Blaskic (38). Im Gegensatz zu den beiden in Zagreb inhaftierten Söldnern Martinovic und Naletilic steht der General gerade in Den Haag vor Gericht und patzt seine ehemaligen Chefs in Zagreb kräftig an. Dem Gericht deutete er an, Präsident Franjo Tudjman hätte die Verbrechen während des Kampfes der Kroaten gegen die Moslems in Mostar geplant.

Die offensichtliche Kooperation Blaskics mit den Richtern auf Kosten Tudjmans ist nachvollziehbar: Der Mann ist wegen 20 schwerer Kriegsverbrechen angeklagt. Am schwersten wiegt ein Zwischenfall in der herzegowinischen Ortschaft Ahmici: Im April 1993 erschossen Kommandos der bosnisch-kroatischen Armee 100 Dorfbewohner und verbrannten anschließend die Häuser des Dorfes. Deshalb fordern die Ankläger in Den Haag auch eine lebenslange Strafe für den ehemaligen Heerführer.

Der mit dem Blaskic-Fall betraute Ankläger Gregory Kehoe folgte der Argumentation des Angeklagten: "Die Verbrechen in Mostar waren ein Teil der Tudjman-Idee, den moslemischen Teil der Bevölkerung zu einem kleinen und vernachlässigbaren Faktor zu machen und sowohl den kroatischen als auch moslemischen Teil Bosnien-Herzegowinas in das kroatische Staatsgebiet einzugliedern." Bloß Blaskics Versicherungen, nichts von den ethnischen Säuberungen gewußt zu haben, konnte Kehoe wenig abgewinnen: "Das ist schlicht Nonsens."

Eine mittelfristig durchaus mögliche Anklage Franjo Tudjmans treibt seinen kroatischen Gehilfen nun den Schweiß auf die Stirn. Deutlich erschüttert von den Nachrichten aus Den Haag meinte Zvonimir Separovic: "Wir weisen alle Anschuldigungen gegen Franjo Tudjman aufs schärfste zurück." Das muß Separovic auch tun, denn mit der Verwicklung des Staatsgründers Tudjman in derartige Straftaten wanken auch die Grundfesten des kroatischen Staates.

Seit dem Beginn des jugoslawischen Zerfallsprozesses hatte es der ehemalige General der Jugoslawischen Volksarmee Titos vorzüglich verstanden, Kroatien ausschließlich als Opfer der serbischen Aggression darzustellen und immer wieder darauf verwiesen, daß Kroatien ja ohnehin nur sein Staatsgebiet zu verteidigen gehabt hätte. Doch Mostar gehörte niemals zum kroatischen Staatsgebiet und lag schon gar nicht innerhalb der ehemaligen jugoslawischen Teilrepublik Kroatien. Der Kampf gegen Bosnien kann also nur als Angriffskrieg mit expansionistischen Bestrebungen gelten.

Wenn heute Tudjman darauf verweist, immer die Souveränität Bosnien-Herzegowinas anerkannt zu haben, so ist dies trotz der Unterzeichnung einiger einschlägiger Dokumente schlicht gelogen. Die Kroaten in Bosnien-Herzegowina verfügen über ein Wahlrecht in Kroatien und kreuzen beim Urnengang selbverständlich die Bewegung für ein demokratisches Kroatien (HDZ) von Franjo Tudjman an.

Beinahe hätte die offensive Haltung Tudjmans gegenüber Bosnien-Herzegowina im Jahr 1992 zu einem Bruch der "Regierung der nationalen Einheit" geführt. Zdravko Tomac, damals Chef der kroatischen Sozialdemokraten und Vizepremier in diesem Kabinett, meinte gegenüber Jungle World: "In einem Punkt war ich mit Tudjman nie einer Meinung: Er wollte keine Anerkennung Bosnien-Herzegowinas."

In Zagreb jedenfalls schart sich jetzt sogar die Opposition um den bedrängten Staatsgründer: So verteidigt auch Drazen Budia, Chef der oppositionellen Sozialliberalen Partei (HSLS), seinen Staatschef: "Wir haben die Politik Tudjmans gegenüber Bosnien-Herzegowina immer kritisiert. Sie war fundamental falsch. Aber es ist eine andere Sache, jemanden schwerer Kriegsverbrechen zu beschuldigen."

Auswirkungen hat die juristische Begehrlichkeit aus Den Haag inzwischen auch schon auf die Geschäfte der Zagreber Börsianer: Der Crobex-Index fiel um beachtliche 0,84 Prozent. Weil es eigentlich keinen wirtschaftlichen Grund für solche Kursturbulenzen gibt, machen die Börsianer Louise Arbour für den Kursverfall verantwortlich.